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Trend zur fantasievollen SturmhaubeEin Hauch von Gefahr

Die Herbstkollektionen der Mode flüchten sich in Fantasiewelten. Dabei wird sogar die Sturmhaube umgedeutet – zum modischen Accessoire.

Aus einer Modenschau von Miu Miu im Schnee, Model mit gestrickter Balaclava Foto: Fashion PPS

Mit der Gegebenheit, dass Kun­d*in­nen ihre Gesichter aktuell meist mit einem Atemschutz bedecken zu müssen, wurde in den kürzlich präsentieren Herbstkollektionen kreativ umgegangen. Masken wurden durch lange Schleier zum dramatischen Statement-Accessoires, verhüllte Köpfe gewährten den gesellschaftlichen Wunsch nach Abschirmung. Und Neben Multifunktionstüchern, Hauben und gewickelten Seidenschals dominierte dabei vor allem eine Kopfbedeckung die Laufstege: das Balaklava.

Im europäischen Raum kam die gestrickte Kopfbedeckung erstmals 1854 während des Krimkriegs zum Einsatz. Ihren Namen verdankt sie der Schlacht bei Balaklawa, bei der sich britische Soldaten mit handgestrickten, aus der Heimat zugesandten Hauben warm hielten. Viele Jahre später wurde das Prinzip der Kopf, Hals und Teile des Gesichts bedeckenden Haube für den Motor- und Wintersport adaptiert, zur Identitätsverschleierung kam es in Spezialeinheiten der Polizei, im kriminellen Untergrund sowie in autonomen Kreisen zum Einsatz.

Für die Front entworfen und für Extremsituationen gemacht, umweht die Strick-Sturmhaube ein Hauch der Gefahr und der Härte. Seit Langem ist sie präsent in der Streetwear- und HipHop-Kultur; gerade in der britischen Rapszene verstecken zahlreiche Rap­pe­r*in­nen ihr Gesicht hinter Balaklavas, um anonym zu bleiben.

Gegen Mitte der 2010er Jahre begannen mit Kanye West und A$AP Rocky zwei modisch wegweisende US-Rapper, die Masken als Mode-Statement zu tragen. Auf den Laufstegen tauchte sie zuletzt 2018 auf. Neben Gucci war es damals vor allem Marine Serre, die den Trend befeuerte. Bei ihrem Pariser Modewochen-Debüt zeigte die Jungdesignerin Funktionskleidung mit einem surrealen Twist, der erste Look der Kollektion war ein Lycra-Catsuit mit integriertem Balaklava.

Aus bunten Socken geflickt

Neu an der aktuellen Balaklava-Trendwelle ist, dass die Kopfbe­deckung nicht nur auf den Laufstegen, sondern auch in Großstadtstraßen und Social-Media-Feeds zu sehen ist. Die selbst gestrickten Exemplare, denen man auf Tiktok und Instagram begegnet, sind bunt gemustert und verwandeln ihre Trä­ge­r*in­nen durch Hörner in Fabelwesen, das auf Instagram beliebte Label yard666sale flickt sie aus bunten Socken zusammen. Givenchy bedient sich des gleichen Prinzips und ergänzt seine Strick-Masken mit kleinen Zacken und Katzenohren um eine Fantasy-Ebene, die mit der Härte der Sturmhauben-Grundform bricht.

Bei der Jugendkultur Tiktoks hat sich auch Hedi Slimane Inspiration gesucht. „Teen Knight Poem“ betitelte er seine Céline-Herrenkollektion, die er an androgynen Models auf den Dächern eines Renaissance-Chateaus präsentierte. Seine Ritter tragen Eyeliner, Spitzenkragen und überlange Wollmützen, die mit ausgeschnittener Augenpartie Helmvisieren ähneln. Das Pendant zu Slimanes softer Neoromantik findet sich in Demna Gvasalias Ritterrüstungs-Overknees, die er im Januar im Rahmen eines Balenciaga-Science-Fiction-Videospiels vorstellte.

Gefahrenzone öffentlicher Raum

Gemein ist den beiden Kollektionen, dass sie mit ihrem Fantasy-Eskapismus im deutlichen Kontrast zur tactical gear des Jahres 2018 stehen. Labels wie Heron Preston, Dior und Louis Vuitton zelebrierten damals mit ihren Geschirren, Funktionswesten und Bomberjacken zeitgenössische militärische Bildsprachen. Heute, da sich der öffentliche Raum mehr denn je nach einer Gefahrenzone anfühlt, wird die Kleidung erneut zum Schutzschild, verabschiedet sich jedoch von der dystopischen Rigidität der Uniform und bettet Funktionalität stattdessen in bunte, traumartige Designs.

So etwa die verspielten Entwürfe von Maximilian Davis: Für den kommenden Herbst präsentierte der junge britische Designer retrofuturistische Ensembles, für die er sich sowohl von Taucheruniformen als auch von der Kleidung seiner 1965 von Trinidad nach Manchester emigrierten Großmutter inspirieren ließ. Hautenge Anzüge, die an Courrèges und Cardin erinnern, treffen auf Neopren-Sturmhauben; eine der Kopfbedeckungen geht nahtlos in ein Crop Top über.

Besonders gut gelingt die märchenhafte Outerwear auch Miuccia Prada, deren Miu-Miu-Kollektion dominiert war von Strickmützen mit integriertem Mundschutz. Im Runway-Video stampfen die Models in Outerwear-Zweiteilern aus gestepptem Satin, dicken Yeti-Fellstiefeln, Daunen-Bodys und mit Spikes und Nieten besetzten Kaschmir-Negligés durch die Dolomiten. Die Wanderung endet an einem riesigen Lagerfeuer, um das sich die Frauen wie zu einem paganen Ritual im Kreis versammeln.

Aus der Kollektion spricht eine Lust, sich endlich wieder hinauszuwagen, umhüllt von Kleidung, die zugleich schützt und Blicke auf sich zieht. Ein Drang, der auch Felipe Oli­veira Baptistas wallende, knallbunte Lagen-Looks und bodentiefe Kapuzenmäntel für Fendi zu treiben scheint. Ähnlich wie die Surrealisten vor genau einem Jahrhundert verbergen zeitgenössische De­si­gne­r*in­nen das menschliche Gesicht und schwelgen in der Maskierung.

Verbergen als Privileg

Doch das Verbergen der eigenen Identität ist und bleibt ein Privileg. Während die Modewoche in Paris Anfang März die Verhüllung zelebriert, stimmen Schweizer Bür­ge­r*in­nen für ein Vermummungsverbot im öffentlichen Raum, dessen rechtskonservative Be­für­wor­te­r*in­nen gegen Burkas und Nikabs Stimmung machten. Auch in Frankreich bleibt das Verhüllungsverbot trotz Maskengebot weiter bestehen. Wird die Vermummung ungeachtet dessen zum Trend, den sich nur privilegierte Personen erlauben dürfen?

Sollte sich das Balaklava tatsächlich als flächendeckendes Modephänomen durchsetzen, liegt es nahe, dass es eine ähnlich ambivalente Symbolkraft wie der Kapuzenpullover entwickelt, der seinen Weg in den Mainstream ebenfalls durch HipHop und Streetwear fand.

In ihrem Buch „Hood“ analysiert die Kulturhistorikerin Alison Kinney die Kapuze als ein Kleidungsstück, das mächtige Personen schützt und Diskriminierten zur Gefahr werden kann. Während der Hoodie in Silicon Valley schon längst als Symbol eines neuen Unternehmergeistes galt, argumentieren die Verteidiger George Zimmermans 2012, Trayvor Martins Mörder habe den afroamerikanischen Jugendlichen als eine Gefahr wahrgenommen, da dieser einen Hoodie trug.

Gerade ein semiotisch derart geladenes Kleidungsstück wie das Balaklava dürfte für eine ähnlich diskriminierende und polarisierte Wahrnehmung sorgen. Ob es Schutz oder Gefahr bietet, hängt ganz davon ab, wer sich das Teil über den Kopf streift.

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