Terror in Chemnitz: In rechter Tradition
Die Bundesanwaltschaft hat mutmaßliche Rechtsterroristen festnehmen lassen. Unter ihnen sind alte Bekannte wie Tom W.
Saal 1.99, Landgericht Dresden, Juli 2008. Als Tom W. in den Saal geführt wird, sind seine Arme mit Handschellen auf den Rücken gefesselt. Die Tätowierung auf seinem Hinterkopf ist gut lesbar: „Skinhead“ steht da, in Fraktur. So sieht man es auf Fotos von der Verhandlung.
Tom W. stand damals, vor zehn Jahren, als Anführer der rechtsextremen Kameradschaft „Sturm 34“ vor Gericht. Da war er gerade 20 Jahre alt. Die Liste der ihm vorgeworfenen Taten ist lang: Bildung einer kriminellen Vereinigung, mehrere schwere Körperverletzungen, Landfriedensbruch und Volksverhetzung. Tom W. und „Sturm 34“ wollten die sächsische Region Mittweida, zwanzig Kilometer vor Chemnitz, zur „national befreiten Zone“ machen, so heißt es in der Anklageschrift. Als Namensgeber wählte die Kameradschaft eine SA-Brigade.
In verschiedenen Instanzen wird in den folgenden Jahren gegen Tom W. und den „Sturm 34“ verhandelt. 2012 wird er schließlich verurteilt: zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. Es ist ein mildes Urteil, auch weil die Neonazis sich auf einen Deal einlassen und schließlich gestehen. Und weil der Jugendgerichtshelfer bei Tom W. keine „schädlichen Neigungen“ mehr sieht.
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Er hat sich getäuscht.
Am Montag wurde Tom W. erneut festgenommen, diesmal im Auftrag des obersten Anklägers des Landes, des Generalbundesanwalts. Dessen Behörde ist überzeugt, dass W. zusammen mit sieben anderen Männern eine terroristische Gruppe gegründet hat, die Anschläge auf Migranten, Politiker und Journalisten plante: „Revolution Chemnitz“.
Nach halbautomatischen Waffen hätten die Neonazis bereits gesucht, so die Ermittler. Am vergangenen Mittwoch, dem Tag der Deutschen Einheit, wollten sie losschlagen. Ihr Ziel: eine radikal rechte „Systemwende“. So heißt es in ihren verschlüsselten Telegram-Chats.
Zuletzt waren einige der Festgenommenen bei den Aufzügen in Chemnitz mitgelaufen, die Rechte seit der Tötung von Daniel H. in der Stadt veranstalten – auch beim sogenannten Trauermarsch der AfD.
Ziel: eine rechte „Systemwende“
Tom W. war unter den Demonstranten, wie Fotos zeigen. Er trug eine schwarze Jacke, Basecap, Sonnenbrille, die Haare wieder länger – der Style der Autonomen Nationalisten. „Auf die Spur, ihr wisst wo“, hieß es auf der Facebook-Seite der „Revolution Chemnitz“, als die rechten Aufmärsche in Chemnitz begannen. Man ätzte über „linke Parasiten“, schrieb, dass man sich „im Kampf gegen Staat und Kapital“ befinde. Und parallel schmiedeten die Männer in internen Chats offenbar ihre Anschlagspläne.
„Nur die Gewaltbereiten“ dürften mitmachen, hieß es in ihrer Chatgruppe, die Ermittler nun auswerten. Man werde „die Geschichte Deutschlands ändern“, möge dies auch „Opfer fordern“.
Schon Mitte September zog die Gruppe in Chemnitz los, mit Quarzhandschuhen und Elektroschocker, nach einer „Pro Chemnitz“-Kundgebung. Als Bürgerwehr gaben sie sich aus, kontrollierten auf der Schlossteichinsel Ausweise von Anwesenden. Als sie eine Gruppe von Iranern, Pakistanern und Deutschen trafen, kreisten sie diese ein, warfen einem Iraner eine Flasche an den Kopf. Ein Video zeigt den blutenden Mann, in panischer Angst. „Mach das Handy aus“, schreien die vermummten Neonazis. Der Übergriff soll ein „Probelauf“ gewesen sein.
Tom W., so berichtete die Zeit, soll für die Gruppe eine Waffe gesucht haben, am liebsten eine Heckler & Koch oder eine Walther. 800 Euro sollten dafür gezahlt werden. „Preis mache ich nicht, gebe ich nur so weiter“, so W.
Der Fall zeigt, welch radikale Dynamik sich seit den rechten Aufmärschen in Chemnitz entwickelt hat. Er zeigt aber auch: Wie fest rechte Militanz in der Region organisiert ist, seit vielen Jahren schon. Auch weil die Behörden lange nicht konsequent gegenhielten.
Schon im Jahr 2006 zog Tom W. mit seinem „Sturm 34“ in der Region los und führte „Skinheadkontrollrunden“ durch. Die Neonazis trafen sich auf Parkplätzen oder an Tankstellen, dann steuerten sie mit ihren Autos Jugendclubs an oder Dorffeste, auf der Suche nach Menschen, die wie Migranten aussahen oder wie Linke. Zu fünft gingen sie auf einen Mann los, traten ihm ins Gesicht, bis die Nase brach. Einem anderen schlugen sie mit einer Bierflasche den Schädel blutig. Zu fünfzehnt stürmten sie ein Dorffest, prügelten auf Gäste ein, warfen Tische um. Neun Personen wurden verletzt, ein älterer Mann schwer.
Allein im ersten Jahr sollen die Neonazis 37 schwere Straftaten verübt haben, heißt es später in dem Bescheid, mit dem der sächsische Innenminister den „Sturm 34“ verbietet und der der taz vorliegt. Ziel sei eine „Säuberung“ des Gebiets von „Linken und Zecken“ gewesen, von „Hip-Hoppern“, „Ausländern“ und sonstigen Gegnern. „Gewalt galt und gilt dabei als einzig probates Mittel.“
Es habe einen klaren Anführer gegeben: Tom W. Schon als Teenager fällt der Schulabbrecher mit Gewalttaten auf, auch zwei seiner Brüder sind in der rechten Szene aktiv. Tom W. tritt zunächst in die NPD ein, dann gründet er den „Sturm 34“ mit und dirigiert einige der Übergriffe. Als die Polizei 2006 bei ihm anrückt, findet sie Waffenpatronen und einen Gürtel mit Wurfsternen. Noch vor Gericht posiert W. in Szenekleidung, am Hals prangt ein „No Remorse“-Tattoo. Keine Reue. Dennoch kommt er glimpflich davon.
Dass der „Sturm 34“ eine kriminelle Vereinigung sei, sei nicht erwiesen, urteilt das Dresdner Landgericht in erster Instanz. Tom W. wird in diesem Punkt freigesprochen. Der Bundesgerichtshof greift ein, kassiert das Urteil, es muss neu verhandelt werden. Schließlich verurteilt das Dresdner Landgericht Tom W. doch wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, aber zu milden Bewährungsstrafen. „Es gab in Sachsen nie ein hartes Signal, das diese Leute abgeschreckt hätte“, sagt die Linken-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz, die den Prozess gegen „Sturm 34“ damals beobachtete.
Das gilt offenbar auch für Christian K., der der Anführer von „Revolution Chemnitz“ sein soll. Der 31-jährige Tätowierer bewegte sich auch im „Sturm 34“-Umfeld. 2006 nahm er an einer Aktion teil, die die Polizei der Gruppe zurechnet: einem Angriff auf die Wohnung eines Chemnitzers. Heute will Christian K. noch härter sein als der NSU. Dieser sei „eine Kindergartenvorschulgruppe“, soll K. im Chat geschrieben haben.
Der NSU? Kindergarten
Es herrsche in der rechtsextremen Szene eine aufgeheizte Stimmung, warnen Sicherheitsbehörden. Nach dem Todesfall in Chemnitz und den rechten Großaufzügen fühlten sich einige offenbar legitimiert, ein Fanal zu setzen.
Rechter Terror ist in Chemnitz kein neues Phänomen. Ende der neunziger Jahre wohnten dort Beate Zschäpe, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt – der „Nationalsozialistische Untergrund“. In Chemnitz befand sich ihr erster Unterschlupf nach dem Abtauchen 1998. Zwei Jahre lebten sie hier, hielten Kontakt zur lokalen Neonazi-Szene. Die Fahnder fassten sie dennoch nicht. Später erschoss das Trio zehn Menschen und verübte drei Sprengstoffanschläge.
Einer der engsten Helfer damals: André Eminger, ein Neonazi. Er organisierte Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe eine Wohnung in Chemnitz und unterstützte sie bis zum Schluss. Im NSU-Prozess in München wurde Eminger im Juli zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Er verließ das Gericht vorerst als freier Mann. Auch der mitangeklagte Ralf Wohlleben ist inzwischen wieder auf freiem Fuß. Die rechtsextreme Szene jubelte.
Ab 2008 organisierten sich in Chemnitz wieder militante Neonazis, die „Nationalen Sozialisten Chemnitz“. Auch hier gehörte Gewalt dazu, Schießtrainings wurden absolviert. „Freiheit wird erkämpft und nicht geschenkt“ lautete eine Losung der Gruppe. Ein Mitglied ätzte im Internet, man solle Flüchtlinge, „dieses Viehzeug“, „einfach abknallen und dann ist eh gut“. Die Gruppe soll auch Kontakt zu Wohlleben und Eminger gehabt haben. Erst 2014, nach sechs Jahren Wirken, wurden die „Nationalen Sozialisten Chemnitz“ verboten. Zuvor hatte die Gruppe auf ihrer Internetseite auch ein Facebook-Profil verlinkt: das von „Revolution Chemnitz“. Das war im Jahr 2013. Die „Revolution“-Autoren äußerten sich radikal, einige posierten aber auch – wenig klandestin – auf Selfies. Nun gelten sie als Rechtsterroristen.
2.600 Rechtsextreme zählt der Verfassungsschutz in Sachsen, die Hälfte von ihnen stuft er als „gewaltorientiert“ ein. Es sei eine enorme Herausforderung, heißt es in Sicherheitskreisen, die Leute auszumachen, die es wirklich ernst meinten.
Zuletzt waren es immer wieder Bundesbehörden, die hier nachhalfen. Auch weil die lokalen Sicherheitsbehörden oft zu zögerlich agierten. So bei „Sturm 34“, wo die Polizei trotz V-Mann lange nicht eingriff.
Oder bei der „Gruppe Freital“.
Die verurteilten Rechtsterroristen hatten zwei Flüchtlingsunterkünfte und ein linkes Hausprojekt angegriffen, das Auto eines Linken-Stadtrats gesprengt, sein Büro verwüstet. Die sächsischen Behörden sahen nur Einzeltaten. Dann aber schaltete sich – wie nach dem ersten „Sturm 34“-Urteil – der Bund ein: Die Bundesanwaltschaft übernahm den Fall und fertigte eine Anklage wegen Rechtsterrorismus an. Genauso wurden zuletzt, auch auf Betreiben der Bundesanwälte, die Anführer der „Oldschool Society“ verurteilt, die sich ebenfalls in Sachsen getroffen hatten.
Jetzt schreitet die Bundesanwaltschaft auch gegen „Revolution Chemnitz“ und Tom W. ein. Nach dem „Sturm 34“-Urteil hatte sich der frühere Kameradschaftsführer wenig später wieder in einen Neonazi-Aufmarsch in Döbeln eingereiht. Dann wurde es ruhig um ihn. Offensichtlich aber hielt Tom W. der Szene und der Gewalt die Treue. Diesmal könnte er nicht mehr so glimpflich davonkommen.
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