piwik no script img

Türkei gegen Schweden und FinnlandErdoğans Nein zu Nato-Beitritten

Präsident Erdoğan sieht den Beitritt Finnlands und Schwedens zur Nato „nicht positiv“. Ihn stört die Nähe Schwedens zur kurdischen PKK.

Erdoğan spricht nach dem Freitagsgebet über die geplanten Nato-Beitritte Finnlands und Schwedens Foto: Murat Cetinmuhurdar/rtr

Istanbul taz | „Wir beobachten die Situation sorgfältig. Doch wir sehen einen möglichen Nato-Beitritt der skandinavischen Länder Schweden und Finnland nicht positiv.“ Dieses Statement des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nach dem Freitagsgebet sendete am Freitagnachmittag leichte Schockwellen durch die Nato-Community in Brüssel.

Denn ein Beitritt der beiden skandinavischen Länder müsste von allen Nato-Mitgliedern ratifiziert werden. Theoretisch hätte die Türkei also die Möglichkeit, den Beitritt der beiden nordischen Länder, der von allen anderen Nato-Mitgliedern begeistert begrüßt wird, zu blockieren.

Als Begründung für seine negative Haltung führt Erdoğan an, dass insbesondere Schweden geradezu „ein Gästehaus“ für geflüchtete Mitglieder der kurdischen Guerilla PKK sei. Erdoğan hat sich immer wieder beschwert, dass der Antiterrorkampf der Türkei von europäischen Ländern zu wenig unterstützt werde. Tatsächlich waren in der Vergangenheit, als Schweden noch für eine liberale Flüchtlingspolitik bekannt war, viele Kurden in den kalten Norden geflohen.

Zwar wird die PKK in Deutschland und auch in der EU insgesamt als „Terrororganisation“ geführt, dennoch schöpft die PKK den größten Teil ihrer materiellen Ressourcen aus europäischen Ländern. Seit Jahren liegt die Türkei darüber hinaus mit der Nato-Führungsmacht USA in einem erbitterten Streit wegen deren Zusammenarbeit mit dem syrischen PKK-Ableger YPG.

Erdoğan: Zustimmung zu Griechenlands Nato-Beitritt damals ein Fehler

Die kurdische YPG-Miliz, die der PKK nahesteht, war in den letzten Jahren quasi die Bodentruppe der USA bei der Bekämpfung des IS in Syrien und im Irak. Zum großen Ärger der Türkei hat die US-Armee die YPG immer wieder mit Waffen und anderem wichtigen Material versorgt, um deren Kampffähigkeit zu unterstützen. Die türkische Armee behauptet regelmäßig, dass diese Waffen später bei Angriffen auf türkische Soldaten benutzt worden seien.

Der Konflikt eskalierte so weit, dass türkische Truppen bei ihren verschiedenen Vorstößen auf syrisches Gebiet fast mit US-Truppen aneinander geraten wären. Nicht zuletzt dieser Konflikt hatte Erdoğan zu einer engen Zusammenarbeit mit Putin in Syrien getrieben.

Doch die Haltung Schwedens und in geringerem Maße auch Finnlands gegenüber der PKK sind nur ein Grund für die Skepsis Erdoğans gegen die Länder im Norden. Er erinnerte auch daran, dass die Türkei sich schon einmal mit einem neuen Nato-Mitglied schlechte Erfahrungen eingehandelt habe, als man dem Beitritt Griechenlands zustimmte. Griechenland, so Erdoğan, hätte seine Nato-Mitgliedschaft anschließend gegen die Türkei benutzt. Die türkische Regierung, die dem Beitritt damals zugestimmt hat, hätte einen großen Fehler gemacht. Diese Erfahrung, sagte Erdoğan, wolle man nicht noch einmal machen.

Außerdem ist für Erdoğan wohl auch eine taktische Überlegung, dass er mit der Kritik an einem möglichen Nato-Beitritt der Skandinavier Pluspunkte bei Putin sammeln könne, ohne viel dafür tun zu müssen.

Erdoğan könnte Zugeständnisse für seine Zustimmung fordern

Letztlich dürfte Erdoğan, der bis zum Angriff Russlands auf die Ukraine in der Nato schon einmal völlig isoliert war, ein Nein zum Beitritt von Finnland und Schweden wohl nicht durchhalten.

Aber er kann dafür an anderer Stelle Zugeständnisse aushandeln und er kann den gesamten Prozess erheblich verzögern, was für Schweden und Finnland sehr unangenehm wäre. Sie hätten dann zwar den Nato-Beitritt beantragt und sich Russland damit zum Feind gemacht, wären aber noch nicht durch den förmlichen Beistandspakt der Nato geschützt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Diese notwendige Einstimmigkeit bei Nato und der EU ist nur eine Träumerei.

    Irgendein Quertreiber ist immer dabei.



    Egal ob Orban oder Erdogan, die wollen sich nur ihre Eskapaden bezahlen lassen.

    Ist es nicht möglich, das die willigen 29 Nato Staaten den Finnen und Schweden ihren militärischen Beistand schriftlich versichern?

    Damit wäre Erdogan endlich mal ausgebremst. Für den sind wir doch nur entweder Opfer oder Werkzeug.

  • Tja, da lässt sich der Erdogan von Putin mal wieder sagen was er zu sagen udn tun hat. Bekommt dafür wahrscheinlich ein paar Milliarden! Was hat der noch in der NATO zu suchen ? Ich weiss, geoplolitisch für die NATO eine strategisch wichtige Flanke

    Als Finne oder Schwede würde ich aber sofort und lieber heute als morgen für einen NATO-Beitritt sein. Wenn Russland dies als Eskalation sieht, so what? Gegen Verbrecher muss man sich schützen.

  • Das Wesen der Demokratie, dass es eben auch Gegenstimmen geben kann, ist in der Tat sehr ärgerlich.



    Wird es doch an der Zeit all jene zur Vernunft, bzw. zum Abdanken zu bewegen, die sich dem Leitgedanken entgegenstellen.



    Wie das in Demokratien üblich ist, auch gerne mal mit tatkräftiger Unterstützung.



    In der Zwischenzeit kann die Bundesregierung schonmal überlegen, wohin mit all jenen syrischen Geflüchteten, die die Türkei bislang auf ihrer Seite der Grenze hält.

  • Einer der wenigen Politiker die noch strategisch denken. Die gibt es inzwischen weder in Deutschland noch in der EU. Man muss die Situation jetzt nicht mit Gewalt eskalieren!

  • Die Ypg ist die einzige nicht terroristische nicht islamistische nicht faschistische Kriegspartei in Syrien. Wenn es der NATO in irgendeiner Form um die Verteidigung von Werten gehen würde, müsste als erstes die Türkei ausgeschlossen werden.

  • Hätte man ja eigentlich voraussehen können, dass Putins U-Boot in der NATO da jetzt wieder auftaucht. Hab zumindest ich aber auch nicht.

    Vermutlich wird er aber nach ein paar Extrawürsten dann doch zustimmen.

  • Schweden gibt derzeit 1,22% des BIP für's Militär aus. Ist den Schweden bewusst, dass sie bei einem NATO-Beitritt die Ausgaben fast verdoppeln müssen?



    Kann mir vorstellen dass einige mit sinkenden Kosten rechnen - immerhin tritt man einem Verteidigungsbündnis bei und steht nicht mehr alleine.



    Finnland ist mit 1,5% näher an der 2%-Vorgabe, müsste aber auch noch ordentlich draufsatteln.

    • @Bernd Berndner:

      Schweden (neutral seit 1812) und Finnland (neutral seit 1945) fühlen sich von Russland bedroht (...warum bloß...) und würden ihren Verteidigungsetat ohnehin Aufstocken. Die NATO-Mitgliedschaft ist hier nur der zweite Schritt und die Ursache.

  • 1709 hat die mit den ukrainischen Kosaken verbündete schwedische Armee die Schlacht bei Poltawa gegen Russland verloren. Karl XII. floh in die Türkei und saß dort erst mal fest, Zar Peter I. ließ Finnland besetzen - das blieb dann bis 1918 russisch. Alles hängt mit allem zusammen und ist irgendwie schon mal dagewesen.

  • 9G
    93851 (Profil gelöscht)

    Der türkische Präsident outet sich hiermit einmal mehr als "Putin-Versteher".



    Das doppelzüngigere Spiel mit dem Westen – nur nervig!

  • Und nu? Muss man jetzt die Türkei aus der NATO rauswerfen? Das wird alles immer schwieriger.