Treffen von Biden und Putin in Genf: Bestenfalls etwas Deeskalation
Gipfel in Genf: US-Präsident Biden trifft an diesem Mittwoch mit Putin zusammen. Das Verhältnis zwischen beiden Staaten ist schwer belastet.
Inzwischen hat Biden in einem Interview der Bezeichnung Putins als „Killer“ ausdrücklich zugestimmt. Wenn sich die Präsidenten nun am Mittwoch in Genf treffen, wird die Atmosphäre mit Sicherheit keine herzliche sein. Doch selbst wenn die persönliche Chemie zwischen Biden und Putin stimmen würde: Angesichts der fast ausschließlich harten Konfliktthemen, die auf der Gipfelagenda stehen, ist kaum mit konkreten positiven Ergebnissen zu rechnen.
Die heftigsten Kontroversen sind beim Thema Ukraine zu erwarten. Möglicherweise werden sie sogar noch verschärft durch die Erklärungen, die der US-Präsident und die RegierungschefInnen der übrigen Natostaaten beim Gipfel der Militärallianz am Montag in Brüssel abgegeben haben.
Auch die Haltung beider Seiten zur Lage in Belarus und der Streit um die Nord-Stream-2-Pipeline dürfte für ein sehr schwieriges Gespräch sorgen. Auf die von Biden bereits angekündigte Kritik an „Menschenrechtsverletzungen der Moskauer Regierung“ gegenüber Oppositionellen im Inland wie im Exil will Putin mit kritischen Fragen zum „Schutz der Rechte der Opposition in den USA“ reagieren. Dies teilte sein Außenminister Sergej Lawrow mit, der Putin nach Genf begleiten soll.
Der Aufwand für das Treffen lohnt sich
Vorwürfe Bidens wegen russischer Cyberattacken, Desinformationskampagnen oder Wahleinmischung in den USA und anderen westlichen Staaten dürfte Putin wie bislang als „unbelegt“ und „falsch“ zurückweisen.
Unter diesen Voraussetzungen ist von dem Gipfel im besten Fall eine leichte Deeskalation der derzeit feindlichen Beziehungen zwischen Moskau und Washington zu erwarten, vielleicht auch die Ankündigung von Nachfolgeverhandlungen für den im Februar ausgelaufenen „Start“-Vertrag zur Begrenzung strategischer Atomwaffen.
Doch selbst das würde den großen Aufwand schon lohnen und könnte zumindest mittelfristig zu einer Verbesserung der Beziehungen führen – so wie einst in den Jahren nach dem Gipfeltreffen im November 1985 von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow, ebenfalls in Genf.
Kurz nach dem Gipfel kehrte die Sowjetunion in die Verhandlungen über ein Verbot und die Verschrottung von Mittelstreckenraketen zurück, die sie nach dem Beginn der Stationierung neuer US-Raketen in Westeuropa 1983 verlassen hatte. 1987 unterzeichneten die beiden Präsidenten dann das Abkommen zum vollständigen Verbot landgestützter atomwaffenfähiger Mittelstreckenraketen (INF).
„Der gute Geist von Genf“
Seitdem wird „der gute Geist von Genf“ beschworen und gilt der Gipfel von 1985 als der Anfang vom Ende des Kalten Krieges. Für die erneute Auswahl Genfs als Gipfelort sprachen aber vor allem politische und reiselogistische Gründe. Moskau hatte zunächst ein „russlandfreundliches Natoland“ vorgeschlagen. Laut russischen DiplomatInnen standen – in dieser Reihenfolge – Budapest, Athen, Sofia und Bukarest auf der Moskauer Wunschliste.
Doch ein Gipfel mit der antidemokratischen Regierung von Viktor Orbán als Gastgeber kam für Biden nicht infrage und wäre auch in vielen EU-Hauptstädten schlecht angekommen. Die drei Hauptstädte in Südosteuropa wiederum wurden abgelehnt, weil ihre Wahl die Reisezeiten für den US-Präsidenten deutlich verlängert hätte. Biden musste in den sechs Tagen vor seinem Treffen mit Putin bereits nach Cornwall, London und Brüssel reisen, zu den Gipfeln von G-7 und Nato sowie zu bilateralen Gesprächen mit der britischen Regierung und der EU.
Reiselogistische Einwände gab es auch gegen Wien, für das der österreichische Kanzler Sebastian Kurz geworben hatte, sowie gegen Helsinki, das die russische Regierung der US-Administration nach der Ablehnung der vier zuerst genannten Orte vorschlug. Gegen die finnische Hauptstadt sprach in Washington zudem die dort – durchaus parteiübergreifend – herrschende Wahrnehmung, Bidens Vorgänger Donald Trump sei beim Helsinki-Gipfel 2017 von Putin „vorgeführt“ worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen