Türkischer Journalist muss in Haft: Der Erdoğan-Kritiker
Er schrieb über die korrupte türkische Präsidentenfamilie. Jetzt muss „Birgün“-Chef Bariş İnce dafür mit 21 Monaten Haft büßen.
Barış İnce ist bei weitem nicht der einzige Journalist oder Autor, dem das in den letzten zwei Jahren passiert ist. Rund 2.000-mal haben Anwälte Erdoğans seit dessen Wahl zum Präsidenten im August 2004 wegen Beleidigung des Staatsoberhauptes geklagt – aber İnce ist einer der mutigsten.
Seine frech formulierte Verteidigungsrede, die die Zeitung Cumhuriyet gestern abdruckte, ist so formuliert, dass sich aus den jeweiligen Anfangsbuchstaben jeden Absatzes zwei Wörter ergeben: „Hırsız Erdoğan“, übersetzt „Dieb Erdogan“. Auf dieses Formulierungskunststück antwortete der Staatsanwalt mit einer neuerlichen Anklage wegen Beleidigung.
Noch muss İnce nicht ins Gefängnis, weil er gegen das Urteil Berufung eingelegt hat. Am Ende wird aber mindestens eine heftige Geldstrafe herauskommen, die dann den sowieso schon schmalen Etat von Birgün belastet. Dahinter steckt durchaus System: Die kleine Oppositionszeitung soll durch eine Häufung von Beleidigungsklagen in den Ruin getrieben werden. Doch İnce und seine Kollegen lassen sich nicht einschüchtern. Mit einer groß angelegten Rettungskampagne sammeln sie Spenden bei ihren Lesern.
Barış İnce ist seit einigen Jahren bei Birgün. Er hätte auch keine Angst, ins Gefängnis zu gehen, sag er: Jeder Journalist in der Türkei müsse damit rechnen. Birgün gehört zu den wenigen Zeitungen in der Türkei, die sich noch trauen, Erdoğan öffentlich zu kritisieren. Die oppositionellen Medien der Zaman-Gruppe sind gerade unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt worden und die Chefredakteure der linksliberalen Cumhuriyet sind mit einer Anklage konfrontiert, die sie wegen angeblicher Spionage lebenslang ins Gefängnis bringen will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja