TikTok-Debatte in Deutschland: Rein oder aus
Deutsche Politiker*innen fordern eine strengere Regulierung von TikTok. Dabei sollten sie besser anfangen, dort mitzumischen.
D as erste Video von Karl Lauterbach auf TikTok zeigt ganz gut, was die Politik so anfängt mit der Social-Media-Plattform. Der Gesundheitsminister leitet das Video ein mit den Worten „Revolution auf TikTok“. In den Hintergrund hat er sich Sascha Lobo gestellt, der seit 20 Jahren das Internet erklärt. Dann bricht das Video einfach ab. Er hat’s probiert! Auch wenn er dabei so orientierungslos wirkt wie gerade die deutsche Politik insgesamt angesichts des sozialen Mediums.
In nahezu allen Parteien gibt es Personen, die striktere Regeln fordern für die Plattform des chinesischen Internetkonzerns Bytedance. Roderich Kiesewetter von der CDU sieht in der App eine „Gefahr für die Demokratie“, wie er dem Handelsblatt sagte. Dabei spricht er auch von „hybrider Kriegsführung“ von China und Russland. Es fürchtet offensichtlich Datenabfluss.
In den USA ist deswegen jetzt ein Gesetz vorbereitet worden, das nur noch vom Senat verabschiedet werden muss. Wenn es durch ist, hat TikTok sechs Monate Zeit, um sein US-Geschäft zu verkaufen. Was genau da verkauft werden soll: gar nicht so klar. Aber zurück nach Deutschland: Kiesewetter geht es auch um Spionage. Deswegen soll die App, so seine Forderung, auf den Dienstgeräten von Beschäftigten staatlicher Einrichtungen und Behörden verboten werden. Das klingt vernünftig.
SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner geht sogar noch weiter und fordert für Mitarbeiter*innen von Sicherheitsbehörden auch „Beschränkungen im privaten Bereich“. Wer so etwas Übergriffiges fordert, kann gleich alle anderen Apps von großen Anbietern verbieten, die wirtschaftliche oder politische Interessen haben oder hackbar sind. Also alle. Es muss jedoch gar nicht zurück zur Rohrpost gehen. Lauterbach macht es vor und hat laut eigener Aussage ein eigenes Handy für TikTok.
Es würde sowieso ein neues gebaut
Aber warum ist der überhaupt auf TikTok? Weil er offenbar Einfluss nicht durch ein Verbot erreichen will, sondern durch Anwesenheit. Denn größer als die Gefahr der Spionage wirkt jene durch Rechte, Rechtsextreme und Desinformation. Erst vor Kurzem hat TikTok in einem Bericht bekanntgegeben, dass das Unternehmen ein Netz aus 32 Accounts gelöscht hat, das mit Fake-Accounts Desinformationen und Positionen verbreiten wollte, die „die Narrative der AfD stärken“ und „den politischen Diskurs in Deutschland manipulieren sollten“.
Die AfD hat eine höhere Reichweite auf TikTok als alle anderen deutschen Parteien. Und die erreicht sie vor allem durch Polarisierung. Wer schlimme Sachen schreit, dessen Schreie klingen lauter. Und Algorithmen drehen die Lautstärke dann noch mal hoch. Manche Plattformen drehen sie dann aktiv wieder runter wie etwa TikTok. AfD-TikTok-Star Maximilian Krah hat es jetzt für 90 Tage das Megafon abgedreht. Wie der Spiegel berichtet, sind die Krah-Videos vorerst nicht mehr im „For You“-Feed zu sehen, dem Ort von TikTok, an dem die meisten Views generiert werden. Man muss schon aktiv nach ihm suchen oder ihm folgen.
TikTok einschränken oder den Raum dort einnehmen? Es ist die gleiche Frage wie: Soll ich mit dem Rechten am Tresen reden oder soll ich ihn vor die Tür bitten? Laden wir die AfD in Talkshows ein? Erstaunlich, dass Medien und Politik bis heute, elf Jahre nach der Gründung der AfD, noch immer keine Antwort auf diese Frage haben, geschweige denn sie auf ein soziales Medium übersetzen können.
Die Zivilgesellschaft startet immer wieder Anläufe, Räume nicht aufzugeben. Klimaaktivistin Luisa Neubauer will TikTok jetzt gemeinsam mit anderen Aktivist*innen mit „ReclaimTikTok“ sogar „zurückerobern“. Dabei ist Klima dort seit Jahren Thema. Ebenso wie Armut, Zuwanderung, Diversität. Gerade deswegen fällt es rechten Menschenfängern doch so leicht, dort Aufmerksamkeit zu bekommen.
Dennoch tun die Auftritte von Neubauer und Lauterbach gut, selbst wenn Letzterer dabei ordentlich auf die Bühne stolpert. Beide haben erkannt, dass Rechtsextreme TikTok für den „Volksempfänger unserer Zeit“ halten, wie der Grünenpolitiker Konstantin von Notz im taz-Interview sagt. Dabei haben sie entschieden, das Medium nicht zu zerkloppen. Es würde so oder so wieder ein neues gebaut. Stattdessen füllen sie die Sendezeit einfach mit eigenen Inhalten. Und vielleicht, wenn sie sich eh gerade dort rumtreiben, können sie den User*innen auch einfach mal einen Moment zuhören.
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