Türkische Community und Erdoğan: Werbung für ein „Nein“
Kommt Erdoğan nach Deutschland? Politiker sind empört. Die Türkische Gemeinde bleibt gelassen und startet eine Kampagne gegen Erdoğans Pläne.
Noch ist unklar, ob der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan nach Deutschland kommt, um unter türkischen Wählern hierzulande für ein Ja zu dem Referendum am 16. April zu werben, das ihm als Präsident deutlich mehr Macht verleihen würde.
Doch deutsche Politiker sind schon jetzt alarmiert. „Dass Erdoğan unsere Demokratie dazu missbraucht, für seine Diktatur in der Türkei zu werben, finde ich unerträglich“, sagte Grünen-Chef Cem Özdemir der Bild am Sonntag. Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach fürchtet, „dass auf diese Weise massive innertürkische Konflikte nach Deutschland importiert werden und hier zu einer gesellschaftlichen Spaltung führen“, wie er der Oldenburger Nordwest-Zeitung sagte.
Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat die Bundesregierung aufgefordert, einen möglichen Auftritt Erdoğans in ihrem Bundesland zu verhindern. In Nordrhein-Westfalen leben viele türkischstämmige Bürger. Verfassungsexperten halten ein Auftrittsverbot aber für nahezu ausgeschlossen.
Polarisierung nützt Erdogan
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoğlu, rechnet damit, dass der türkische Staatschef zwischen Ende März und Anfang April nach Deutschland kommen wird. Dennoch rät er der deutschen Politik zur Zurückhaltung. „Eine Diskussion um ein Einreiseverbot würde nur das Gegenteil bewirken und ihm in die Hände spielen“, warnt er. Erdoğan wolle mit seinem Besuch die Menschen mobilisieren, und dies gelänge ihm durch Polarisierung.
Die Türkische Gemeinde hat rund 50.000 Mitglieder, sie spricht für einen großen Teil der säkularen Deutschtürken. Erstmals in seiner Geschichte positioniert sich der Verband zu einem innenpolitischen Thema in der Türkei und startet eine Kampagne gegen die geplante Verfassungsänderung. Bundesweit sind Veranstaltungen mit Künstlern und Intellektuellen geplant, auf denen für ein Nein geworben werden soll. „Man kann sich jetzt nicht verstecken. Es geht um Demokratie oder Autokratie in der Türkei“, sagt Sofuoğlu.
Rund 1,4 Millionen wahlberechtigte Auslandstürken leben in Deutschland. In der Vergangenheit genoss Erdoğan unter Deutschtürken viel Rückhalt. Bei den letzten Parlamentswahlen im November 2015 stimmten knapp 60 Prozent von ihnen für seine islamisch-konservative Regierungspartei AKP, mehr als in der Türkei selbst. „Erdoğan hat eine große Anhängerschaft in Deutschland und er schöpft diese aus“, sagt Sofuoğlu. Er glaubt aber, dass sich die Stimmung dreht. Selbst unter AKP-Anhängern und türkischen Nationalisten spüre er wachsende Skepsis, sagt Sofuoğlu. „Die Neinsager werden diesmal gewinnen“, ist er überzeugt.
Um beim bevorstehenden Referendum abstimmen zu können, müssen türkische Staatsangehörige beim nächstgelegenen Konsulat registriert sein. Die Frist für alle, sich nachträglich anzumelden, ist gestern abgelaufen. Sofuoğlu misst dem aber keine große Relevanz zu. An den vergangenen Wahlen hätten sich viele beteiligt und seien darum auch registriert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs