Todesurteile gegen Frauen in Iran: Sitzstreik und Scheinhinrichtungen
In Teheran protestieren weibliche Gefangene gegen Todesurteile. Die Amtseinführung des neuen Präsidenten Pezeshkian verspricht wenig Hoffnung.
An diesem Dienstag soll Massoud Pezeshkian im Parlament als neuer Präsident der Islamischen Republik Iran vereidigt werden. Seine Amtseinführung steht im Schatten einer neu aufkommenden Hinrichtungswelle und Protesten in den Gefängnissen. Mindestens 27 Personen wurden laut dem persischsprachigen Londoner TV-Sender „Iran International“ innerhalb von sechs Tagen hingerichtet.
Immer häufiger sind auch Frauen betroffen. Zum ersten Mal seit 14 Jahren wurden nun auch zwei Frauen wegen politischer Anklagepunkte zum Tode verurteilt: die Arbeiteraktivistin Sharifeh Mohammadi und die kurdische Sozialarbeiterin Pakhshan Azizi, beide wegen angeblichen bewaffneten Widerstands.
Azizi, die bereits im November 2009 vier Monate lang inhaftiert war, wurde im August 2023 festgenommen und befindet sich nun im Teheraner Evin-Gefängnis. Ein Rechtsanwalt ihrer Wahl wurde ihr laut der Menschenrechtsorganisation Hengaw verweigert, auch habe das Gericht keine Beweise für seine Anschuldigung vorgelegt.
Frauen in Evin beginnen Sitzstreik
In einem veröffentlichten Brief Azizis ist die Rede von Folter in Verhören. Auch habe sie mehrfach Scheinhinrichtungen durchleben müssen. „Ich wurde wiederholt gegen einen Stuhl gestoßen. Beleidigungen, Demütigungen, Verhöre und Drohungen erfüllten den Raum unter den schlimmsten geistigen und körperlichen Bedingungen“, heißt es in dem Brief.
Das Todesurteil gegen Azizi sorgte für Proteste. Die weiblichen politischen Gefangenen des Evin-Gefängnisses begannen in der Nacht vom 24. auf den 25. Juli, einen Tag nach Verkündung des Urteils, einen Sitzstreik im Gefängnishof. Zu den Streikenden zählen unter anderem die Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi sowie die deutsche Staatsbürgerin Nahid Taghavi, die seit 2020 in Iran inhaftiert ist.
„Das Todesurteil gegen Pakhshan Azizi ist ein Stück weit ein Schlag für alle dort inhaftierten politischen Gefangenen“, erklärt Mariam Claren, die Tochter Taghavis, im Gespräch mit der taz. Für ihre Mutter sei es daher eine „Selbstverständlichkeit“, sich am Streik zu beteiligen.
Taghavis gesundheitlicher Zustand „katastrophal“
Bei dem Protest weigerten sich die Gefangenen, abends in ihre Zellen zurückzukehren, und verweilten stattdessen die Nacht über im Gefängnishof. Am Wochenende wiederholten sie diesen Streik. „Es kann sein, dass es Bestrafungen gibt, wie Abbruch der Telefonate und des Besuchsrechts, bis hin zu neuen Akten, die gegen sie eröffnet werden“, erklärt Claren.
Auch der Gesundheitszustand der fast 70-jährigen Taghavi sei katastrophal. Sie leide immer wieder an Infektionskrankheiten, habe Bandscheibenvorfälle, könne ihren linken Arm kaum bewegen. „Die knapp vier Jahre Gefängnis und davon sieben Monate Isolation haben ihre Spuren hinterlassen“, so Claren.
Der Sitzstreik im Evin-Gefängnis erreichte schließlich auch die politischen Gefangenen des Ghezel-Hesar-Gefängnisses, in Karadsch, westlich von Teheran, in dem derzeit die meisten Hinrichtungen vollstreckt werden.
Gefangene schließen sich „Schwarzen Dienstagen“ an
„Auch wir Gefangene schließen uns den Protesten der politischen Gefangenen im Frauentrakt des Evin-Gefängnisses an und verurteilen die Verletzung des Rechts auf Leben des iranischen Volkes durch die Hinrichtungsmaschinerie“, heißt es in einem veröffentlichten Brief. Die Streikenden fordern darin die Abschaffung der Todesstrafe in Iran und rufen die internationale Gemeinschaft auf, sich dieser Forderung anzuschließen.
„Der Widerstand, der Kampf und die Freiheitsbewegung gehen auch im Gefängnis weiter“, so Claren. Die Todesurteile gegen Mohammadi und Azizi erhöhen ihre Sorge vor einer neuen Eskalationsstufe. Für Claren ist es kein Zufall, dass ausgerechnet eine Kurdin und eine Arbeiteraktivistin zum Tode verurteilt wurden: „Sowohl die Arbeiterbewegung als auch die kurdische Bewegung sind die organisiertesten und widerstandsfähigsten.“
Hoffnung auf Verbesserung durch den neuen Präsidenten haben weder die Inhaftierten noch Mariam Claren. „Pezeshkian ist einfach nur eine Maske, die mal wieder aufgesetzt wird, um dem Westen zu suggerieren, dass sie eine legitime Regierung sind“, sagt sie. Inzwischen haben die Frauen im Evin-Gefängnis angekündigt, in den Hungerstreik zu treten. Sie schließen sich damit der Kampagne der „Schwarzen Dienstage“ an, die Anfang des Jahres vom ebenfalls gefangenen Menschenrechtsaktivisten Ahmadreza Haeri und anderen ins Leben gerufen wurde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour