Todesstrafe in Iran: Getötet, um abzuschrecken
Irans Regime hat erstmals seit 2016 mehr als 600 Menschen hingerichtet. Die Tötungen sollen die Bevölkerung in Angst versetzen.
Der 44-jährige Kurde aus Mahabad hinterlässt zwei Kinder. Unter Terrorismusvorwürfen, die bis heute nicht belegt worden sind, waren sechs seiner Freunde im Jahr 2009 festgenommen worden. Als sich Abesteh daraufhin bei den iranischen Behörden über ihren Zustand informieren wollte, wurde er ebenfalls festgenommen. Seine Freunde erhielten später ebenfalls die Todesstrafe, derzeit droht akut die Vollstreckung.
Abestehs Schicksal reiht sich ein in eine Hinrichtungswelle, die das gesamte Land betrifft. In den ersten neun Novembertagen wurden mindestens 45 Personen hingerichtet, berichtet die in Norwegen ansässige Menschenrechtsorganisation Hengaw. Während es im gesamten Jahr 2022 insgesamt 582 registrierte Hinrichtungen gab, sind es in diesem Jahr schon jetzt mehr: Allein in den ersten zehn Monaten des Jahres 2023 wurden laut der Organisation Iran Human Rights mindestens 604 Personen hingerichtet. Damit überschreitet die Islamische Republik zum ersten Mal seit 2016 wieder die Marke von 600 Hinrichtungen in einem Jahr.
Betroffen sind vor allem Gefangene aus der kurdischen und der belutschischen Minderheit, die aufgrund ihrer Ethnie seit Jahrzehnten von repressiven Maßnahmen und Diskriminierung betroffen sind. Laut Amnesty International machen den Großteil der vollstreckten Todesurteile zwar Hinrichtungen wegen angeblicher Drogendelikte aus. Doch Beobachter*innen und Menschenrechtsaktivist*innen betonen, dass auch diese Hinrichtungen ein Instrument der Einschüchterung sind und als politisch betrachtet werden müssen.
Ein Brief aus dem Gefängnis
Nachdem Abesteh zur Ausführung der Exekution in Einzelhaft verlegt worden war, wandten sich einige politische Gefangene aus seinem Gefängnis mit einem Brief an die Weltöffentlichkeit. Darin schildern sie das Schicksal des Familienvaters und rufen dazu auf, Verbrechen nicht im Dunkeln geschehen zu lassen: „Lasst es bitte nicht zu, dass die momentane Lage und das Feuer des Krieges den Weg für die Hinrichtung und den staatlichen Mord an einem Mitmenschen in diesem Land ebnet.“
Die Verfasser beziehen sich hierbei offenbar auf den Krieg in Israel und Palästina, der andere internationale Ereignisse derzeit zu überschatten scheint. Doch der Hilferuf wurde nicht gehört. Am nächsten Morgen wurde Abesteh hingerichtet.
Unter den Hingerichteten sind mindestens sieben Protestierende der „Frau-Leben-Freiheit“-Bewegung, die ab vergangenem Herbst für Schlagzeilen sorgte. National und international hatte es nach deren Tötung Empörung gegeben. Die EU verhängte weitere Sanktionen. Die Machthaber in Teheran änderten daraufhin die Strategie: Vor allem in der Öffentlichkeit unbekannte Gefangene wurden in einem rasanten Tempo hingerichtet.
Gleichzeitig verhängt die Justiz weitere Todesurteile. Aktuellen Berichten zufolge wurde kürzlich eine Frau namens Mitra wegen angeblicher außerehelicher Beziehungen zum Tode verurteilt. Dies berichtete unter anderem die staatliche Zeitung Iran.
Pogrome an Sexarbeiter*innen in der Vergangenheit
Schon in der Vergangenheit reagierte das Regime nach Aufständen mit massiven Repressionen. Seit der Gründung der Islamischen Republik im Jahr 1979 wird das Instrument der Hinrichtung gegen die eigene Bevölkerung und vor allem gegen die Opposition eingesetzt.
Wenige Monate nach der Revolution von 1979 wurden Pogrome an den Sexarbeiter*innen des Teheraner Stadtteils Shahr-e No verübt, bei denen unter anderem eine Frau namens Sakine Ghasemi, die als Pari Bolandeh bekannt war, inhaftiert wurde. Sie wurde der „Korruption auf Erden“ bezichtigt und hingerichtet – ein Anklagepunkt, der in den letzten 44 Jahren gegen viele Menschen vorgebracht wurde.
Dabei scheint das Regime keine Unterschiede zu machen zwischen Aktivist*innen, Sexarbeiter*innen oder auch Dieb*innen. 2013 empörte die öffentliche Hinrichtung von Alireza Mafiha und Mohammdali Sarvari in einem Teheraner Park die Welt. Sie sollten eine Handtasche gewaltsam gestohlen haben. Beide waren keine 25 Jahre alt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart