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Tierleid in Stader SchlachthofNur schwarze Schafe quälen Kühe

Stader Kreisverwaltung präsentiert Recherchen zum niedersächsischen Schlachthofskandal. Tierschützer fällen vernichtendes Urteil.

Kein Systemfehler, nur schwarze Schafe unter Veterinären, die im Schlachthof ein Auge zudrücken Foto: dpa

Stade taz | Nach der Sitzung des Wirtschaftsausschusses zum niedersächsischen Schlachthofskandal hat Friedrich Mülln von der Soko Tierschutz im Stader Kreistag ein vernichtendes Fazit gezogen: „Diese Anhörung heute hat noch mehr manifestiert, dass es ein unfassbares Versagen der Behörden im Kreis Stade gab.“

Die Recherchen der Stader Kreisverwaltung haben allerdings bisher keinen direkten Hinweis auf ein Fehlverhalten amtlicher Veterinäre ergeben. Sie sind in fast allen Fällen gar nicht auf den Videos zu sehen, die der Verein Soko Tierschutz veröffentlicht hat. Im Gegensatz zu den sechs Zulieferern aus der Region, bei denen die heimlich installierten Kameras im Schlachthof aufgenommen haben, wie sie offenbar Tierschutzverstöße begehen.

Alle sechs Betriebe seien inzwischen unangekündigt kontrolliert worden, trug Rechtsdezernentin Nicole Streitz vor. Dabei seien kleinere Verstöße festgestellt worden.

Auf den Videos ist zu sehen, wie nicht transportfähige Tiere in einem Schlachthof in Düdenbüttel angeliefert werden. Die kranken, verletzten, zum Teil gehunfähigen Tiere wurden mit Seilwinden von den Lastern gezogen, die eigentich für Kadaver vorgesehen sind. Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium untersagte dem Schlachthof den Betrieb.

Wer hat weggesehen?

Weil dies nur einer von mehreren Fällen im Land ist, hat sich der Landkreis daran gemacht, mehrere Hundert Videos der Soko Tierschutz auf Verstöße hin auszuwerten. Dabei seien zehn Tierhalter identifiziert worden, darunter eben die sechs, die den Schlachthof in Düdenbüttel belieferten.

Nur auf einem der bisher gesichteten 174 Videos sei überhaupt ein amtlicher, das heißt vom Kreis beauftragter, Tierarzt zu sehen. Dieser besah ein bereits notgeschlachtetes, also tot angeliefertes Tier, woran nichts auszusetzen ist. Sollen Tiere notgeschlachtet werden, etwa weil sie sich ein Bein gebrochen haben, muss das von einem Tierarzt befürwortet werden. Am Schlachthof kann allenfalls geprüft werden, ob die Bescheinigung plausibel ist.

Die amtlichen Veterinäre beschauen die Tiere, wenn sie am Schlachthof lebend angeliefert werden und sie beschauen das Fleisch auf Verzehrrisiken hin. Die Videos zeigen das Aufladen der Tiere und den Transport, wobei zum Teil transportunfähige Tiere zu sehen sind und sie zeigen den Betrieb auf dem Schlachthof.

Die große Frage ist nun, wie die kranken und halbtoten Tiere auf die Schlachtbank geführt werden konnten: Waren keine amtlichen Veterinäre dabei – oder haben sie weggesehen?

Streitz weist darauf hin, dass es sich um einen mittelgroßen Betrieb gehandelt habe, der rund 150 Rinder pro Woche geschlachtet habe. So ein Betrieb könne nicht dauernd überwacht werden. Vielmehr reisten die Veterinäre mehrfach am Tag auf Anfrage an.

Enge Verbindung zwischen Tierärzten und Landwirten

„Wie kamen die Tauglichkeitsstempel auf das Fleisch, wenn eine Lebenduntersuchung nicht stattgefunden hat?“, fragt sich Ines Advena, die zweite Vorsitzende des Vereins Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft (TFVL). Sie findet, der Schlachthof hätte kontinuiertlich überwacht werden müssen, zumal es Verdachtshinweise gegen den Betrieb gab.

Tierschützer Mülln vermutet, dass die amtlichen Tierärzte, die ja nur nebenher für die Behörden arbeiteten, es sich nicht mit ihrer sonstigen Kundschaft verscherzen wollten – und auch nicht mit ihren Nachbarn, schließlich lebten sie ja auf dem Land. Zumindes im Fall dreier aktuell beauftragter Tierärzte hält Streitz das für unplausibel: Nur einer habe überhaupt in geringem Umfang mit Rinderhaltern zu tun.

Trotzdem fordern Mülln und Advena, die Aufsicht über die Veterinäre, die Landwirte und die Schlachthöfe müsse den Kommunen weggenommen und auf die Kreis- oder Landesebene verlagert werden, um Verfilzungen zu begegnen.

Streitz nimmt ihre Tierärzte in Schutz. „Ich habe mit amtlichen Tierärzten die Videos angesehen“, sagt sie. „Die waren entsetzt.“ Dass es zu den Verstößen gekommen ist, erklärt sie sich so: „Der Wertewandel im Tierschutz, der heute zu Recht einen höheren Stellenwert hat, ist offentsichtlich bei manchen nicht angekommen.“

Advena sagt: „Der Tierschutz hat nicht den Stellenwert in der tierärztlichen Praxis, den er haben sollte.“ Dabei sei die Berufsordnung in diesem Punkt eigentlich klar. Hier müsse die Ausbildung verbessert werden.

Die Stader Grünen, die das Thema auf die Tagesordnung gesetzt hatten, zogen ein nüchternes Fazit. „Die Kontrollen haben in dem Fall versagt“, meint Fraktonschef Hartwig Holthusen. „Wir sind der Soko Tierschutz dankbar, dass sie das an die Öffentlichkeit gebracht hat.“

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1 Kommentar

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  • Wie war das noch mit den Krähen? Ja richtig, so ist das im wirklichen Leben immer wieder.

    Also bei der Ausschusssitzung wurde von der Dezernentin, Frau Streitz, geradezu in Vollendung demonstriert, wie man sich von aufgedeckten Tierquälereien distanziert, aber praktisch nichts zur wirklichen Aufklärung beizutragen bereit ist.



    Der Tenor der Aussagen wurde in der taz mit den folgenden Wörtern richtig wiedergegeben: "Vielmehr reisten die Veterinäre mehrfach am Tag auf Anfrage an." Dass dabei keine Missstände beobachtet worden sein sollen, nimmt nicht wunder, denn der Betrieb wusste ja, dass ein amtlich bestellter Veterinär oder ein Amtsveterinär kommen würde. Ein paar Minuten im Büro bei Chef reichen, um letzte Spuren zu verwischen. Da fragt man sich unwillkürlich, wie blind, taub und sprachlos ein Mensch sein muss, um in Stade (und anderswo) im Veterinäramt einen Job zu bekommen. Und wer aufmuckt, der wird hinausgemobbt oder wirft von sich aus das Handtuch wie Dr. med. vet Hermann Focke, der als leitender Amtsveterinär im Kreis Vechta tätig war und die bodenlose "Unverschämtheit" besaß, von ihm genehmigte Tiertransporte zu verfolgen und die Einhaltung der gemachten Auflagen zu kontrollieren.