Till Lindemann Autogrammstunde in Berlin: Von der „Row Zero“ will niemand etwas wissen
Nach Protestankündigungen verlegte der Rammstein-Sänger eine Autogrammstunde aus dem Szeneclub Astra nach Pankow. Dort blieb er weitgehend unbehelligt.
Beinahe hätte man meinen können, die Schlange im Ortsteil Wilhelmsruh im Westen Pankows sei die vor dem Eingang eines Clubs. Doch am Ende der Menschenschlange wartet kein Türsteher vor einem verrauchten Gang, sondern Till Lindemann und Joey Kelly. Der Rammstein-Frontmann und das Mitglied der Kelly-Family sind am Montagnachmittag hier, um ihren neuen Bildband zu promoten.
Die ersten Fans sind bereits vor über fünf Stunden angekommen, die anderen haben einen Vorsprung von zwei Stunden. Einige seien sogar schon am Vortag mit dem Wohnmobil angereist, um vor Ort zu campen. Entlang der Hälfte der Hertzstraße warten mehr als hundert Menschen. Cathrin ist extra aus Leipzig angereist. Seit 30 Jahren ist der Rammstein-Sänger ihr Idol. Für diejenigen, die Till Lindemann Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe vorwerfen, habe sie keinerlei Verständnis. „Die haben sich heute nicht getraut zu kommen, sie wussten, dass es so viele Fans geben würde!“, sagt sie.
Vielleicht wollten sich die Lindemann-Gegner:innen auch die Fahrt nach Wilhelmsruh ersparen. Ende September war bekannt geworden, dass der Rammstein-Sänger sein jüngstes Buch im linksalternativen Astra Kulturhaus auf dem RAW-Gelände signieren wollte. „WTF Astra??“, kommentierten empört Nutzer:innen online. In den sozialen Netzwerken rief das Bündnis „Keine Show für Täter“ zu Protesten auf.
Wenige Tage vor der Veranstaltung kündigte Lindemann an, die Signierstunde an einen vertrauten Ort zu verlegen: den Rammstein-Shop. Von wütendem Protest ist heute auf dem Gelände des ehemaligen Metallwalzwerks nicht mehr viel übrig. Keine feministischen Demos oder Protestaktionen in Sicht. Höchstens ein paar Passanten und Autofahrer, welche die geduldig Wartenden fragen, was vor dem Gebäude los sei.
Nachvollziehbarer Boykott
Zu der Schlange kommen immer neue Leute hinzu. Für die meisten ist die Sache damit erledigt: „Es gab nichts strafrechtlich Relevantes.“ Oder: „Es ist nichts bewiesen.“ Und: „Die Mädchen waren volljährig, sie wussten, was sie taten.“ Oder sonst anders: „Es liegt in der Verantwortung der Eltern, Minderjährige auf das Konzert gehen zu lassen.“ „No comment“, sagt Ali mit einem verlegenen Lächeln, als die Row Zero angesprochen wird. Erst nach einem Prozess könne er sich eine Meinung dazu bilden. Doch im Fall Lindemann wird es wohl keinen weiteren geben. Die Justiz hat den Fall geprüft und eingestellt.
Rammstein-Bier, Rammstein-Hosen, Rammstein-Öko-Cups, Rammstein-Tote-Bags: Überglückliche Fans verlassen den Laden mit vollen Taschen. Emma kommt mit einem breiten Lächeln im Gesicht aus dem Backsteinhaus. Ihre 20 Sekunden mit „Till“ waren „unfassbar geil“. Das Buch hat sich die 17-Jährige selbst von ihrem Taschengeld für gerade einmal 98 Euro gekauft. Ihre Mutter begleitete sie mit wenig Begeisterung.
Die Texte findet sie für Minderjährige ungeeignet und sie kann die Boykottaufrufe nachvollziehen. „Das in der Warschauer Straße organisieren zu wollen, war ja auch eine klägliche Idee …“, sagt sie.
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