Terrorlistung von Irans Revolutionsgarde: Hinters Rechtsgutachten geduckt
Irans Revolutionsgarde könne nicht auf die EU-Terrorliste, sagt das Außenministerium und verweist auf eine Verschlusssache. Der taz liegt sie vor: So steht es da nicht.
B ei der Außenpolitik gegenüber Iran könnte die Fallhöhe für Annalena Baerbock nicht größer sein. Als im September 2022 nach dem Tod von Jina Mahsa Amini die Proteste im Iran aufflammten, wirkte das wie ein Präzedenzfall für die neue „feministische Außenpolitik“ der grünen Ministerin: eine Revolte, begonnen von Frauen, die nicht länger die patriarchale Unterdrückung eines autoritären Regimes ertragen wollten.
Entsprechend groß waren und sind die Erwartungen auch von Opposition und iranischen Aktivist*innen. Sie fordern unter anderem, die Islamische Revolutionsgarde des Iran (IRGC) in die Terrorliste der EU aufzunehmen. Baerbock übernahm die Idee: „Die Revolutionsgarde als Terrororganisation zu listen ist politisch wichtig & sinnvoll“, schrieb sie am 9. Januar auf Twitter (heute X). Auch das EU-Parlament forderte die Staaten im Januar und noch einmal im Juni dazu auf.
Gelistet wurden die IRGC bis heute nicht. Die rechtlichen Voraussetzungen lägen dafür gegenwärtig nicht vor, sagt das Außenministerium regelmäßig und verweist auf ein Gutachten des Juristischen Dienstes des Europäischen Rats vom Februar dieses Jahres.
Der taz liegt das nichtöffentliches Gutachten vor
Öffentlich überprüfen ließ sich das bislang nicht, das Gutachten ist Verschlusssache. Der taz liegt das Papier nun vor: Daraus lässt sich nicht schließen, dass die Listung derzeit rechtlich grundsätzlich nicht möglich sei. Drei Völkerrechtler, die die taz um eine Bewertung bat, kommen zum gleichen Ergebnis: So, wie das Auswärtige Amt auf das Gutachten verweist, ist die Argumentation nicht gedeckt.
Die Diskrepanz zwischen dem Inhalt des nichtöffentlichen Gutachtens, den Aussagen des Auswärtigen Amtes und der Bedeutung, die dem Papier in der politischen Kommunikation zugemessen wird, ist eklatant. Baerbock macht sich damit angreifbar. Warum? Klar ist: Im und um das Auswärtige Amt gibt es zahlreiche Stimmen, die eine Terrorlistung der Revolutionsgarde ablehnen.
Im März erklärte Außenministerin Baerbock, feministische Außenpolitik bedeute nicht, dass man sich das Recht zurechtbiege. Sie habe daher den Juristischen Dienst des Europäischen Rates um eine Einschätzung gebeten, ob eine Listung der Revolutionsgarde unter dem europäischen Anti-Terror-Sanktionsregime aktuell möglich sei. „Die Antwort lautete: Nein“, sagte Baerbock damals in einem Interview mit der Welt.
Die sogenannte EU-Terrorliste wurde als Reaktion auf die Anschläge des 11. September 2001 eingeführt. Sie umfasst aktuell 21 Organisationen und 13 Einzelpersonen, darunter etwa die Hamas, die PKK und auch die palästinensische PFLP. Die Liste wird mindestens zweimal im Jahr überprüft. Es ist möglich, dagegen zu klagen.
Als Folge könnten Vermögen der Gelisteten eingefroren werden. Polizei und Justiz haben mehr Befugnisse. Laut der Sanktionsexpertin Julia Grauvogel wären bei einer Listung der Revolutionsgarden (IRGC) auch alle Firmen, an denen diese beteiligt sind, von den Sanktionen gegen Terrororganisationen betroffen.
Außerdem wäre es verboten, die gelisteten Organisationen zu unterstützen. Expert*innen verweisen deshalb darauf, dass eine Listung auch die Möglichkeit für IRGC-Mitglieder und -Anhänger*innen einschränken würde, Propaganda in Deutschland zu verbreiten. Auch Rekrutierung und Radikalisierungsbemühungen wären erschwert. (jpb)
Vor allem der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen hakte seitdem immer wieder nach, und immer wieder blieb die Bundesregierung bei ihrer Sprachregelung. So hieß es etwa Anfang Dezember vom Auswärtigen Amt erneut: „Der Juristische Dienst des Rates hat in seiner schriftlichen Stellungnahme im Februar 2023 festgestellt, dass für eine Listung einschlägige Ermittlungen oder Urteile gegen die Iranischen Revolutionsgarden aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht vorliegen und dass bestehende Urteile aus den USA nicht herangezogen werden können.“
Vorgelegt wurde die Ausarbeitung am 15. Februar dieses Jahres. Der Juristische Dienst des Europäischen Rates, der Council Legal Service, erstellt solche Gutachten für den Rat und seine Ausschüsse, „um sicherzustellen, dass Rechtsakte rechtmäßig und gut formuliert sind“. Jede einzelne der zwölf Seiten ist mit den Worten „Restreint UE / EU restricted“ überschrieben, was in Deutschland einer Verschlusssache auf der Stufe „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ entspricht.
In den Schlussfolgerungen heißt es darin unter anderem: Eine erste Aufnahme in die Liste erfordere das Vorliegen einer nationalen Entscheidung einer zuständigen Behörde. Und: Dieser Beschluss müsse „die Einleitung von Ermittlungen oder die Strafverfolgung wegen einer terroristischen Handlung, des Versuchs der Begehung einer solchen Handlung, der Teilnahme an einer solchen Handlung oder der Beihilfe zu einer solchen Handlung auf der Grundlage schwerwiegender und glaubwürdiger Beweise oder Anhaltspunkte oder die Verurteilung wegen solcher Taten betreffen“.
Weiter stellt der Juristische Dienst fest, dass als Grundlage für eine Listung auch Entscheidungen von Ländern außerhalb der EU herangezogen werden könnten. „Stützt sich der Rat auf eine Entscheidung eines Drittstaats, so muss er sich vergewissern, dass diese Entscheidung unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven Rechtsschutz getroffen wurde“, heißt es in dem Gutachten.
In diesem Punkt widerspricht das Gutachten unter anderem dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Dieser befürwortet weitere Verhandlungen mit Iran und hatte im Januar erklärt, für die Terrorlistung sei ein nationales Gerichtsurteil innerhalb der EU nötig.
Weiterhin befasst sich das Gutachten mit Bundesgerichtsurteilen aus den USA von 2020 und 2018. Darin geht es um den Terrorangriff auf die Khobar Towers in Saudi-Arabien im Jahr 1996, den demnach die IRGC verantwortet. Der Fall liege laut Gutachten allerdings zu lange zurück.
Über weitere konkrete Entscheidungen, Fälle oder Urteile in anderen Staaten gibt es in dem Gutachten keine Ausführungen. Dabei sind zahlreiche weitere Fälle in der Diskussion. 2021 beispielsweise urteilte das Oberste Gericht von Ontario in Kanada, dass der Abschuss von Flug 752 durch die iranischen Revolutionsgarden „ein vorsätzlicher terroristischer Akt“ gewesen sei. Die Bundesregierung verwies dazu im November lediglich darauf, dass auch die kanadische Regierung die iranischen Revolutionsgarden bislang nicht gemäß dem „Anti-Terrorism Act“ gelistet habe.
Auch im Zusammenhang mit Anschlägen und versuchten Anschlägen auf jüdische Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen im November 2022 vermuten die Ermittler*innen, dass die Quds Force der Revolutionsgarde involviert ist.
Matthew Levitt, früherer Analyst für Terrorismusbekämpfung beim FBI, veröffentlichte im Februar eine Ausarbeitung unter dem Titel: „Die EU kann und sollte die IRGC als terroristische Vereinigung bezeichnen.“ Er zählt in Europa allein in den vergangenen fünf Jahren 33 Anschläge, die Iran verübt habe, in vielen Fällen mit Verbindung zur Revolutionsgarde.
Die taz bat drei Juristen, die Aussagen des Gutachtens zu bewerten. Christian Marxsen, Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin, erklärte dazu: „In dem Gutachten werden die rechtlichen Voraussetzungen für eine Listung als Terrororganisation erörtert. Mit Blick auf die Revolutionsgarden wird erklärt, dass zwei US-amerikanische Gerichtsentscheidungen keine hinreichende Grundlage für eine Listung der iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation sind. Allerdings findet sich in dem Gutachten keine Aussage dazu, ob es anderweitige Anknüpfungspunkte – zum Beispiel weitere Gerichts- oder Verwaltungsentscheidungen aus anderen Staaten – für eine solche Listung gibt.“
Matthias Herdegen, Uni Bonn
Professor Matthias Herdegen, an der Universität Bonn unter anderem Direktor des Instituts für Völkerrecht sowie Direktor am Center for International Security and Governance, sagt: „Die Positionen des Juristischen Dienstes liefern keine überzeugende Begründung gegen die Terrorlistung. Es entsteht der Eindruck, dass sich die Bundesregierung hinter einer schwachen juristischen Argumentation verschanzt.“
Aus Sicht Herdegens erscheint zudem der Umgang mit länger zurückliegenden Entscheidungen von Strafgerichtsbehörden und Gerichten in Brüssel „wenig überzeugend“: „Eine einmal belegte Verstrickung in den internationalen Terrorismus begründet zumindest die Vermutung, dass diese weiterhin zur Agenda einer Organisation gehört, solange diese Vermutung nicht widerlegt ist.“
Abgesehen von der Auslegung des juristischen Standpunkts hindere aus Sicht des Völkerrechtlers niemand die Bundesregierung daran, auf eine neue rechtliche Grundlage für eine Terrorlistung im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU zu dringen.
Lukas Märtin, Rechtswissenschaftler am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, erklärte zu dem Gutachten: „Dass die Voraussetzungen für eine Aufnahme der Revolutionsgarden gegenwärtig rechtlich nicht vorlägen, geht aus der Stellungnahme des Juristischen Dienst vom 15. Februar 2023 nicht hervor.“ Märtin hat zur Frage der Listung der IRGC und der angeblichen rechtliche Hürden im Oktober eine Ausarbeitung veröffentlicht. Selbstverständlich bedürfe es einer rechtlich soliden Grundlage für die Listung. „Das ist nicht trivial. Allerdings sehen wir in Deutschland eine Tendenz, politische Debatten stark zu verrechtlichen. In der politischen Kommunikation beruft man sich in verkürzender oder sogar inkorrekter Weise auf das Recht, um die politische Entscheidung zu vermeiden.“
Auswärtiges Amt steht offiziell weiter hinter der Listung
Offiziell ist die Haltung der Bundesregierung unverändert, hört man auf Nachfrage aus dem Auswärtigen Amt. Eine Listung sei politisch wünschenswert, die rechtliche Basis hierfür müsse jedoch gesichert sein. Gespräche dazu fänden weiterhin statt. In einer jüngsten Antwort der Bundesregierung vom 13. Dezember heißt es zu dem Thema nach einer weiteren Anfrage von Norbert Röttgen, dass in keinem der Mitgliedstaaten der EU einschlägige Beschlüsse vorlägen und dies erst der Anlass der juristischen Prüfung gewesen sei.
Hört man sich noch weiter um, so wird klar, dass im Auswärtigen Amt wie bei beratenden Expert*innen durchaus politische Vorbehalte gegen eine Terrorlistung bestehen. Die Revolutionsgarde wurde nach der Islamischen Revolution 1979 als Gegengewicht zur regulären Armee gegründet. Sie ist mittlerweile stark in die iranische Wirtschaft verstrickt. Expert*innen gehen davon aus, dass sie mit jedem zweiten Unternehmen im Iran verbunden ist.
Einige Diplomat*innen befürchten, dass mit einer Listung der diplomatische Spielraum schwinde. Die Atomgespräche wären endgültig beendet, Verhandlungskanäle verschlossen. Botschaftsmitarbeiter*innen wären in Gefahr, ebenso einige deutsche Staatsbürger*innen, die derzeit noch in Iran in Haft sitzen, darunter der Unternehmer Jamshid Sharmahd.
Ein weiterer Einwand betrifft die Wirksamkeit einer solchen Listung. Für die Revolutionsgarden bestehen seit 2010 bereits EU-Sanktionen im Bezug auf die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Aus dem Auswärtigen Amt hört man, dass hier der Handlungsrahmen über das Anti-Terror-Sanktionsregime sogar hinausgehe.
Auch gebe es seit Beginn der Proteste mittlerweile 181 EU-Sanktionseinträge wegen Menschenrechtsverletzungen in Iran, eine Vielzahl betreffe Entscheidungsträger und Unterorganisationen der Revolutionsgarden. Ein Terrorlistung habe darüber hinaus kaum eine reale Auswirkung, der politische Preis dagegen sei hoch, da darüber auch in der EU keine Einigkeit herrsche. Deutschland müsse dafür beispielsweise Ungarn teuer politische Zugeständnisse machen.
Widerspruch von Expertin und Kritik aus der Opposition
Rebecca Schönenbach, Terrorexpertin bei der NGO „Veto! Für den Rechtsstaat“, widerspricht der Annahme, eine Listung der Revolutionsgarden als Terrororganisation hätte nur einen geringen Effekt. Aus ihrer Sicht würde dies nicht nur wie bisher die finanzielle Unterstützung der Organisation unter Strafe stellen und Einreise- sowie finanzielle Beschränkungen für die Vertreter der Organisation bedeuten, sondern weit darüber hinausgehen. „Vor allem wird damit jede Unterstützung der Revolutionsgarden strafbar, bis hin zum Zeigen ihres Emblems“.
Schönenbach verweist beispielsweise auf die Glorifizierung von Revolutionsgardisten wie Qasim Soleimani, den langjährigen Befehlhaber der Quds-Einheit. Als Soleimani 2020 von einer US-Drohne getötet wurde, hätten etliche schiitische Moscheen Trauerfeiern abgehalten. „Solche und auch andere Formen der Weitergabe von islamistischem Gedankengut der IRGC könnten unterbunden werden, was endlich die bisher unterschätzte Radikalisierungsarbeit der Regimevertreter in Deutschland einschränken würde“, sagte Schönenbach der taz.
CDU-Politiker Röttgen sieht ebenfalls weitreichende juristischen Folgen durch eine Listung. Es gehe ihm aber vor allem auch um das politische Signal, als Entscheidung gegen das Mullah-Regime. „Die Außenministerin und das Auswärtige Amt täuschen seit bald einem Jahr die Öffentlichkeit und sagen im Bundestag bewusst die Unwahrheit, was den Inhalt des Gutachtens angeht“, sagte Röttgen der taz. „Was fehlt, ist der politische Wille und die Bereitschaft der Außenministerin, für eine Terrorlistung innerhalb der EU zu kämpfen.“
Die Menschenrechtsaktivistin Daniela Sepehri ist von der Bundesregierung enttäuscht. Sie beklagt die weitreichende Intransparenz. „Wir haben seit einem Jahr unüberhörbar die Forderung nach Listung der Revolutionsgarde gestellt. Ich möchte wissen, woran ich bin“, so Sepehri. „Wir müssen die IRGC so behandeln wie die Hamas und Hisbollah.“
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