Terror in Konzerthalle in Russland: Kommt die Tat Putin gelegen?
Der russische Präsident Putin gibt der Ukraine eine Mitschuld an dem Terroranschlag. In der Ukraine rechnet man mit heftigeren Angriffen.
Wirklich traurig über den Terroranschlag ist der Charkower Journalist Pawlo Fedosenko nicht. „Es ist absolut scheißegal, ob wir das waren oder nicht (und ich bin mir sicher, dass wir es nicht waren.)“, schreibt er unmittelbar nach Bekanntwerden des Terrors auf seinem Telegram-Kanal. „Aber die Nachricht, dass 40 Russen verreckt sind, kann doch keine schlechte sein. Dafür hat es sich gelohnt, mal ohne Strom sein zu müssen.“
Fedosenko ist sich sicher, dass das Massaker der russischen Führung sehr gelegen kommt. „Halten wir doch mal fest“, schreibt er am 23. März, einen Tag nach dem Anschlag: „Terroristen sind ins Crocus gekommen, um zu töten. Und sie töten seit Langem. Das ganze Land weiß das, und sie sind immer noch dort. Buchstäblich in real time kann man das beobachten, kann sehen, wie sie das Gebäude in Brand setzen. Und dann verlassen sie seelenruhig das Haus, setzen sich in einen Wagen. Das Kennzeichen des Autos ist bekannt. Sie haben es nicht ausgewechselt. Dann verlassen sie in aller Ruhe das Gebiet Moskau, das mit Überwachungskameras nur so bespickt ist. Fahren 400 Kilometer in einem Auto, das alle russischen Geheimdienste suchen. Und erst unweit der Grenze zur Ukraine werden sie verhaftet.“
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wies die Versuche Putins, mit unbelegten Schuldzuweisungen der Ukraine eine Mitverantwortung für den Anschlag zuzuschieben, kategorisch zurück. „Nach dem, was in Moskau passiert ist, versuchen Putin und die anderen Bastarde natürlich nur, jemand anderem die Schuld in die Schuhe zu schieben“, sagte Selenskyj am Samstagabend in seiner täglichen Videoansprache.
Selenskyj weist Mitschuld der Ukraine zurück
Die russische Seite habe immer die gleichen Methoden. „Und immer schieben sie die Schuld auf andere.“ Nach den Ereignissen in der Konzerthalle habe „dieser absolute Niemand Putin“ einen Tag lang geschwiegen, anstatt sich um seine russischen Bürger zu kümmern. Vielmehr habe Putin darüber nachgedacht, „wie er das in die Ukraine bringen kann“.
Selenskyj warf Russland vor, selbst Terror zu verbreiten. Russen kämen in die Ukraine, um Städte niederzubrennen, „und versuchen, die Schuld auf die Ukraine zu schieben“. Sie folterten und vergewaltigten Menschen – und gäben den Opfern die Schuld. „Sie haben Hunderttausende ihrer eigenen Terroristen hierhergebracht, auf ukrainischen Boden, um gegen uns zu kämpfen, und es kümmert sie nicht, was in ihrem Land geschieht.“
Der auf Militärfragen spezialisierte Blogger Olexi Petrow wundert sich auf seiner Facebook-Seite über die Untätigkeit von Polizei und Sicherheitskräften in einem Staat, der sehr viele Sicherheitsleute hat. „Wo sind eigentlich die Streifenpolizisten geblieben, die mit den Terroristen hätten kämpfen müssen. Oder zumindest diese hätten ablenken müssen, um so die Flucht von Zivilisten zu ermöglichen.“ Es sei schon sehr merkwürdig, so Petrow, dass vor einem Konzert mit Tausenden von Besuchern und nach einer Warnung von Verbündeten lediglich mit Schlagstöcken bewaffnetes Wachpersonal an den Türen gestanden habe.
Dem in Spanien lebenden ukrainischen Olexandr Ruschanski fällt es schwer, für die russischen Opfer Mitgefühl zu empfinden. Ukrainische Städte seien in diesem Krieg dem Erdboden gleichgemacht worden, Zigtausende seien umgekommen. „Und was schließen die daraus? Ihnen gefällt das.“
Wenig Mitgefühl für die Opfer in Russland
Putin könne nicht einen einzigen Beweis anführen für die Schuld der Ukraine am Anschlag. Der Umstand, dass man sich im Kreml entschieden hatte, diese Warnungen in den Wind zu schlagen, könne doch nur bedeuten, dass der Kreml entweder selbst an diesem Terroranschlag beteiligt ist, oder er sich zumindest entschieden hat, einen geplanten Anschlag nicht zu vereiteln, so der Kolumnist Vitali Portnikow auf Youtube. „Weil man die Ukraine in diese Sache reinziehen wollte.“
Der Anschlag habe auch gezeigt, so Portnikow, dass Putin nicht in der Lage sei, die Sicherheit seiner Landsleute zu gewährleisten. Und bei seinen Gesprächen mit dem Sicherheitsrat, mutmaßt Portnikow, werde es weniger darum gehen, wie sich in Zukunft derartige Terroranschläge verhindern ließen, als vielmehr darum, wie man diesen Anschlag nutzen könne, um aus einem autoritären Regime einen totalitären Staat zu machen. Russland werde wohl in der Folge verstärkt Repressionen erleben. Sicherlich sei es kein Zufall, dass Putin ausgerechnet beim FSB ganz im Stile von Stalin von Verrätern gesprochen hatte, die es zu vernichten gelte.
Portnikow erinnert an die Ermordung des Leningrader Parteichefs Sergej Kirow, die Stalin genutzt hatte, um das Land mit einer bisher ungekannten Säuberungswelle zu überziehen und das autoritäre Land in einen totalitären Staat zu überführen. Durchaus möglich, so Portnikow, dass sich auch Putin dieses Instrumentariums bedienen werde. „Und das heißt, das Schlimmste steht den Menschen in Russland noch bevor.“ Offensichtlich wolle jemand mit dem Terroranschlag, der ganz im Stil (des tschetschenischen Terroristen Schamil) Bassajew gewesen sei, Friedensgespräche torpedieren, vermutet der in Odessa lebende Blogger Wjatscheslaw Asarow, auf seinem Telegram-Kanal.
„Man musste einen Schock verursachen, damit nicht einmal mehr Gedanken an einen Waffenstillstand in den Sinn kommen, man nur noch einen totalen Vernichtungskrieg im Sinn hat.“ Eine Folge könnte sein, dass nun westliche Partner direkt in den Krieg eintreten oder zumindest ihre militärische Hilfe weiter aufstocken werden. Jetzt sei ein Friede, der nur im Rahmen einer globalen Regelung geschlossen werden könne, in weite Ferne gerückt, so Asarow.
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