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Tickets nur onlineVom Filmfest ausgeschlossen

Bert Schulz
Kommentar von Bert Schulz

Wer online kein Ticket kaufen kann, bleibt immer öfter draußen. Warum eine Verkaufspolitik wie zuletzt auf der Berlinale diskriminierend ist.

So sah es dieses Jahr nicht aus: Festivalbesucher beim Kartenverkauf für die Berlinale im Jahr 2018 Foto: dpa/Britta Pedersen

E in Mensch steht vor dem Kino, es gibt noch Karten für den in Kürze startenden Film – und doch keine Möglichkeit, diesen zu sehen. Denn die Tickets dafür sind ausschließlich online zu erwerben, und der Mensch besitzt kein Smartphone.

Was wie eine Szene aus Absurdistan anmutet, war während der elftägigen Berlinale mehr als eine theoretische Möglichkeit. Viele Menschen sahen sich zumindest teilweise von den Filmfestspielen ausgeschlossen, weil sie über kein modernes Handy verfügen. Sei es, weil sie das aus Altersgründen ablehnen, weil sie aus Sicherheitsgründen nicht online bezahlen wollen oder weil sie aufgrund unfreiwilliger Einschränkungen mit der Technik schlicht nicht klar kommen.

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Die Abschaffung aller analogen Ticketschalter (und damit auch der legendären Schlangen der Filmfans davor) durch die Festivalleitung wurde jedenfalls immer wieder harsch kritisiert: In persönlichen Gesprächen auf dem Festival und auch in vielen Zuschriften von betroffenen Le­se­r*in­nen an die taz. Derweil rühmte sich die Berlinale am Dienstag, dass sie mit rund 320.000 verkauften Karten fast so viele Menschen in die Kinos locken konnte wie vor der Coronapandemie.

Letzteres ist ein passendes Stichwort. Während Corona haben zwar weite Teile der Gesellschaft und Politik Rücksicht genommen auf jene Gruppen, die durch die Krankheit besonders verletzlich oder benachteiligt waren. Aber auch damals wurden bereits Online-only-Ticketverkäufe eingeführt, etwa für den Besuch von Schwimmbädern. Und mit der Rücksicht ist es nach dem faktischen Ende der Pandemie vorbei – weil Minderheiten eben Minderheiten sind und auf Dauer nicht die Gewohnheiten der Mehrheit definieren können.

Es geht um soziale Teilhabe

Ähnlich ließe sich beim ausschließlich digitalen Ticketverkauf – nicht nur auf der Berlinale – argumentieren: Jene, die noch immer kein Smartphone nutzen und im Internet konsumieren, sind eine überschaubare Gruppe geworden. Und angesichts der rapide fortschreitenden Digitalisierung werden sie nicht umhin kommen, sich ein entsprechendes Gerät zu kaufen, wenn sie nicht auch auf viele andere Möglichkeiten sozialer Teilhabe verzichten wollen.

Das mag zu guten Teilen stimmen – dennoch ist es diskriminierend. Denn beim Online-only-Verkauf sind jene, die diesen nicht nutzen können oder wollen, auf Un­ter­stüt­ze­r*in­nen angewiesen, die den Einkauf besorgen. Weniger Selbstständigkeit geht kaum.

Wahrscheinlich ist die Forderung vermessen, privaten Ver­mark­te­r*in­nen von Tickets für Veranstaltungen vorschreiben zu wollen, künftig auch alternative Vertriebsangebote jenseits von online anbieten zu müssen. Aber zumindest bei staatlichen, sprich von den Steu­er­zah­le­r*in­nen finanzierten Veranstaltungen wie der vom Bund getragenen Berlinale, müsste das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Schließlich ist es Aufgabe des Staates, Diskriminierung durch solche Barrieren abzubauen, und nicht neue zu errichten.

Das Problem dürfte in Zukunft noch häufiger auftauchen und auch Bereiche jenseits der Kultur betreffen. Der Drang der Deutschen Bahn und anderer ÖPNV-Anbieter, kosten- oder wartungsintensiven Verkauf am Schalter und Automaten zu reduzieren und Online-Angebote auszubauen, ist offensichtlich. Was also, wenn man irgendwann vor einem halbleeren Zug oder Bus steht, aber trotzdem mangels Handy nicht mitfahren kann?

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Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
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5 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Das ist doch nur eine Blume von dieser Wiese.



    Versuchen sie dochmal Bankgeschäfte "nicht online" abzuwickeln. Insbesondere wenn sie auch nicht mehr sonderlich mobil sind.



    Gerade bei den Branchenriesen wird's dann teuer...

  • Danke für den Beitrag.



    In dem Zusammenhang eine andere Unsitte, die auch probleatisch ist: Personalisierte Tickets. Letzteres mag bei Konzerten oder Fussbalsspielen mit extremer Nachfrage sinnvoll sien und teure Weiterverkäufe zu Wucherpreisen vorbeugen. Dort halte ich es für gerechtfertigt. Nicht jedoch bei der 0815-Veranstaltung (um nicht missverstanden zu werden: kein Qualitätsurteil sondern auf die Nachfrage bezogen). Was es aber dann völlig unschön macht, sind die persönlichen Angaben, die veim Analogkauf am Schalter von einem verlangt werden: Adresse, Mail, Telefonnummer. Das kann nicht sein, es schränkt die unbeobachtete Bewegung in diesem Land weiter ein und sorgt für vermarktbare und stehlbare Datensätze. Erst letzte Woche aber wurde das am Schalter gefordert, andernfalls hätte es das Ticket nicht gegeben. Die Verkäuferin hat shcließlich Phantasiesachen eingetragen, was unser "schmutziger Deal" war. Aber bezeichnend: Auf der Veranstaltung hat niemand nach dem informativen Gegenstück zum Ticket z.B.Personalausweis gefragt. Diese ganze Sache sehe ich als höchst problematisch an. Ich sehe keinen Sinn darin, ein gläserner Mensch zu werden (dieser Punkt) und dann noch durch KI-Zeug in meiner Autonomie "gelenkt" zu werden (der Punkt des Artikels oben). Und da verstehe ich auch keinen Spass, diese Dinge sind m. M. nach nicht durch unser Grundgesetz gerechtfertigt.

  • Man sollte schon "können" und "wollen" unterscheiden. Wer nicht will, trifft eine bewusste Entscheidung, weil ihm die Nachteile mit Smartphone gewichtiger erscheinen als ohne - diese Entscheidung kann er auch ändern.

    • @Dr. McSchreck:

      Weil es mir egal sein sollte wie andere teilnehmen können und ich ehh nichts zu verbergen habe?



      Mit einem Onlineeinkauf kaufe ich zwar ein Artikel oder Tickets, rege aber gleichzeitig zich weiter Mechanismen an. Mehrere Algorithmen auf verschiedene Portale, Websites und Server kommunizieren wild miteinander und rechnen Luftschlösser artige Analysen hoch. Und doch wollte ich nur ein Ticket kaufen.



      Wenn es nach ihnen geht, frage ich mich, ob ich mir morgen einen Toast zubereiten kann, ohne dass mein Smarter Toaster irgend etwas analysiert und ausrechnet was eigentlich nichts mehr mit meinen Toast zutun hat.

      Gruß Roberto

  • Ein sehr gelungener Kommentar, der eindrücklich auf die negativen Seiten des grassierenden Online-Kaufzwangs hinweist.