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Till Lindemann Autogrammstunde in BerlinVon der „Row Zero“ will niemand etwas wissen

Nach Protestankündigungen verlegte der Rammstein-Sänger eine Autogrammstunde aus dem Szeneclub Astra nach Pankow. Dort blieb er weitgehend unbehelligt.

Ungebrochener Hype: Fans warten auf ein Lindemann-Autogramm in Pankow Foto: dpa | Jens Kalaene

Aus Berlin

Gabrielle Meton

Beinahe hätte man meinen können, die Schlange im Ortsteil Wilhelmsruh im Westen Pankows sei die vor dem Eingang eines Clubs. Doch am Ende der Menschenschlange wartet kein Türsteher vor einem verrauchten Gang, sondern Till Lindemann und Joey Kelly. Der Rammstein-Frontmann und das Mitglied der Kelly-Family sind am Montagnachmittag hier, um ihren neuen Bildband zu promoten.

Die ersten Fans sind bereits vor über fünf Stunden angekommen, die anderen haben einen Vorsprung von zwei Stunden. Einige seien sogar schon am Vortag mit dem Wohnmobil angereist, um vor Ort zu campen. Entlang der Hälfte der Hertzstraße warten mehr als hundert Menschen. Cathrin ist extra aus Leipzig angereist. Seit 30 Jahren ist der Rammstein-Sänger ihr Idol. Für diejenigen, die Till Lindemann Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe vorwerfen, habe sie keinerlei Verständnis. „Die haben sich heute nicht getraut zu kommen, sie wussten, dass es so viele Fans geben würde!“, sagt sie.

Vielleicht wollten sich die Lindemann-Gegner:innen auch die Fahrt nach Wilhelmsruh ersparen. Ende September war bekannt geworden, dass der Rammstein-Sänger sein jüngstes Buch im linksalternativen Astra Kulturhaus auf dem RAW-Gelände signieren wollte. „WTF Astra??“, kommentierten empört Nut­ze­r:in­nen online. In den sozialen Netzwerken rief das Bündnis „Keine Show für Täter“ zu Protesten auf.

Wenige Tage vor der Veranstaltung kündigte Lindemann an, die Signierstunde an einen vertrauten Ort zu verlegen: den Rammstein-Shop. Von wütendem Protest ist heute auf dem Gelände des ehemaligen Metallwalzwerks nicht mehr viel übrig. Keine feministischen Demos oder Protestaktionen in Sicht. Höchstens ein paar Passanten und Autofahrer, welche die geduldig Wartenden fragen, was vor dem Gebäude los sei.

Nachvollziehbarer Boykott

Zu der Schlange kommen immer neue Leute hinzu. Für die meisten ist die Sache damit erledigt: „Es gab nichts strafrechtlich Relevantes.“ Oder: „Es ist nichts bewiesen.“ Und: „Die Mädchen waren volljährig, sie wussten, was sie taten.“ Oder sonst anders: „Es liegt in der Verantwortung der Eltern, Minderjährige auf das Konzert gehen zu lassen.“ „No comment“, sagt Ali mit einem verlegenen Lächeln, als die Row Zero angesprochen wird. Erst nach einem Prozess könne er sich eine Meinung dazu bilden. Doch im Fall Lindemann wird es wohl keinen weiteren geben. Die Justiz hat den Fall geprüft und eingestellt.

Rammstein-Bier, Rammstein-Hosen, Rammstein-Öko-Cups, Rammstein-Tote-Bags: Überglückliche Fans verlassen den Laden mit vollen Taschen. Emma kommt mit einem breiten Lächeln im Gesicht aus dem Backsteinhaus. Ihre 20 Sekunden mit „Till“ waren „unfassbar geil“. Das Buch hat sich die 17-Jährige selbst von ihrem Taschengeld für gerade einmal 98 Euro gekauft. Ihre Mutter begleitete sie mit wenig Begeisterung.

Die Texte findet sie für Minderjährige ungeeignet und sie kann die Boykottaufrufe nachvollziehen. „Das in der Warschauer Straße organisieren zu wollen, war ja auch eine klägliche Idee …“, sagt sie.

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11 Kommentare

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    Die Moderation          

  • (...)

    Mal abgesehen davon, dass das der reinste Kommerz ist: Es wird in diesem Zusammenhang oft der Eindruck erweckt, als sei Rammstein rechts. Das scheint etwas irreführend zu sein. Rammstein hat offensichtlich viele Kontakte zur linken Kulturszene, bspw. die amerikanische Gitaristin Dani Sophia, Nele Lindemann und Sibylle Berg, die Mitarbeit Lindemanns an der Inszenierung von "Hänsel und Gretel" im Thalia-Theater über die Verwahrlosung und Verfettung von Kindern im Kapitalismus usw.

    Es sieht so aus, als ob die Sache für Rammstein die Wirkung eines gelungenen PR-Stunts entfaltet und deshalb noch mehr Geld gehamstert wird. Deswegen möchte ich anregen, sich auch einfach mal nach anderen Bands umzusehen. Für Leute, denen dazu nichts einfällt, ein Vorschlag:



    youtu.be/SKqW4siZB...i=34HOMDQL8gFVwYii

    Der Kommentar wurde gekürzt.



    Die Moderation

  • Schon traurig, dass inzwischen offenbar wieder der private Lebenswandel von Menschen Anlass zur öffentlicher Ausgrenzung wird.



    Denn rechtlich ist an der ganzen "Sache" ja nichts problematisches dran, wie ja ausgiebig geklärt wurde.

    • @T-Rom:

      Naja... Frauenhandel auf Konzerten, von mehreren Beteiligten organsiert und vor tausenden Konzertgängern praktiziert, finde ich jetzt nicht sooo privat aber ja, rechtlich ist alles geklärt: Wenn nur genug Kohle eingesetzt wird um sich Recht zu kaufen, wo LindeMANn unrecht handelt. Schon traurig wenn Victim Blaming derart zur männlichen Unkultur gehört, dass sich Foristen im nacheilenden Gehorsam auf die Seite von Vergewaltigern stellen…

  • Bitte helft mir weiter. Ein Vorwurf wurde gegen Lindemann getätigt, die Staatsanwaltschaft muss die Ermittlungen einstellen weil sie nichts finden.



    Wann gilt man also wieder für Unschuldig?

    • @Kant Unbe:

      Es waren wohl etwas mehr als ein Vorwurf. Um Ihre Frage zu beantworten, in Lindemanns Fall ist die Unschuldsvermutung wiederhergestellt wenn mit genügend Zaster, genügend hochpreisige Anwälte, genügend Opfer einschüchtern und mit existenzbedrohlichen Schadenersatzforderungen bedrohen… Unschuld ist nicht billig aber in Lindemanns Fall war sie ein Schnäppchen. Sie können nicht wirklich so naiv sein… 😉

  • "Von der „Row Zero“ will niemand etwas wissen" stimmt ja so nicht. Es mag zwar fuer die Protestierenden, die Fans und die Gerichte gelten, aber es gibt ja noch die TAZ.

  • Merz & Co könnten in Pankow beginnen, das Stadtbild zu pflegen und ihre Töchter gegen Tills Peniskanone zu verteidigen …

  • Das wissen die Fans schon alle.



    Warum kommt nur der Protest gegen diese eklige Band nicht nach Pankow hinterher?

    • @Land of plenty:

      Eklige Band?



      Haben Sie sich überhaupt jemals Songs von Rammstein richtig angehört, oder sind Sie auch nur jemand, der sich hier an der Hexenjagd beteiligt, ohne überhaupt recherchiert zu haben?



      Anscheinend nicht.



      Traurig.

      • @Fabienne B.:

        Ich finde die Band auch nicht eklig. Eklig sind z. B. für viele Asseln, und die können nichts dafür.



        Die Band ist eher widerlich, denn sie will so sein, wie sie ist.