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Türkische Netflix-Serie „Diriliş: Ertuğrul“Falsche Helden

Kommentar von Klemens Ludwig

Das TV-Epos „Diriliş: Ertuğrul“ findet besonders in muslimischen Staaten Zuspruch. Der Mythos um den ruchlosen Krieger ist alles andere als zeitgemäß.

Erfolg auch in Pakistan: Diese Statue wurde in Lahore nach der Serie „Diriliş: Ertuğrul“ errichtet Foto: Mohsin Raza/reuters

E rtuğrul war ein echter Held des 13. Jahrhunderts: ein furchtloser Krieger, bedingungslos loyal gegenüber seinem Fürsten, gefürchtet bei seinen Untertanen, aber noch mehr bei seinen Feinden. Nun gut, die zeitgenössischen historischen Quellen sind dürftig, das meiste wurde post mortem verfasst, denn es war sein Sohn, der Ertuğrul weit über seinen Clan hinaus bekannt gemacht hat: Osman, der Gründer der osmanischen Dynastie, die das größte islamische Reich der Weltgeschichte schaffen sollte.

Dennoch ist das, was über Ertuğrul bekannt ist, nicht nur Legende. Er entstammt einem Clan der zentralasiatischen Turkmenen, der unter dem Druck der Mongolen nach Anatolien in das Herrschaftsgebiet der Seldschuken wanderte. Im Grenzgebiet zum byzantinischen Reich ließ er sich nieder und verbreitete mit Überfällen auf die nichtmuslimische Zivilbevölkerung Angst und Schrecken.

Als der damalige byzantinische Kaiser Laskaris Truppen zur Sicherung der Grenze entsandte, wurden die Byzantiner vernichtend geschlagen, was maßgeblich auch Ertuğrul zuzuschreiben war. Aus Dankbarkeit schenkte ihm der Sultan erhebliche Ländereien. Wie zumeist bei Warlords machten die Siege Lust auf mehr, und sie führten ihm neue Verbündete zu. Tatsächlich wurde Ertuğrul nach dem Sieg über Kaiser Laskaris Truppen einer der erfolgreichsten Kriegsherren des Sultans.

Hätte Ertuğrul seine Raubzüge für die spanische Krone oder andere europäische Kolonialmächte getätigt, stünde es heute schlecht um seine Reputation. In der Debatte über Kolonialisierung, Sklaverei und Rassismus wäre auch manches Ertuğrul-Standbild gefallen. Doch Ertuğruls Nachfahren wollen von alldem nichts wissen; im Gegenteil, der brutale mittelalterliche Warlord ist Pate einer der erfolgreichsten türkischen Fernsehserien, „Diriliş: Ertuğrul“, häufig als „islamisches Game of Thrones“ bezeichnet.

Klemens Ludwig

war lange Mitarbeiter der Gesellschaft für bedrohte Völker. Er ist Journalist und Sachbuch­autor mit dem Schwerpunkt Asien, christ­lich-islamische und buddhistisch-islamische Beziehungen. Sein Buch „Die Opferrolle. Der Islam, seine Selbst­inszenierung und die Werte der Aufklärung“ erschien 2019 bei LangenMüller.

Die Serie – auf Deutsch „Ertuğruls Auferstehung“ – bringt alles, was Legendenbildung ausmacht: Spannung, Kampf, schöne Frauen, die beschützt werden müssen – und bedient ein simples schwarz-weißes Weltbild: Hier die frühen Türken, die Rechtgläubigen, die Ehrenvollen, die Tapferen, kurz die Guten. Dort die Feinde, die ungläubigen Mongolen, die blutrünstigen Christen – Lieblingsfeindbild die Tempelritter – kurz: die Bösen.

„Ertuğruls Auferstehung“ in 65 Staaten verkauft

Wer den Kampf zwischen Gut und Böse gewinnt, weiß man aus den Hollywoodwestern mit John Wayne. Das Skript von „Diriliş: Ertuğrul“ unterscheidet sich in nichts davon; außer dass John Wayne wegen seiner rassistischen Äußerungen über die indigene Bevölkerung inzwischen entzaubert ist. Ganz anders „Diriliş: Ertuğrul“.

Das Heldenepos über die türkische Frühgeschichte ist zu einem Verkaufsschlager in weiten Teilen der islamischen Welt geworden, auch in solchen, die ethnisch und kulturell nichts mit der Türkei zu tun haben, wie Malaysia oder Pakistan. Dort ist das Bekenntnis zur „Diriliş: Ertuğrul“ inzwischen ein Politikum, denn sogar die Staatschefs werben dafür. Die seit 2014 produzierte Serie wurde in 65 Staaten verkauft.

Pakistans Ministerpräsident Imran Khan, der den Anspruch erhebt, einen idealen Muslimstaat nach dem Vorbild von Mohammeds erster Gemeinschaft in Medina zu errichten, ist der Überzeugung, die Serie trage dazu bei, die Bedeutung der islamischen Zivilisation zu verstehen. Zudem werde damit „der weltweiten Islamophobie entgegengetreten“. Das bezweifeln Kritiker auch in der islamischen Welt. Der politische Aktivist Pervez Hoodbhoy hält dagegen:

„Wenn die Serie den Islam als friedliebende Religion darstellen und Islamophobie bekämpfen will, dann erreicht sie angesichts der weit verbreiteten Gewaltdarstellungen genau das Gegenteil.“ Die populäre Glorifizierung der türkisch-islamischen Frühgeschichte zu einem Zeitpunkt, da anderswo auf der Welt fragwürdige Helden von den Sockeln geholt werden, passt zu einem Verständnis von „Antirassismus“, das nur auf andere gerichtet ist, ohne die eigenen Schattenseiten wahrzunehmen. Das treibt in der Türkei extreme Blüten.

Als Mesut Özil wegen seiner demonstrativen Nähe zu Staatspräsident Erdoğan im Umfeld der letzten Fußball-WM kritisiert wurde, initiierten türkische Sportverbände imposante Kampagnen gegen Rassismus. Sport spielt in der türkischen Gesellschaft eine wichtige Rolle, Erdoğan selbst gilt als großer Fan. Um internationale Erfolge zu feiern, hat die Türkei LäuferInnen aus Kenia und Äthiopien mit finanziellen Verlockungen eingebürgert.

Turkisierung von SpitzensportlerInnen

Sie haben zahlreiche Medaillen bei Europameisterschaften erlaufen – nicht ohne zuvor turkisiert worden zu sein. So wurde aus der zweifachen Goldmedaillengewinnerin von 2016 Vivian Jemutai Yasemin Can; aus Kiprotich Mukche wurde Ali Kaya, aus Kipruto Kigen wurde Kaan Özbilen. Man stelle sich den „antirassistischen Aufschrei“ vor, wenn Mesut Özil als Meinrad Oswald in der deutschen Fußballnationalmannschaft hätte auflaufen müssen.

Die Liste viel schwerwiegenderer Beispiele, die eine erschreckende Einseitigkeit im Kampf gegen Rassismus, Kolonialismus, Gewalt und ­Sklaverei zeigen, ist lang:

Der Völkermord an den Armeniern und Assyrern/Aramäern; die brutale Praxis des Kinderraubs aus christlichen Familien, die zur osmanischen Elitetruppe der Janitscharen gedrillt wurden; der über Jahrhunderte weltweit größte Sklavenmarkt im nordafrikanischen Tunis; oder die arabischen Sklavenjäger, die zu Beginn der Sklaverei in Nordamerika Zehntausende Männer, Frauen und Kinder an Sklavenhändler verkauften, geraten dabei aus dem Blick.

Wenn dann noch Vertreter islamischer Staaten oder ­Organisationen den Opferstatus beanspruchen, wird die Kampagne heuchlerisch. Nicht nur die christ­liche Tradition hat ihre Leichenberge und ihre ­falschen Helden; auch die islamische. Es gibt keinen Grund, das zu tabuisieren oder gar zu heroisieren.

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8 Kommentare

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  • Schmunzelnd gelesen.

    Genauso schmunzelnd gesehen.



    “Fortschrittlich Isalamisch Erfolgreich -



    Bank Katar“ auf deckenhohem Banner -



    Im DITHIB-Glashaus.



    Wo nach Verfassungsschutzberichten neben Grauen Wölfen - Überraschung - auch der iranische Geheimdienst schon die Finger im Spiel hatte - als die kölsche Moschee 🕌 - noch in einem etwas desolaten Restbestand eines Flachdach Fabrikverwaltungsgebäude residierte.



    & Däh - Heute -



    Eine Ahnungslose gleich - Islamophobie - wittert ja denunziert. Wenn jemand es dieserhalb nicht prickelnd findet.



    Wenn das Spielershirt seines Geißbock Pöhlervereins ne 🕌 - zieren soll.

    Na Mahlzeit

    unterm——



    taz.de/Streit-um-M...f-Trikot/!5702327/



    &



    de.wikipedia.org/w...atar_National_Bank



    & Däh!



    Aber auch klar Klinsi gibt den Franz 🤮 www.sueddeutsche.d...katar-wm-1.4631529

  • Verehrter Klemens Ludwig, wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd!

  • Tatsächlich waren Muslime historisch gesehen bis auf wenige Ausnahmen nie verfolgte Minderheit, sondern in den meisten Ländern entweder Mehrheit oder herrschende Minderheit (wie im Mogulreich). Natürlich prägt das das Geschichtsverständnis und auch den Blick auf Minderheiten (und in dem Fall sind das nun mal Christen und Juden usw.) in der islamischen Welt. Es ist auch diese Tatsache, die angesichts der offenkundigen aktuellen Überlegenheit des Westens zu einer manchmal aggressiven Überkompensation führt und natürlich auch zum Erfolg solcher Serien, in denen das angeblich goldene Zeitalter, als der alte muslimische Mann noch das Maß aller Dinge war, verherrlicht wird.

  • Wir sehen und sahen uns Braveheart an, die Vikinger, das Boot, Robin Hood und was sonst für einen Scheiß. Wir lernen im Geschichtsunterricht vom glorreichen Barbarossa und vom Genie eines Bonaparte. Immer langsam also mit der Behauptung, dass man im Westen reflektierter ist.

  • Das kam schon öfter dabei heraus, wenn ungerechtfertigte Vorurteile beharrlich zur Anwendung kommen. Die so behandelte Seite fragt sich letztlich trotzig, warum sie sich nicht dem anverwandeln sollte, als das sie bezeichnet wird. Dann sind die Anfeindungen wenigstens nicht mehr ungerechtfertigt. Auf der politischen Ebene angewandt ist das genau der Weg, auf dem Falken ihre eigene Existenzberechtigung erzeugen. Mir graut. Auch vor der Kulturindustrie.

    • @Volker Maerz:

      Meinen Sie, der Islamo-Nationalismus der AKP ist nur Reaktion auf den Westen? Machen Sie es sich da nicht zu einfach? Der Artikel legt doch sehr gut dar, dass schon lange vor der aktuellen Überlegenheit des Westens äußerst kritikwürdige Dinge in der islamischen Welt geschahen. Was hat westlicher Rassismus zB mit dem Sklavenmarkt von Tunis oder der brutalen Eroberung des byzantinischen Reiches (heute noch völlig offen als Triumph gefeiert, siehe Umwidmung der Hagia Sophia) zu tun?

  • Auf Netflix?

    • @Kayhan Rıza Arpacioglu:

      Nein die Serie gibt es auf Netflix nur in den USA. In Deutschland ist sie nicht gelistet