Trans* in der Bundeswehr: Bedingt vielfaltsbereit
Die Bundeswehr verspricht ihren Rektrut*innen Vielfalt und ein tolerantes Umfeld. Doch bisher haben sich kaum trans* Menschen geoutet.
Die Whistleblowerin, die sich am Tag nach dem Urteil als Chelsea outete, muss ihre Strafe in einem Männer-Militärgefängnis absitzen. Monatelang sperrten die Wärter sie in Isolationshaft. Nach mehreren Suizidversuchen, einem Hungerstreik und einer Klage durch den Bürgerrechtsverein ACLU darf sie nun Hormone nehmen, die die Army bezahlt.
Manning profitiert von einer neuen Rechtslage: Seit Juli 2016 gilt „Don't ask, don't tell“ beim Thema Transgender* nicht mehr: Soldat*innen müssen ihre sexuelle Identität nicht länger geheim halten. Außerdem sind die USA das 19. Land weltweit, in dem bereits geoutete trans* Menschen den Streitkräften beitreten dürfen. Die Armed Forces finanzieren medizinische Behandlungen sowieso und zählen ab jetzt geschlechtsangleichende Maßnahmen dazu.
Wie wäre es Manning bei der Bundeswehr ergangen? Hätte sie sich als Fallschirmjägerin bewerben können? Auf einem U-Boot dienen? Zum Oberstleutnant aufsteigen?
Trans* bei der Bundeswehr
„Die Akzeptanz bei Vorgesetzten und Mitarbeitern innerhalb der Bundeswehr ist für dieses Thema vorhanden“, sagt Anastasia Biefang. Sie ist Oberstleutnant im Generalstab und berät transgender Militärs für den Arbeitskreis homosexueller Angehöriger der Bundeswehr. Trans* Bundeswehrangehörige fragen sie häufig, ob sie überhaupt weiter dienen können.
Im Januar veröffentlichte das Magazin der Bundeswehr ein ausführliches Porträt von Biefang, weil in ihrem Truppenausweis früher mal ein männlicher Vorname stand. In dem Artikel steht, dass Biefang bei der Luftwaffe Karriere gemacht hat und nach fast 20 Jahren ins Verteidigungsministerium wechselte.
Mittlerweile möchte Biefang nicht mehr über private Details sprechen. Das Porträt verbreitete sich weit über die Bundeswehr hinaus, zahlreiche Boulevardmedien berichteten über Biefang. Der Artikel ist Teil einer Offensive, die zu größerer Toleranz und vor allem zu einer größeren Truppe führen soll. Denn der Armee fehlt Nachwuchs.
„Gott bewahre!“
Ob die Offensive erfolgreich ist, kann niemand so recht sagen. Dem Arbeitskreis gehören drei trans* Militärs an, Biefang hat insgesamt von 30 gehört. Die Bundeswehr schreibt, ihr müssten theoretisch 1.300 trans* Menschen angehören, weil etwa 0,5 Prozent der Deutschen trans* seien und man sich „auf in externen Studien für die Gesamtbevölkerung ermittelte Werte stützen“ könne.
„Mir ist bislang nur Frau Biefang bekannt“, sagt eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums auf die Frage nach trans* Menschen in der Truppe. Ob Bundeswehr und Ministerium das irgendwo vermerken? „Gott bewahre!“, antwortet die Sprecherin, „wir fragen so was nicht ab, das gehört zur Privatsphäre.“ Sexuelle Identität habe schließlich nichts mit Wehrtauglichkeit zu tun.
Sehen das die Amtsärzt*innen genauso? Darf zum Beispiel dienen, wer Brustimplantate hat oder eine Penisprothese? Kann sich jemand als Mann mustern lassen, der eine Vagina hat und nicht plant, das zu ändern? Auf diese Fragen hin kramt die Sprecherin eine Weile in ihren Akten. Dann verspricht sie Recherche und Rückmeldung.
Workshop mit von der Leyen
Anastasia Biefang steht stramm, und mit ihr knapp 200 Soldat*innen in Ausgehuniform: Krawatte, schmal geschnittene Dienstjacke und Hose oder Rock. Ihre oberste Vorgesetzte, Ursula von der Leyen, hat soeben den großen Saal eines Veranstaltungshauses in Berlin Mitte betreten. Von der Leyens Publikum an diesem Tag Anfang Januar ist eigentlich ganz divers, zumindest für die Bundeswehr.
Viele LGBTQ* Menschen sind hier, um von ihren Erfahrungen mit Diskriminierung zu berichten. Die Verteidigungsministerin eröffnet einen Workshop, bei dem militärische Führungskräfte lernen sollen, wie sie mit der „sexuellen Orientierung und Identität“ ihrer Untergebenen umgehen sollen. „Sex-Seminar bei der Bundeswehr“, hat die Bild getitelt.
Von der Leyen steigt auf das Podium und stellt sich vor die Leinwand. Auf der ist das Eiserne Kreuz, das Hoheitszeichen der Bundeswehr, in Regenbogenfarben abgebildet.
Chancengerechtigkeit, Vielfalt und Inklusion
Wenige Tage ist es her, dass sadistische Rituale und sexuelle Gewalt eine schwäbische Kaserne in die Schlagzeilen brachten. „Diese Tagung planen wir seit über einem halben Jahr, aber die aktuellen Ereignisse in Pfullendorf haben gezeigt, dass, wie wir miteinander in der Bundeswehr umgehen, kein Randthema ist“, sagt die Ministerin.
Sie spricht so, wie sie immer spricht: gleichmäßig betonend, ernst und distanziert. Aber sie reißt die Augen auf und schüttelt den Kopf, als sie sagt: „Wir wollen diese Menschen nicht in die gesellschaftliche Unsichtbarkeit zwingen.“ Dann zählt von der Leyen auf, was ihr Ministerium für „Angehörige sexueller Minderheiten“ tut, etwa den Ausbau des Stabselements Chancengerechtigkeit, Vielfalt und Inklusion. Dort gibt es seit Anfang Februar eine Hotline, um Diskriminierung zu melden. Sie könnte vor allem denen helfen, die sich nicht trauen, Übergriffe auf dem direkten Weg beim Wehrbeauftragten anzuzeigen.
Der schreibt in seinem Jahresbericht von 131 Fällen, in denen Truppenmitglieder verdächtigt wurden, „gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ verstoßen zu haben, schränkt aber ein: „Die tatsächliche Zahl sexuell motivierter Übergriffe dürfte höher liegen.“ In zwei der 131 Fälle ging es um trans* Menschen, so der Wehrbeauftragte auf Anfrage der taz. Eine Person habe sich über „Diskriminierung aufgrund Transsexualität“ beschwert, eine andere habe viele „Fehltage wg. Transsexualität“ angehäuft, weswegen ihre Dienstzeitverlängerung abgelehnt worden sei. Man habe aber einen Kompromiss gefunden.
Dienstvorschrift 46/1
Die Angestellten im Büro des Wehrbeauftragten rechnen damit, dass es in den kommenden Jahren mehr solcher Fälle geben wird. Zum einen werden transgender* Militärs ermutigt, sich zu melden, wenn sie diskriminiert werden. Zum anderen geht das Büro davon aus, dass immer mehr trans* Menschen dienen.
Amtsärzt*innen beurteilen Bewerber nach der Zentralen Dienstvorschrift 46/1. Eigentlich: Die Bundeswehr arbeitet gerade daran, diese zu ersetzen. In der Dienstvorschrift steht die „Störung der Geschlechtsdifferenzierung (z.B. AGS, Zwitter) oder -identität“ auf der allerletzten Seite unter „Unberücksichtigte Auffälligkeiten“. Trans* Menschen, Menschen mit adrenogenitalem Syndrom und andere inter* Menschen werden nicht nur mit veralteten Begriffen belegt und in einen Topf geworfen, sondern auch, gemeinsam mit Analphabet*innen, als dienstunfähig eingestuft.
Das Adrenogenitale Syndrom (AGS) ist eine Stoffwechselkrankheit, bei der die Nebennierenrinde zu viele männliche Sexualhormone produziert. Die Störung kann durch Hormongabe gut behandelt werden. Schweres AGS bei Mädchen kann als Intersexualität definiert werden. Inter* Menschen leben mit einer Kombination von Geschlechtsmerkmalen, die nicht in die Kategorie „weiblich“ oder „männlich“ fällt. Das Wort „Zwitter“ ist für diese Menschen ein Schimpfwort. Mit Trans* hat weder AGS noch Intersexualität im Allgemeinen etwas zu tun.
Die Vorschrift werde so nicht mehr berücksichtigt, versichert das Verteidigungsministerium. Die Sprecherin hat sich einige Wochen lang umgehört. Das Ergebnis ihrer Recherche sei, sinngemäß, dass jede*r gemustert werden könne, egal wie es zwischen den Beinen aussieht. Besonderheiten an den Geschlechtsteilen seien nur dann ein Einstellungshindernis, wenn sie „das Tragen der persönlichen Ausrüstung und der Uniform“ beeinträchtigen oder den „unbehinderten Bewegungsablauf“ und die „volle Entfaltung der körperlichen Leistungsfähigkeit“ unmöglich machen.
Trans* ist kein Problem. Eigentlich
Theoretisch ist es also kein Problem, als trans* Mensch zu dienen. Anastasia Biefang vermutet, dass sich eine gesellschaftliche Entwicklung in der Truppe widerspiegelt, „eine neue Qualität des Umgangs und Offenheit mit sexueller Vielfalt und geschlechtlicher Identität“. Ob diese neue Qualität aber in die unteren Ränge durchgesickert ist, wo selbst Homosexuelle noch über Diskriminierung klagen, lässt sich schwer beantworten. Ob die theoretisch 1.300 Trans* vor dem Coming-Out zurückschrecken, sich gar nicht erst bewerben oder nicht eingestellt werden, bleibt ebenfalls unklar.
Barack Obama hat das Strafmaß für Chelsea Manning von 35 auf 7 Jahre reduziert. Begnadigt hat er sie nicht. Das heißt: Sie kommt zwar in wenigen Monaten frei, aber das Militär entlässt sie unehrenhaft. Sie wird nicht versichert sein, im Gegensatz zu anderen Veteran*innen keine Rente erhalten und keinen Anspruch auf medizinische Weiterbehandlung haben.
Sie muss ihre OP und die Nachsorge selbst bezahlen. Der neue Präsident Donald Trump hat sie vor Kurzem als Verräterin beschimpft und gesagt, sie hätte nie freigelassen werden sollen. Zurücknehmen kann er Obamas Entscheidung nicht.
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