Tod des Kreml-Kritikers Nawalny: Gift statt Herzversagen

Im Fall des russischen Oppositionellen Alexei Nawalny sind neue Dokumente aufgetaucht. Diese lesen sich ganz anders, als die offizielle Version.

Frau in stillem Gedenken vor einem Bild, das auf einer Staffelei steht

Julia Nawalnaja bei einem Gottesdienst für ihren verstorbenen Ehemann Alexei am 4. Juni 2024 in der St. Marienkirche in Berlin Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Moskau taz | „Herzversagen nach einem Kreislaufkollaps“, hatten die Behörden auf den Totenschein geschrieben. Die Leiche des russischen Oppositionspolitikers Alexei Nawalny hielten sie tagelang zurück. Es war Nawalnys Mutter, Ljudmila Nawalnaja, die auch nach dem Tod ihres Sohnes wie eine Löwin für den Sohn kämpfte und bürokratische Gefechte mit den Behörden austrug, bis die Familie ihn am 1. März dieses Jahres beerdigen konnte. Der Totenschein hatte bereits damals Kopfschütteln ausgelöst. Einer wie Nawalny könne nicht einfach so umfallen und sterben, sagten nicht nur seine Anhänger*innen.

Am 16. Februar 2024 war der Kreml-Kritiker in der Strafkolonie „Polarwolf“ im Dörfchen Charp hinter dem Polarkreis zusammengebrochen. „Alexei Nawalny ist in der Strafkolonie gestorben“, lauteten die Eilmeldungen. Ermordet worden sei er, betonten seine Anhänger*innen, Weggefährten, Hinterbliebene. Ob nun direkt oder indirekt getötet, denn allein die Haftbedingungen in einem der härtesten Lager des Landes waren auf die Vernichtung der Person Nawalny ausgelegt.

Er aber trat auch noch einen Tag vor seinem Ableben per Videoschalte in einem Gerichtsprozess auf und führte die Staatsführung und die Justiz vor. Und dann soll einfach sein Kreislauf nicht mehr mitgespielt haben? Ein Blutgerinnsel zum Tod geführt haben, wie Russlands Pro­pa­gan­dis­t*in­nen fast schon genüsslich verbreiteten?

An dieser Version hatte es von Anfang an Zweifel gegeben, zumal Nawalnys Frau Julia, längst nicht mehr in Russland, angab, ihr Mann habe in den letzten Minuten seines Lebens über starke Bauchschmerzen geklagt.

Erbrechen und Krämpfe

Auf diese Bauchschmerzen weisen aufgetauchte offizielle Dokumente hin, an die das exilrussische Rechercheportal The Insider gelangt ist. Es sind offenbar hunderte Seiten aus den Ermittlungsakten zum Tod Nawalnys. In einer Version steht da, Nawalny habe bei einem Hofgang über starkes Bauchweh geklagt, sei dann in seine Zelle zurückgeführt worden, habe sich auf den Boden gelegt, erbrochen und Krämpfe bekommen. Die Wiederbelebungsversuche in der Sanitätsabteilung seien erfolglos gewesen.

Vom Erbrochenen und Essen seien Proben genommen worden. Unterschrieben sind die Dokumente vom Ermittlungsbeamten Alexander Warapajew. Wie auch die Dokumente, die dieser später der Familie überreichte, nun mit der offiziellen Version, in der sich weder Erbrechen noch Krämpfe finden.

Nach Ausführungen des Arztes Alexander Polupan, der 2020 zum russischen Ärzteteam gehörte, das Nawalny nach seiner Vergiftung mit Nowitschok in Omsk untersuchte, sprechen die Symptome in der Strafkolonie von Charp für eine weitere Vergiftung Nawalnys. Offenbar aus der Kategorie der organischen Phosphorverbindungen, zu der auch Nowitschok gehört, wie Polupan The Insider mitteilte.

Alle Ausführungen über die letzten Lebensminuten Nawalnys und die entnommenen Proben seien aus späteren Dokumenten verschwunden, schreibt The Insider. Warapajew, der sich tagelang weigerte, Nawalnys Leiche herauszugeben, hatte Julia Nawalnaja in diesem Sommer mitgeteilt, dass keine Hinweise auf Gewalteinwirkungen vorlägen.

Für die Behörden war der Fall Nawalny damit abgeschlossen. Für sie stand fest, dass der 47-Jährige nach einem Bluthochdruckschub an Herzrhythmusstörungen gestorben sei. Viele chronische Erkrankungen hätten dazu geführt. Julia Nawalnaja hatte diese Erklärungen zurückgewiesen, da bei ihrem Mann all die aufgeführten Krankheiten nie diagnostiziert worden seien. Nun will The Insider weiter recherchieren und die an dem Tod Beteiligten ausfindig machen.

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