Tod eines Syrers bei Brand im Gefängnis: Polizei machte schwere Fehler
Ein zu Unrecht inhaftierter Flüchtling aus Syrien starb bei einem Brand in seiner Zelle. Jetzt entschuldigt sich NRW-Innenminister Herbert Reul.
Der Bürgerkriegsflüchtling hatte schon am 17. September in der Justizvollzugsanstalt Kleve schwerste Verbrennungen erlitten. Am 29. September erlag er in der Bochumer Unfallklinik Bergmannsheil seinen Verletzungen. Zuvor hatte er mehr als zwei Monate zu Unrecht in Haft gesessen.
Ein von der Staatsanwaltschaft Hamburg wegen schweren Diebstahls und nicht bezahlter Geldstrafen mit zwei Haftbefehlen gesuchter Mann aus Mali hatte den Namen des Syrers als Tarn-Aliasnamen benutzt. Eine Überprüfung „mit den polizeilichen Fahndungsbeständen“ habe deshalb einen Treffer ergeben, sagte Reul.
Fotos und Geburtsorte der beiden Männer hätten die ihm unterstellten Polizeibeamten dann nicht mehr abgeglichen, räumte der Innenminister ein – ebenso wenig wie „Phänotypus, Haarfarbe, Augenfarbe, Größe, Tätowierungen“. All das sei „ein schwerer Fehler der Polizei“, sage Reul: „So etwas darf nicht passieren.“ Er bitte „die Familie des Verstorbenen von ganzem Herzen um Entschuldigung“.
Kein Grund für eine mehrmonatige Inhaftierung
Er selbst habe aber das Versagen der Polizei „sofort erkannt, sofort benannt“ und „sofort Konsequenzen gezogen“, rechtfertigte sich Reul. Gegen die Polizeibeamten liefen nicht nur Ermittlungen wegen Freiheitsberaubung im Amt, sondern auch Disziplinarverfahren.
Weiter gab Reul an, dass der verstorbene Syrer wegen Raubs und Bedrohung bereits polizeibekannt gewesen sei. Konkreter Anlass seiner Festnahme sei eine „Beleidigung auf sexueller Grundlage gewesen“ – an einem Badesee soll er vier Frauen belästigt haben. Ein Grund für eine mehrmonatige Inhaftierung wäre das aber nicht gewesen.
Für Aufregung sorgte im Ausschuss ein Bericht von Zeit Online, nach dem die Zelle des Syrers erst am 2. Oktober, also zweieinhalb Wochen nach Ausbruch des Feuers, von einem unabhängigen Brandsachverständigen untersucht wurde – zwischenzeitlich wurden deshalb von Seiten der SPD sogar Forderungen nach einem Rücktritt von NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) laut.
Ein Mitarbeiter des Ministers beruhigte die Situation aber mit dem Hinweis, das zuständige Fachkommissariat der Klever Polizei habe am 24. September den Haftraum untersucht und dabei die Matratze als Brandherd identifiziert. Außerdem sei die Zelle versiegelt worden.
Keine schlüssigen Antworten
Dennoch bleibt damit die theoretische Möglichkeit, dass Polizisten so ihre Kollegen schützen konnten: Spuren eventuell eingesetzter Brandbeschleuniger verfliegen sehr schnell und sind nach Wochen nur schwer nachweisbar. Um Manipulationen durch die Klever Polizei auszuschließen, ermitteln in dem Fall mittlerweile Beamte aus Krefeld.
Justizminister Biesenbach selbst versuchte immer wieder, die Verantwortung für die Verwechslung und die unrechtmäßige Inhaftierung des 26-Jährigen der Polizei zuzuweisen. Den Justizvollzugsanstalten würden Gefangene zugewiesen, eine eigenständige, nochmalige Überprüfung der polizeilichen Identifizierung erfolge routinemäßig nicht.
Nachfragen des rechtspolitischen Sprechers der grünen Landtagsfraktion, Stefan Engstfeld, warum den Gefängnis-Mitarbeitern die Verwechselung eines Syrers mit einem Gesuchten aus Mali nicht trotzdem auffiel, beantworteten dagegen weder Biesenbach noch seine MitarbeiterInnen schlüssig.
Justiz zahlt keine Beerdigung
Der Leiter der Landesvollzugsdirektion, Gerhard Marx, musste stattdessen einräumen, dass der verstorbene Syrer in der Haft mindestens einmal auf die Verwechselung hingewiesen habe. „Das Urteil betreffe ihn nicht, er sei nie in Hamburg gewesen“, notierte eine Gefängnispsychologin in Kleve.
Dennoch wurde er erst elf Tage nach dem Brand, einen Tag vor seinem Tod, nach einer erneuten Überprüfung seiner Identität offiziell „enthaftet“. Damit muss die Justiz nun nicht für die Beerdigungskosten aufkommen. Der eigentlich gesuchte Mann aus Mali ist dagegen offenbar weiter auf freiem Fuß.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen