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Tempo 30 vor Hamburger KitaLangsamer als die Polizei erlaubt

Vor sozialen Einrichtungen gilt Tempo 30. Eigentlich. Aber erst sechs Jahre später hat ein Vater das Tempolimit vor der Kita seines Sohnes durchgesetzt.

In Hamburg ist Tempo 30 noch ausbaufähig Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Hamburg taz | Es war einmal im Jahr 2017, da stellte ein Vater den Antrag, dass vor der Kita seines Sohnes im Stadtteil Hamburger Eimsbüttel Tempo 30 eingeführt werden solle. Das gibt die Straßenverkehrsordnung seit jenem Jahr her. Aber es sollte sechs Jahre dauern, bis der Bezirk die reduzierte Höchstgeschwindigkeit an einem Teilstück der Lappenbergsallee anordnete.

Und erst im vergangenen Monat ist der Antrag, die gesamte Lappenbergsallee auf Tempo 30 zu beschränken, beschlossen worden. Das heißt, das künftig die zahlreichen Kitas und Seniorenwohnheime entlang der Straße, die laut Straßenverkehrsordnung geschützt werden sollen, tatsächlich geschützt werden. Es sei denn, die untere Verkehrsbehörde grätscht noch dazwischen.

Man kann, je nach Stimmung, das Ganze als Zeichen dafür nehmen, dass in Hamburg die Mantren einer autoaffinen Verkehrspolitik nicht mehr automatisch verfangen. Oder aber als Hinweis, dass in dieser Stadt so etwas wie eine Verkehrswende nur dann passiert, wenn engagierte Bür­ge­r:in­nen einen zähen Kampf mit Polizei, Verkehrsbehörde und Politik ausfechten.

So zäh, dass das eigene Kind die Grundschule bereits verlassen hat, wenn die Autos vor der einstigen Kita langsamer fahren. Was bedeutet, dass man diesen Kampf notwendigerweise nicht nur fürs eigene Wohl kämpft.

Lärm- und Emissionsschutzwerte überschritten

Fabian Winkler hatte 2017 ein Online-Angebot des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) genutzt, mit dem man feststellen konnte, ob die Lärm- und Emissionsschutzwerte in einer bestimmten Straße überschritten wurden. Beides war in der Lappenbergsallee an der Kita seines Sohnes des Fall. Winkler stellte den Antrag auf Tempo 30 an die Straßenverkehrsbehörde – und hörte erst einmal nichts.

Fünf Monate später kam ein Kostenbescheid: Die Prüfung seines Antrags würde bis zu 360 Euro Bearbeitungsgebühr kosten, ob er dazu bereit sei? Winkler war dazu bereit. Knapp zwei Jahre später erhielt er die Ablehnung: Zwar liege der Lärmpegel mit 68 dB über dem Grenzwert von 59 dB, das allein rechtfertige aber kein Tempo 30.

Und vor allem: Die Metrobusse müssten dann langsamer fahren und dies, so die Polizei, „führt auch zu einer Verschlechterung der Attraktivität des Öffentlichen Personennahverkehrs“.

Die Polizei gilt in Hamburg als Vertreterin eines ehernen Gesetzes, das fließender Autoverkehr heißt. Und dass die unteren Verkehrsbehörden bei ihr angesiedelt sind, kritisiert nicht nur der ADFC. Die Grünen haben 2020 beantragt, die unteren Verkehrsbehörden den Bezirksämtern zu unterstellen, in ihrem Wahlprogramm forderten sie, die Verkehrsdirektion von der autoaffinen Innenbehörde zu lösen – beides erfolglos.

„Es ging mir ums Prinzip“

Fabian Winkler hat im Juni 2019 gegen die Ablehnung seines Antrags vor dem Verwaltungsgericht geklagt, er hat sich sogar einen Anwalt dafür genommen, „es ging mir ums Prinzip“. Das Prinzip bedeute, keinen Verkehr hinzunehmen, „der alles aufs Auto auslegt“, selbst in einem so dicht besiedelten Gebiet wie Eimsbüttel, und das Prinzip bedeute auch, nicht zu warten, bis „etwas Fürchterliches“ passiert, in der Regel ein tödlicher Unfall mit einem Kind wie in der Stresemannstraße, wo es vor vielen Jahren plötzlich möglich war, Teile einer Hauptverkehrsader auf Tempo 30 zu drosseln.

Das Verwaltungsgericht war mit anderen Fällen befasst, Winklers Verfahren dümpelte vor sich hin, zwischenzeitlich schrieb die Polizei in einer bemerkenswerten Stellungnahme, dass von Tempo 30 keine nennenswerte Lärmreduzierung zu erwarten sei. Und fuhr fort: „Dies kann ferner auch angenommen werden, da sich ein Teil der Fahrzeugführer über eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h hinwegsetzen würde.“

Während ein Urteil weiter ausstand, wurde Ende 2022 vor einer Kita in einer unmittelbaren Nachbarstraße der Lappenbergsallee, durch die ebenfalls Metrobusse fahren, Tempo 30 eingeführt. Und das auf Initiative der Polizei. Winkler setzte das Gericht davon in Kenntnis, schließlich sah er damit das Hauptargument für die Ablehnung entkräftet.

Im Februar 2023 ordnete plötzlich die Polizei Tempo 30 vor der Kita in der Lappenbergsallee an. In der Begründung heißt es lapidar: „Nach den Kriterien der HRVV [Hamburger Richtlinien für die Anordnung von Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen, Anm.] ist in der Lappenbergsallee 34 die Einrichtung einer Tempo 30-Strecke möglich und wird hiermit angeordnet.“ Von Einschränkungen des öffentlichen Nahverkehrs war nicht die Rede.

Schockiert über die Langsamkeit

Damit erübrigte sich der Prozess vor dem Verwaltungsgericht. Winkler wollte aber mehr: dass die gesamte Lappenbergsallee zur Tempo-30-Zone wird. Dafür gewann er die Grünen, die in der Bezirksversammlung Eimsbüttel den entsprechenden Antrag einbrachten. Er wurde gegen die Stimmen von AfD, CDU und FDP verabschiedet.

Winkler sagt, dass er in den sechs Jahren viel gelernt hat über Verkehrsgesetze und die Strukturen politischer Entscheidungsfindung. Natürlich ist er stolz und zufrieden, dass die Tempo-30-Zone durchgesetzt ist. Aber ebenso ist er „schockiert, wie lange es dauert in einer Zeit, in der es notwendig ist, die Stadt massiv umzubauen von einer autogerechten zu einer mobilitätsoffenen Stadt“.

Dirk Lau vom ADFC sieht das ähnlich. Für ihn sind die Begründungen, mit denen Tempo-30-Zonen abgelehnt werden, freundlich gesprochen, fantasievoll. Gerade wurde im Eimsbüttel, so sagt er, eine bereits ausgewiesene Tempo-30-Zone auf 6 bis 22 Uhr beschränkt, weil dort eine Feuerwehrwache liegt. Deren Mitarbeiter:innen, so die Begründung, müssten schneller fahren können. „Die Feuerwehrleute müssen tagsüber ja genauso zur Arbeit“, sagt Lau.

Neue Tempo-30-Zonen gebe es in Hamburg nicht, Tempo-Abschnitte nur nach zähem Kampf. Was das Gesetz ermögliche, werde nicht ausgeschöpft – sondern ohne Not in Einzelfallprüfungen abgewogen. Lau fordert eine ganz andere Perspektive: Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit mit Tempo 50 in begründeten Ausnahmen. Das ist noch Zukunftsmusik in Deutschland, aber Hamburg macht bislang keine Anstalten, eine solche Zukunft voranzutreiben, etwa indem es sich dem Städtebündnis „Lebenswerte Stadt“ anschließt, die genau das fordert.

Vorerst bleibt den Ham­bur­ge­r:in­nen also nur, über den Tellerrand zu schauen. Nach Bologna etwa, das sich gerade zur Tempo-30-Zone erklärt hat.

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6 Kommentare

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  • Vielleicht sollte man auch bedenken, das es keine gute Idee ist, eine Kita an einer Hauptverkehrsstrasse zu eröffnen.



    Wer genehmigt sowas?



    Ansonsten bin ich für 40,60,80,100,120



    40kmh in der Stadt auf einspurigen Straßen



    60 auf zwei spurigen



    80 Ausserhalb geschl Ortschaften



    100 auf Kraftfahrzeugstrassen



    120 auf Autobahnen



    Braucht dann auch keine Schilder mehr!



    Wahrscheinlich ein Grund warum solch praktische Lösung nicht kommt.

  • Danke für den Artikel und v.a. den Durchsetzungwillen des beschriebenen Vaters. Es ist so wichtig dem Autowahnsinn in Dtl Einhalt zu gebieten.



    Kann mich den Vor-Kommentatoren nur anschließen.

  • Tatsächlich werden gerade die zeitlich begrenzten Tempo 30 Zonen von den Autofahrern nicht beachtet. Nie. Von keinem einzigen. Und die Polizei schert sich nicht darum. Dafür aber die ewig gleiche Diskussion, dass die Fahrradfahrer...

    • @Sophie Löffler:

      ...bergab 50 fahren? Finde ich in Ordnung so.



      Es ist der motorisierte Individualverkehr, der für hohe Abgaswerte und Lärmbelästigung sorgt. Nicht die Fahrradfahrer und nicht die schreienden Kinder.

  • Da die politisch verantwortliche Autopartei SPD nicht begreifen will, dass Klimaschutz, Verkehrssicherheit und mehr Gesundheit, weniger Verkehrstote und mehr Lebensqualität für alle mit Tempo 30 in der ganzen Stadt zusammenhängen, muss sie zu ihrem "Glück" gezwungen werden, anders geht es nicht.

    Regelmäßig bricht der Verkehr an Wochenenden in der Innenstadt zusammen, weil rücksichtslose im Stau stehende Autofahrer, LKW-Fahrer bei rot auf Kreuzungen einfahren. Die Folge: das perfekte Verkehrchaos, bei dem sich Busse, PKW, LKW, Fahrradfahrer und Fußgänger gegenseitig blockieren und gegeneinander wüten.

    Die Polizei schaut zu, hat kein Konzept dagegen, der Verkehr muss ja fließen.



    Unter der Regierung von SPD und Grünen haben sich diese Problematiken erheblich verschlechtert. Handwerker-PKW, Pendler fahren viel zu schnell und in Hetze durch kleinste Nebenstraßen, um tägliche Staus zu umfahren. Der nächste tote Radfahrer und das nächste tote Kleinkind, Rentner mit Rollator sind nur eine Frage der Zeit.

    Deshalb müssen regelmäßige störende sit ins von Bürgern, Fahrrad- und Umweltverbänden auf Straßenkreuzungen deutlich machen, dass Tempo 30 in der ganzen Stadt die Grundvoraussetzung für eine Verkehrsberuhigung und die Verkehrswende ist.



    Die Grünen müssen bergreifen, dass sie die Blockadepolitik der SPD nicht im Parlament ausssitzen dürfen, sondern sich mit Bürgern bei sits ins auf die Straße setzen müssen. Vielleicht endeckt ja auch die Letzte Generation das Thema.

    • @Lindenberg:

      Die Letzte Generation ist die wahre Bedrohung! Die "Afd" und ihre Gesinnungsgenossen müssen die Autos doch schützen. Der letze, der allerletzte Rest Deutscher Kultur wäre sonst dahin, geopfert auf dem Altar der anderen!1!!11