Terrorattentat in Moskau: Putin sieht Ukraine beteiligt
Der IS reklamiert den Anschlag für sich. 11 Personen wurden festgenommen, die angeblich ins Nachbarland fliehen wollten. Die Zahl der Toten steigt auf 133.
Die Ukraine, gegen die Russland seit mehr als zwei Jahren einen brutalen Angriffskrieg führt, hat Gerüchte über eine Beteiligung hingegen deutlich zurückgewiesen. Darüber hinaus gibt es ein Bekennerschreiben der Terrormiliz Islamischer Staat, das von einigen Experten bereits als echt eingestuft wurde.
Kurz nach dem Angriff am Freitagabend hatte die Gruppe bei Telegram geschrieben, IS-Kämpfer hätten „eine große Zusammenkunft … am Rande der russischen Hauptstadt Moskau“ angegriffen. In der IS-Erklärung hieß es weiter, die Angreifer hätten sich „sicher in ihre Stützpunkte zurückgezogen“.
Inzwischen hat der IS seine Verantwortung für das Attentat bekräftigt. „Der Anschlag wurde von vier IS-Kämpfern verübt“, erklärte der IS am Samstag auf einem seiner Kanäle im Onlinedienst Telegram. Diese seien „mit Maschinengewehren, einer Pistole, Messern und Brandbomben bewaffnet“ gewesen. Der Anschlag sei Teil des „natürlichen Kontextes des tobenden Krieges“ mit den „Ländern, die den Islam bekämpfen“. Zudem hat der IS-Propagandakanal Amak am Samstag ein Bild mit vier Personen veröffentlicht, bei denen es sich angeblich um die Attentäter handeln soll. Ihre Gesichter waren unkenntlich gemacht worden.
Im Laufe der Jahre hat der IS Kämpfer aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion rekrutiert und sie in Syrien und im Irak eingesetzt. Zudem hat die Terrormiliz mehrere Anschläge im Kaukasus und anderen russischen Regionen für sich reklamiert.
Im Oktober 2015 hatten IS-Terroristen mit einer Bombe ein russisches Passagierflugzeug über der ägyptischen Halbinsel Sinai zum Absturz gebracht. Alle 224 Menschen an Bord kamen ums Leben. Die meisten der Passagiere waren Russen, die auf dem Rückflug aus dem Urlaub waren.
Ukraine weist jede Verantwortung von sich
Bei dem Anschlag auf das Veranstaltungszentrum Crocus City Hall nahe Moskau ist die Zahl der Toten inzwischen auf 133 gestiegen. Dies teilte das Ermittlungskomitee der russischen staatlichen Agentur Tass zufolge am Samstag in Moskau mit. Unter den Toten sollen sich laut dem Gesundheitsministerium auch mindestens drei Kinder befinden, es sollen 115 Verletzte in Krankenhäuser eingeliefert worden sein. Die Behörde rief die Menschen auf, Blut für die Verletzten zu spenden. Es wurden mehrere Stellen dafür eingerichtet.
„Die Ukraine hat noch nie auf die Nutzung von terroristischen Methoden zurückgegriffen“, schrieb Mychajlo Podoljak, ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, auf der ehemals als Twitter bekannten Online-Plattform X in einer Reaktion auf die Anschuldigungen aus Moskau. „Alles in diesem Krieg wird nur auf dem Schlachtfeld entschieden werden.“ Der ukrainische Militärgeheimdienst wiederum beschuldigte „die russischen Spezialdienste“, hinter dem Angriff zu stecken, um die Ukraine beschuldigen zu können.
Aus US-Geheimdienstkreisen verlautete, man gehe davon aus, dass tatsächlich der IS verantwortlich war.
Das Weiße Haus in Washington erklärte die Anteilnahme der USA für die Opfer des „schrecklichen Angriffs“. Die US-Botschaft in Russland hatte ihre Bürger vor zwei Wochen davor gewarnt, dass „Extremisten unmittelbar bevorstehende Pläne haben, große Versammlungen in Moskau, einschließlich Konzerte, ins Visier zu nehmen“. Ein ranghoher US-Geheimdienstvertreter sagte der Nachrichtenagentur AP, US-Geheimdienste hätten in den vergangenen Wochen herausgefunden, dass die IS-Zelle in Afghanistan einen Anschlag in der russischen Hauptstadt plane. Über vertrauliche Kanäle habe man diese Informationen kürzlich auch an Russland weitergegeben.
Kremlchef Putin hatte die westlichen Warnungen als einen Versuch bezeichnet, Russen einzuschüchtern. Anfang März meldete der Inlandsgeheimdienst FSB, dass ein geplanter Anschlag einer mutmaßlichen IS-Zelle auf eine Synagoge in Moskau vereitelt worden sei.
Wachpersonal der Konzerthalle war nicht bewaffnet
In dem großen Konzertsaal mit Tausenden Plätzen hatten am Freitag Täter wahllos auf Besucher geschossen. Zum Zeitpunkt des Anschlags gab dort die russische Rockgruppe Piknik ein Konzert. Menschen, die um ihr Leben rannten, und Verletzte berichteten in sozialen Netzwerken von vielen Opfern. Zudem gab es Explosionen in dem Gebäude und einen Großbrand.
Die den russischen Sicherheitsbehörden nahestehenden Telegram-Kanäle Basa und Masch veröffentlichten Videos, auf denen mindestens zwei bewaffnete Männer zu sehen sind, die in die Halle vorrücken, sowie weitere, auf denen Leichen und zum Ausgang eilende Gruppen von Menschen zu sehen sind. Weitere Aufnahmen zeigen Konzertbesucher, die sich hinter Sitzen verstecken. Dem russischen Katastrophenschutzministerium zufolge konnte die Feuerwehr rund 100 Menschen evakuieren, die sich im Keller befanden.
Das Wachpersonal an der Konzerthalle sei nicht bewaffnet gewesen, berichteten Medien. Einige Sicherheitsleute seien womöglich zu Beginn des Anschlags getötet worden.
Präsident Wladimir Putin wünschte den Verletzten über die stellvertretende Ministerpräsidentin Tatjana Golikowa eine schnelle Genesung und dankte den Ärzten. Moskaus Bürgermeister Sergei Sobjanin sagte alle öffentlichen Veranstaltungen für das Wochenende ab. Museen und Theater kündigten Schließungen an.
Dem russischen Fernsehen zufolge wurden erhöhte Sicherheitsvorkehrungen getroffen, etwa an den Moskauer Flughäfen und in anderen Großstädten des Landes. Die russische Nachrichtenagentur Tass meldete, der Rote Platz in Moskau sei von Sicherheitskräften abgeriegelt worden.
Die Lage an der Crocus City Hall war am Morgen ruhig. Einsatzkräfte löschten Glutnester nach dem Großbrand, wie die Feuerwehr mitteilte. Nach dem kompletten Löschen sollten die Trümmer des eingestürzten Daches der Konzerthalle beseitigt werden. Polizei, Nationalgarde und Ermittlungskomitee nahmen die Schäden auf und sicherten Spuren.
Die Crocus City Hall im Nordwesten der russischen Hauptstadt gehört zu den beliebtesten Veranstaltungszentren der Millionenmetropole. Dort werden immer wieder auch Messen und Ausstellungen organisiert.
Verfolgungsjagd bis ins Gebiet Briansk
Der Parlamentsabgeordnete Alexander Chinstein der Kremlpartei Geeintes Russland hatte auf seinem Telegram-Kanal behauptet, das mutmaßliche Fluchtfahrzeug der Täter sei mit Waffen im Gebiet Brjansk gestoppt worden.
Das Auto habe am Freitagabend bei einer Verfolgungsjagd der Polizei nicht angehalten, sei beschossen worden und habe sich dann überschlagen. „Ein Terrorist wurde auf der Stelle festgenommen, die anderen haben sich im Wald versteckt“, sagte Chinstein. Am frühen Morgen sei ein zweiter Verdächtiger festgenommen worden.
Die Suche nach den anderen mutmaßlichen Tätern sei fortgesetzt worden. Im Innern des Fahrzeugs seien eine Pistole, ein Patronenmagazin und eine Kalaschnikow sowie Pässe von Bürger der zentralasiatischen Republik Tadschikistan gefunden worden.
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