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Todesurteile in Saudi-ArabienSie wollten nur bleiben

Saudi-Arabien hat drei Männer zum Tode verurteilt. Der Grund: Sie ließen sich nicht für die Mega-Planstadt Neom vertreiben.

Hier, in der Wüste Saudi-Arabiens, soll bald die Planstadt Neom entstehen Foto: Bloomberg/getty images

Dschidda taz | Mitten in der Wüste plant die Regierung in Saudi-Arabien eine Stadt der Zukunft: Neom. Werbevideos zeigen einen gigantischen, geschlossenen Block, dessen Inneres grüne Pflanzen, klares Wasser und viele Menschen beleben. Doch der Bau kostet offenbar nicht nur Geld, sondern auch Menschenleben.

Ein saudisches Gericht hat drei Angehörige des Howeitat-Stammes zum Tode verurteilt, weil sie sich nicht vom Staat vertreiben lassen wollten, um für das rund 500 Milliarden Dollar teure Neom-Projekt Platz zu schaffen.

Shadli, Atallah und Ibrahim al Howeiti wurden am 2. Oktober vom saudischen Sonderstrafgericht zum Tode verurteilt, berichtet die Menschenrechtsorganisation ALQST.

Der Bau von Neom wurde bereits Ende 2017 angekündigt und begann im Januar 2018. Seitdem hatten die lokalen Behörden die Abrisspläne meist dementiert. Doch das Justizministerium erließ heimlich für alle Grundstücke von Privatpersonen, die in den Grenzen Neoms lagen, „Not­ankaufsanordnungen“.

Saudi-Arabien zieht alle Register

Die drei zum Tode verurteilten Männer wurden bereits 2020 verhaftet, weil sie gegen ihre Vertreibung protestiert hatten. Sie gehören zu den rund 150 Howeitat, die wegen ihres Protests gegen die Vertreibung im Gefängnis sitzen. Zwei weitere Angehörige des Stammes wurden außerdem zu einer 50-jährigen Haftstrafe verurteilt.

Doch der Staat zieht neben den Festnahmen und Verurteilungen weitere Register, um die Menschen aus dem Gebiet zu vertreiben: Stammesangehörige haben gegenüber internationalen Menschenrechtsgruppen bestätigt, dass regelmäßig Drohnen über die Provinz Tabuk im Nordwesten Saudi-Arabiens fliegen, wo sich zukünftig Neom sowie der kürzlich angekündigte Austragungsort der Asiatischen Winterspiele 2029 befinden werden. Manche Einwohner von Tabuk, die gegen die Vertreibung protestieren, glauben, dass ihre Mobiltelefone und Social-Media-Konten überwacht werden.

Auch die Wasser- und Stromversorgung wird gekappt, um den Vertreibungsprozess zu beschleunigen. „Das passiert überall, nicht nur im Norden“, erzählt ein Bewohner von Dschidda, einer Hafenstadt, die etwa 1000 Kilometer südlich der Stadt Tabuk liegt. Er möchte anonym bleiben. „Mehr als die Hälfte von Dschidda wurde innerhalb eines halben Jahres dem Erdboden gleichgemacht, um eine neue Stadt zu bauen, die die Welt beeindrucken soll.“ Viele Vertriebene hätten nur wenig Zeit gehabt, ihre Häuser zu verlassen.

„Die Regierung wird tun, was sie will, und das war’s. Sich dagegen zu wehren ist Selbstmord“, sagt einer, dessen Haus in Dschidda abgerissen wurde. Auch er möchte anonym bleiben. „So etwas gab es noch nie. Früher wurden wir angehört, und unser Wohlergehen hatte Priorität. Aber jetzt geht es nur noch um Habgier. Es geht nicht um uns. Um wen dann? Nur um reiche Unternehmen.“

Der Stamm der Howeitat und Menschenrechtsgruppen haben ihre Bedenken gegenüber den Unternehmen, die an Neom arbeiten, geäußert: Etwa in einem offenen Brief an drei Beratungsunternehmen. Darin forderten sie, die Zusammenarbeit auszusetzen, „bis und solange“ die Menschenrechtsbedenken ausgeräumt sind.

Wer in Saudi-Arabien gegen Menschenrechtsverletzungen protestiert, begibt sich in Gefahr. Die Regierung des Königreichs unterbindet weiterhin die Äußerung von abweichenden Meinungen.

Er wusste, dass er sterben wird

Adel al-Saeed, Vizepräsident der Europäisch-Saudischen Organisation für Menschenrechte, erklärte in einer Reihe von Nachrichten auf Twitter: Die Urteile zeigten, wie Strafen „in einer noch nie dagewesenen Weise eingesetzt werden, um alle Formen des Widerspruchs gegen Regierungsentscheidungen einzuschließen“.

Auch der Bruder vom zum Tode verurteilten Shadli al Ho­wei­ti, Abdul Rahman al Howeiti, wurde im April 2020 von saudischen Spezialkräften erschossen. Seinen Protest hatte er in den sozialen Medien dokumentiert, unter anderem Bilder von Polizisten geteilt, die ohne seine Zustimmung auf sein Land und in sein Haus gekommen waren.

Er bezeichnete die Räumung als einen Akt des „Staatsterrorismus“ und erklärte – wenige Tage vor seinem Tod –, er könne sich vorstellen, dass die Behörden ihn ermorden und zu einem Terroristen erklären würden. Der Vorfall soll von Verwandten und Nachbarn beobachtet worden sein.

Auch Videoaufnahmen aus dem Haus des Getöteten sollen zeigen: Die Sicherheitskräfte setzten bei der Durchsuchung des Anwesens Gewalt und scharfe Munition ein, berichtet die Menschenrechtsorganisation Mena Rights.

„Es herrschte keine Klarheit und es gab nicht genug Zeit. Nicht dass das eine Rechtfertigung wäre, aber die Regierung kümmert sich einfach nicht darum, die Räumungen auf eine Art und Weise erfolgen zu lassen, die den geringsten Schaden anrichtet“, sagt ein Einwohner von Tabuk, der Angehörige des Stammes kennt. „Sie werden jeden verhaften, verschwinden lassen oder töten, der anderer Meinung ist. Die Regierung kümmert sich nicht um das saudische Volk“.

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11 Kommentare

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  • "Geleitet werden soll das Projekt von einem Deutschen: Der ehemalige Siemens-Chef Klaus Kleinfeld wird Vorstandschef der Projektgesellschaft "Neom". Der 59-Jährige war im April als Chef des US-Metallkonzerns Arconic zurückgetreten."

    www.tagesschau.de/...megastadt-101.html

  • "in einer noch nie dagewesenen Weise" und "gab es noch nie" sind die Formulierungen, die mir am meisten Angst machen in dem Artikel. Dass das ein autoritäres und gewaltbereites Regime ist, konnte man wissen, schlimm genug. Aber wenn Menschen, die dort aufgewachsen sind, die dort leben oder die Situation dort sehr genau kennen, sagen dass es das noch nie gab, klingt das übel. Die Männer wurden nicht aus religiösen oder moralischen Gründen hingerichtet (was es kein bisschen besser machen würde) sondern um ein Prestigeprojekt umzusetzen. Das wirkt gruselig dystopisch. Wenn die deutsche Regierung dazu schweigt, um so bitterer.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    "Die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen haben Vorrang vor dem Transport und der Infrastruktur, anders als bei herkömmlichen Städten."

    Zitat aus der Webseite des Projektes "Neom":



    DIE ZUKUNFT DES URBANEN LEBENS



    www.neom.com/de-de/regions/theline

  • Pech für Shadli, Atallah und Ibrahim al Howeiti, dass sie von Saudi Arabien zum Tode verurteilt worden sind, denn Saudi Arabien hat viel, viel Öl (die Russen auch, aber sie sind sehr, sehr böse), und deshalb ist Saudi Arabien ein eigentlich-nicht-so-netter-Partner-aber-immerhin-ein-Partner.

    Oder vielleicht irre ich mich, und Frau Baerbock plant, wie man Saudi Arabien ruinieren kann.

    • 6G
      652797 (Profil gelöscht)
      @Bescheidener Kunsthandwerker:

      Das gleiche mit Aserbaidschan. Es ist wohl schwieriger als man denkt zuverlässige Partner zu finden, die die Menschenrechte etwas achten.

      • @652797 (Profil gelöscht):

        Ich vermute, dass mit Aserbaidschan die Lage noch komplizierter wäre. Eine eventuelle Gasfernleitung (wie die einst geplante Nabucco West Pipeline) von Aserbaidschan nach Deutschland würde bedeuten, dass Deutschland sich nicht nur mit dem Lieferer (Aserbaidschan) verständigen müsste, sondern auch mit unzähligen Transitändern: Georgien, Türkei, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Österreich. Glatte Beziehungen hat Berlin nur mit Wien, soweit ich weiß. Der Rest der Transitländern kann wirklich kompliziert sein: einige greifen Nachbarländer an (Aserbaidschan, Türkei), die anderen sind mehr oder weniger unstabil.

  • Na hoffentlich sind deutsche Unternehmen angemessen am Bau von Neom beteiligt. Und Schwerter zum Köpfe abschlagen können wir bestimmt auch liefern...

  • 8G
    82286 (Profil gelöscht)

    Es gibt Millionen kluge Menschen auf der Welt. Die einen sagen so, die anderen sagen so. Ich bin auf der Seite derer, die "so" sagen, Also alles auf möglichst kleinster Flamme kochen. Über diese gegensätzlichen Einstellungen können wir noch fair diskutieren.



    Die Frage, die sich für mich stellt ist die: Haben die Menschen in der Ukraine nicht mehr Respekt und und Anteilnahme verdient als sich das Andienen von einem Verbrecher an den anderen, nur für eine warme Wohnstube? Wobei ein ganz praktikabler und Ratschlag mit warmen Socken und Pullover schon als unzumutbar angesehen wird.

  • Winterspiele in der Wüste? Ok. mit dem Snow die Sanddüne runter geht zwar aber echt jetzt? Die IOC genauso korrupt wie die FIFA? Das ergibt doch alles keinen Sinn, außer dass sich irgendwelche Funktionäre bereichern.

    • @Karlheinz:

      Die Frage der Korruption des asiatischen Olympia-Komitees mal außer Acht gelassen, war die Wüstengegend wohl der einzige Kandidat, aus welchem Grund auch immer sich sonst keiner getraut hat:



      www.tagesschau.de/...diarabien-101.html

  • 8G
    82286 (Profil gelöscht)

    "Die Sicherheitskräfte setzten bei der Durchsuchung des Anwesens Gewalt und scharfe Munition ein, ".



    Der Begriff "Sicherheitskräfte" taucht immer dann auf, wenn es um Mord und Totschlag gegen die jeweils eigene Bevölkerung geht.



    Können wir nicht wenigstens hier inne taz das so benennen was sie sind?: Mörderbanden in der Hand von Diktatoren.