piwik no script img

Tödlicher Angriff auf ukrainische KriegsgefangeneRaketeneinschlag und Rachedurst

Die Haftanstalt Olenivka in der „Volkrepublik Donetsk“ wurde schwer getroffen. Es folgten: gegenseitige Schuldzuweisungen und Drohungen.

Vor einem Gefängnis in Oleniwka Foto: dpa

Kiew taz | 50 ukrainische Kriegsgefangene sind am Freitag durch einen Raketenangriff auf die Haftanstalt Olenivka in der „Volkrepublik Donetsk“ ums Leben gekommen, 73 weitere wurden zum Teil schwer verwundet. Bis auf zwei Opfer wurden alle Toten und Verletzten namentlich bekannt gemacht. Dies berichtet Radio Liberty unter Bezugnahme auf eine Erklärung des russischen Verteidigungsministeriums.

US-amerikanische Himars-Raketen wären in der Haftanstalt eingeschlagen, so das russische Verteidigungsministerium. In dieser seien auch Kämpfer des Asow-Bataillons interniert. Mit dem Angriff, so die offizielle russische Version, habe die Ukraine ihre eigenen Kämpfenden einschüchtern, sie warnen wollen, sich nicht dem Feind zu ergeben.

Demgegenüber erklärte der ukrainische Generalstab, dass die Attacke auf die ukrainischen Kriegsgefangenen, bei denen niemand von den Wachhabenden zu Schaden gekommen ist, auf das Konto Russlands gehe.

Am Freitagabend beschuldigte der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte Söldner der russischen Gruppe „Wagner“, den Angriff auf die Strafkolonie ausgeführt zu haben. Erst zwei Tage zuvor waren die Kriegsgefangenen dorthin verlegt worden. Dieser Angriff habe der Verschleierung gedient. Man habe die Veruntreuung von Geldern und, wichtiger noch, die Folter ukrainischer Gefangener vertuschen wollen, so der Generalstab.

Foltervideo zeigt Kastration

Einen Tag zuvor war ein Video durch russische Telegram-Kanäle gegangen, das die Folter ukrainischer Gefangener in einer Haftanstalt zeigt. So ist auch die Kastration eines gefesselten Ukrainers zu sehen.

Als einer der ersten kommentierte der rechtsradikale Politiker Andrij Bilezkyj die Folter der ukrainischen Militärs, die zum großen Teil Kämpfer des einst von Bilezkyj selbst gegründeten Asow-Bataillons sein sollen.

„Die russische Führung stellte die Massentötung von Gefangenen als eine Aktion der ukrainischen Armee dar. Doch es ist offensichtlich, dass es sich hier um eine im Voraus geplante Tat eines Landes handelt, dem der Begriff der Offiziersehre unbekannt ist, geschweige denn die Einhaltung der Genfer Konventionen, der Regeln, Gesetze und Gebräuche des Krieges.“

Nun werden alle Asow-Einheiten, so der ehemalige Asow-Kommandeur, Jagd auf jeden machen, der an dem Massaker beteiligt war. „Wo auch immer ihr euch versteckt, ihr werdet gefunden und vernichtet werden“, droht Biletskyj.

Und der Blogger Denis Kasanski erklärt: „Ich habe das Video, das die Folter eines ukrainischen Kriegsgefangenen zeigt, gesehen. Den Autoren dieses Videos sei es gesagt: Ihr habt hoffentlich kapiert, was wir nun mit euren Leuten machen werden.“

Demgegenüber erklärt die ukrainische Menschenrechtlerin Tetiana Pechonchyk auf ihrer Facebook-Seite: „Die Verbreitung eines Videos, das zeigt, wie einem ukrainischen Soldaten die Genitalien abgeschnitten werden, ist eine weitere psychologische Operation des Feindes im Informationskrieg. Ziel ist es, bei den Ukrainern Wut, Rachedurst und den Wunsch zu wecken, das Gleiche mit den russischen Kriegsgefangenen zu machen.“ Doch die Ukraine dürfe sich nicht auch auf dieses Niveau herablassen, so die Menschenrechtlerin.

„Folter und Hinrichtung gehören zu den schlimmsten Kriegsverbrechen. Wenn wir als Reaktion auf die Handlungen des Feindes ebenso handeln, weichen wir nicht nur von den Grundsätzen des humanitären Völkerrechts, der zivilisierten Welt und den internationalen Normen ab, sondern ähneln auch einem Aggressorland, das sich auf die Seite der Barbarei und Grausamkeit stellt.“

Unterdessen hat die russische Botschaft in London einen umstrittenen Tweet vom Netz genommen. In diesem hatten Bewohner von Mariupol gefordert, Angehörige von „Asow“ zu hängen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Russland verweigerte heute dem Roten Kreuz Zugang, die Ukraine hatte eine internationale Untersuchung des Vorfalls gefordert. Ist wohl recht klar jetzt wer schuld ist.

    • @Machiavelli:

      Russland verweigert auch die Überstellung der Leichen.

  • Diese ggseitigen, unfassbaren Vorwürfe der Menschenrechts- u Kriegsrechtsverletzungen dürften zu dem moralisch Schäbigsten gehören, das man als Zeitgenosse je geboten bekam. Außer selbstverständlich diese Verbrechen als solche.



    Aber eine Seite lügt in dieser Sache.



    Und sie lügt mit der größten Selbstverständlichkeit eiskalter Mörder u Menschenschinder. Man könnte den Verstand verlieren, daß hier keine wirkliche Aufklärung betrieben werden kann.



    An spätermal nachfolgende, auch irgendwie international tätig werdende Gerichte habe ich noch nie glauben können weil es schlicht zu grotesk ist, wer alles sich solchen Gerichtsbarkeiten entziehen konnte. Es ist was faul an der Proklamation der Menschenrechte. Und vermutlich schon bei ihrer Proklamation gewesen. Und dieses Faule greift immer weiter um sich.

  • Wer die russische Armee in Friedenszeiten kennen gelernt hat, der traut ihr alles zu.

  • Und Russland freut sich, dass bei so einem Artikel von "gegenseitigen Schuldzuweisungen" gesprochen und der russischen Sichtweise des Vorfalls genauso viel Raum geben wird.

    • @gyakusou:

      Dabei ist die russische Version mal wieder in jeder Hinsicht unglaubwürdig. Weshalb sollte die Ukraine ihre eigenen, von den Russen gefangen genommenen Soldaten töten? Als ob noch irgendein vernünftiger Mensch von der Skrupellosigkeit des russischen Regimes überzeugt werden müsste.

  • Interessant ist schon, dass die Reaktion von einer Menschenrechtlerin erfolgt und nicht von einem Ukrainischen Militär. Nachdem ein Video um die Welt ging, das den Umgang mit normalen Russischen Wehrpflichtigen zeigte( Schüsse in die Beine), war dies zwangsläufig zu erwarten. Ich erinnere mich an ein Foto im Stern das eine ähnliche Situation im Bürgerkrieg in Liberia zeigte. Auch ein Grund mehr um die Pazifisten in Deutschland zu unterstützen. Schon Schiller wusste: Gefährlich ist es den Leu zu wecken…….



    Es ist der Mensch der anderen Menschen, in seinem Wahn, dies antut, egal ob Russe oder Ukrainer.

    • @Pepi:

      "Interessant ist schon, dass die Reaktion von einer Menschenrechtlerin erfolgt und nicht von einem Ukrainischen Militär. "



      Praktisch genauso wie die zitierte Menschenrechtlerin hat sich z.B. Präsidentenberater Aleksej Arestovich geäußert, mit einem konkreten Appell, dem Hass und den Rachegelüsten, die diese Mordtaten auslösen, nicht nachzugeben.

    • @Pepi:

      „Es ist der Mensch der anderen Menschen, in seinem Wahn, dies antut, egal ob Russe oder Ukrainer.“

      So ganz egal ist das nicht. Das fängt schon damit an, dass es mE schon ein Unterschied ist, ob hier Menschenrechtsverletzungen gegenüber Invasionstruppen oder gegenüber wehrlosen Zivilisten verübt werden. Darüber hinaus gehört das Foltern, Ermorden und Vergewaltigen bei den Russen zur Methode und wird ja vom Kreml noch belohnt, während die ukrainischer Seite derartige Vorfälle auch untersucht und sanktioniert hat.

      • @Barrio:

        Schönfärbereien und Relativierungen unterlassen. Es sind auf beiden Seiten Hooligans, die sich um solche Dinge nicht scheren, Autoritäten nicht akzeptieren (Wagner gehorcht nicht den russ. Generälen; Asow gehorcht nicht der ukr. Regierung) und ihren eigenen Kodex haben. Die Todesart der ermordeten Kriegsgefangenen entspricht nicht zufällig jener der Hooligans in Odessa, die am 2.Mai 2014 im Theater verbrannten. Das sind Privatkriege enthemmter Gewaltakteure, die von ihren Staaten nur bedingt kontrolliert werden. Muss man unterscheiden von den Massakern bei Kiew, wo reguläre russische Soldaten ebenso enthemmt und wahllos Zivilisten abgeschlachtet haben, was auf ukrainischer Seite so nicht passiert.

        Die Menschenrechtlerin steht sicherlich bald auf irgendeiner patriotischen Verräterliste. Jedenfalls bestimmt nicht sie, wie die ukrainischen Ultras reagieren, sondern Männer wie Biletskyj, und so schaukelt sich das weiter hoch. So eine Gewalt ist nicht mehr zu stoppen, und die ukrainische Regierung versucht das auch nur halbherzig (Morde an "Verrätern" durch Rollkommandos werden hochoffiziell belobigt, siehe Kreminna [de.wikipedia.org/wiki/Wolodymyr_Struk ]), die russische bekanntermaßen überhaupt nicht.

        • @Günter Picart:

          Der Kommentar wurde auf Wunsch des Verfassers_der Verfasserin gelöscht.

          Die Moderation