Teilzeitarbeit und Rollenverständnis: Einfach ein bisschen weniger
Dieser Text ist zum Teil mit dem Kind auf dem Schoß entstanden. Unsere Autorin fragt sich: Wie könnten sich alle, die das wollen, Teilzeit leisten?
Ich habe nahezu immer Teilzeit gearbeitet, ohne darin ein Thema zu sehen, über das ich hätte nachdenken müssen. Bevor ich Kinder hatte, tat ich es um der Schönheit eines freien Tages willen, an dem ich Trompete spielte oder lange im Café saß. Da ich bei der taz ohnehin sehr überschaubar verdiene, hatte ich nicht das Gefühl, dass mich der eine Arbeitstag mehr aus dem Bankrott führen würde.
Mein eigenes Interesse an Teilzeitarbeit als Frage, auch als Problem kam auf, als ich nach meiner zweiten Elternzeit wieder in die Redaktion zurückkehrte. Die Texte, die ich schreiben möchte, stemme ich in meiner Arbeitszeit nicht, sie erfordern Zeit, um mit Leuten zu sprechen, Zeit zu schreiben.
Ich bin älter geworden, vielleicht stecke ich die schlechten Nächte schlechter weg, vielleicht sind wir in der Redaktion personell noch ein Stück schlechter aufgestellt. Vielleicht bin ich mit der Frage ohnehin Sprachrohr jenes fragwürdigen Machbarkeitsdiskurses, der uns fortwährendes Gelingen, Erdbeeren im Winter und ewiges Leben verspricht.
Im Augenblick denken viele über Arbeitszeit nach, die Politik tut es, die Gewerkschaften und die Unternehmen. Die Frage, ob sich Arbeitszeit reduzieren lässt, taucht überall auf. Aber weder Exfamilienministerin Manuela Schwesig konnte sich mit einer finanziell abgefederten Familienarbeitszeit von 26 bis 36 Stunden durchsetzen, noch Exarbeitsministerin Andrea Nahles mit einem Rechtsanspruch auf Rückkehr von Teil- auf Vollzeitarbeit. Die IG-Metall hat gerade, und das war ein Meilenstein, erreicht, dass Vollzeitkräfte ihre Arbeitszeit zeitweise verkürzen dürfen – während die Arbeitgeber die Flexibilisierung nach oben durchgesetzt haben.
Teilzeitarbeit erscheint als große Umverteilungsutopie: Für die Männer etwas weniger Arbeit, Frauen etwas mehr, Führungskräfte weniger – und dann klafft eine Lücke, weil die Aldi-Kassiererin, die aufstocken will, damit das Geld reicht, in der Regel nicht auftaucht. Die ProtagonistInnen der neuen Arbeitswelt scheinen vor allem hippe AkademikerInnen zu sein. Ich frage mich, ob da Sonntagsreden gehalten werden: ähnlich unüberzeugend wie die zur Besserbezahlung der sozialen Berufe, die immer gefordert, aber nie durchgesetzt wird, oder zu einer Energiewende, bei der niemand Strom sparen muss, weil der ja irgendwie grün sein wird. Umverteilung und Abstriche: Das war noch nie populär. Ich frage mich angesichts der beeindruckenden Statik der Arbeitszeitverteilung – Väter gleich Vollzeit, Mütter gleich Teilzeit – wer da eigentlich eine Veränderung will, und ich frage mich, ob sie zu haben ist, ohne dass man einen Preis dafür zu zahlen hat.
Christina Klenner,Hans-Böckler-Stiftung
Sicher bin ich, dass ich den Geht-doch-alles-Duktus in der Debatte immer schlechter vertrage, dass mir die von beiden Geschlechtern gleichermaßen paternalistisch vorgebrachten Dogmen, wie Frauen, Männer, Mütter, Väter zu arbeiten haben, sauer aufstoßen, egal in welche Richtung sie gehen. Es ist erstaunlich, wie inakzeptabel da alle Arbeits- und Lebensentwürfe scheinen, die nicht die eigenen sind, wie sich die Welt verengt in Muttis und Karriereknicks einerseits und Rabenmütter andererseits – und jetzt klingt es schon wie ein Frauenthema, obwohl es keines ist.
Als ich mit einem Kollegen darüber sprach, wie bevormundend ich den Mach-gefälligst-Karriere-Diskurs empfinde, erinnerte er mich daran, dass das Recht zu arbeiten doch eine zentrale Errungenschaft der Emanzipation sei. Keine Frage. Aber die Emanzipation hat auch eine Unibildung im Schlepptau, die mich gelehrt hat, cui bono? – wem nutzt es? – zu fragen. Geht es um meine Autonomie oder darum, mich als Verschiebemasse auf dem Arbeitsmarkt zu nutzen? „Mach dich passend, es ist zu deinem Besten“, tost es, „wir liefern die 24-Stunden-Kitas dazu.“ „Lass deine Arbeitskraft nicht liegen, mach etwas aus deinem Humankapital“, raunt man mir zu, als sei ich eine Mensch gewordene Anlageoption.
Ich sollte noch vorausschicken, dass ich selbst in einer exklusiven Nische lebe, was mein Arbeitsleben anbelangt. Mein Partner ist Teil eines Bioladenkollektivs, er hat gerade seine Arbeitszeit dort auf 24 Stunden reduziert, weil er nebenbei als freier Autor arbeiten will. Wir verbringen gleich viel Zeit mit den Kindern, und wir arbeiten auch gleich viel. Wenn ich die Statistiken über Teilzeit lese, erkenne ich, dass wir hochexotisch sind; die Paare, die egalitär Teilzeit arbeiten, sind nahezu nicht vorhanden.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Tatsächlich ändert sich gesamtgesellschaftlich trotz aller Verheißungen herzlich wenig. Die Quote der Frauen, die Teilzeit arbeiten, liegt seit zehn Jahren bei rund 46 Prozent, die überwiegende Mehrheit sind Mütter. Bei den Männern ist der Anteil der Teilzeitarbeitenden auf 10 Prozent gestiegen. Das klingt viel, aber der Grund dafür ist selten der Wunsch, jemanden zu pflegen, Zeit für seine Kinder oder sich selbst zu haben. Oft sind es Stellen, die nur in Teilzeit angeboten werden, oder es gibt gesundheitliche Gründe für die Reduzierung. In Befragungen wünschen sich die meisten Arbeitnehmerinnen zwischen 28 und 32 Arbeitsstunden, aber kaum jemand arbeitet so. Die deutliche Mehrheit, etwa zwei Drittel der Familien, lebt ein modernisiertes männliches Ernährermodell mit den Frauen als Hinzuverdienerinnen.
Das ist der Stand der Dinge, aber er muss nicht so bleiben. Das zumindest glaubt Christina Klenner, sie arbeitet bei der Böckler-Stiftung und forscht zu Teilzeit. Sie hat Menschen durch alle Schichten nach ihren Wünschen zur Arbeitszeit befragt: Die meisten haben ein Unbehagen daran, so viel zu arbeiten. Sie leben nicht so, wie sie es sich einmal vorgestellt haben, und haben die Fantasie, es könnte anders sein. „Aber es ist nicht so weit, dass es praktisch wird“, sagt Klenner. Um so hilfreicher findet sie es, wenn andere vorangehen, wenn Betriebe ihren Mitarbeiter-Innen die Wahl lassen zwischen mehr Urlaubstagen oder mehr Geld. Der Nationalökonom Max Weber sah die Arbeiter zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch selbstverständlich früher nach Hause gehen, statt mehr Lohn einzustreichen. Weber glaubte, es brauche einen „Erziehungsprozess“, um die Arbeiter zu funktionierenden Gliedern des Kapitalismus zu formen, denen Geld kostbarer ist als Zeit.
Männer in Teilzeit
Derzeit stellt sich für viele die Frage erst gar nicht: Teilzeitarbeit ist für die meisten nicht auskömmlich – und sie ist weiblich. „Ein Teilzeit arbeitender Mann verhält sich wie eine Frau“, sagt Christina Klenner. Es ist diese Formulierung, die mir die Dramatik des Themas Teilzeitarbeit klarmacht: Ein teilzeitarbeitender Mann ist ein Mann, der die männliche Arbeitsnorm verlässt, ein Sekretär, eine männliche Hebamme. Er verletzt nicht nur die Erwartung der meisten Männer, sondern auch der meisten Frauen. Der Soziologe Rainer Trinczek hat in einer Studie Anfang der 1990er Jahre Zeitpioniere befragt, Männer, die damals Teilzeit arbeiteten. Sie wurden von ihren Kollegen derart angefeindet, dass sie entweder so viel arbeiteten wie zuvor auf ihrer Vollzeitstelle oder aber behaupteten, sie hätten noch einen Zweitjob.
Christoph Abendroth (Name geändert) ist Assistenzarzt in einer Großstadt, ginge es nach ihm, wäre er einer jener Männer, die sich wie eine Frau verhalten, aber es geht nicht nach ihm. Der 30-Jährige hat zweimal versucht, Teilzeit zu arbeiten, und es hat ihn jedes Mal die Stelle gekostet.
Das erste Mal hatte er bereits eine Zusage, aber als er fragte, ob er auch Teilzeit arbeiten könnte, zog man das Angebot zurück. Das zweite Mal fragte Abendroth kurz vor Ende der Probezeit, ob er Elternzeit für die Kita-Eingewöhnung seines Sohns nehmen könne, danach wollte er auf 75 Prozent reduzieren. Bald darauf kündigte ihm die Klinik ohne Begründung. Als Abendroth fragte, ob der Grund für die Kündigung sein Teilzeitwunsch gewesen sei, stritt sein Chef das ab. Nein, es habe viele Gründe gegeben, aber welche das waren, wurde nicht klar, zumal die Oberärzte durchweg zufrieden mit seiner Arbeit waren.
Der Personaloberarzt hat Abendroth zum Abschied noch einen kleinen Vortrag gehalten: Der Arztberuf erfordere Einsatz wie kein anderer, er selbst habe sechs Wochen am Stück gearbeitet. Für Abendroth ist das einer der Gründe, warum sich nichts ändert: Dazu müsste die Generation, die jetzt bestimmt, das eigene Leben infrage stellen. „Er verteidigt ein Lebensmodell, unter dem er selbst gelitten hat“, sagt Abendroth.
Das ist natürlich Mutmaßung. Und die Debatte über Arbeitsmodelle und die Erfüllung, die sie mit sich bringen, ist voll solcher Zuschreibungen. Manche sind statistisch unterlegt. Eine Studie des Roman-Herzog-Instituts, die die Zufriedenheit von Männern und Frauen mit Familie und Beruf untersucht, kommt zu dem Schluss, dass Frauen in einer egalitären Vollzeit-Vollzeit-Beziehung nicht zufriedener sind als solche in traditionellen Strukturen, in denen sie Teilzeit oder geringfügig arbeiten. Und dass Mütter im egalitären Modell weniger zufrieden sind als solche, die im traditionellen leben. Die Autorinnen führen das auf die Doppelbelastung durch Familie und Beruf zurück. So dass die Unzufriedenheit also eine zu behebende ist, so wie die Zufriedenheit der kaum berufstätigen Frauen mit ihrer weiblichen Sozialisation erklärt wird.
Es hat einen Hauch davon, als beschreibe man die Domestizierung vom Wolf zum Chihuahua, einen häuslichen Charakter, dessen Grundlage eine gewisse Lebensuntüchtigkeit ist. Aber vielleicht höre ich mich da nur selbst. Ich wundere mich, warum diese Frauen nicht auf den Tisch hauen, warum sie ohne Not einknicken, warum sie nicht alles zugleich wollen wie ich, eine authentische Vertreterin der unzufriedenen Egalitären aus der Studie des Herzog-Instituts. Und ich frage mich, mit welchem Blick die SoziologInnen in 50 Jahren auf mein Rennen zwischen Familie und Beruf sehen werden. Und welche Beschränkungen sie in meiner Sozialisation feststellen werden.
Der Arzt Christoph Abendroth arbeitet jetzt 100 Prozent, seine Freundin 60. Als klar wurde, dass er als Teilzeitkraft seine Facharztausbildung nicht würde beenden können, hat seine Freundin um 20 Prozent reduziert. Unter Abendroths Kollegen arbeitet niemand Teilzeit, nur ein paar Ärztinnen tun das, und die haben ihre Kinder sicherheitshalber erst nach Ende der Facharztausbildung bekommen.
Aber sie sind eine Minderheit, und das System ist an der Mehrheit orientiert. Der Dienstplan ist an Vollzeitstellen ausgerichtet, und Abendroth macht sich keine Illusionen über die Bereitschaft, das für einen Einzelfall wie ihn zu ändern. „Ich bin beim Schach der Bauer“, sagt er. Abendroth kennt kleine Kliniken etwa am Stadtrand von Berlin, die 75-Prozent-Stellen für alle anbieten. Die Bahn schmückt sich zum Vatertag 2017 mit einem Teilzeitangebot für Führungskräfte, „familienfreundlicher Arbeitgeber“ will sie sein. 50 Prozent der Programmteilnehmer, sagt eine Bahn-Sprecherin, arbeiten dabei 30 oder mehr Stunden, die andere Hälfte 10 bis 30 Stunden. Ob das einen Kulturwandel zeigt? „Das wage ich nicht zu beurteilen“, sagt die Bahnfrau. Sicher ist: Teilzeit lässt sich vielerorts organisieren. Aber dort wo Christoph Abendroth arbeitet, muss man nicht um Personal werben. Teilzeit arbeiten zu können, ist auch eine Frage des eigenen Marktwerts. Und deshalb hört man Geschichten wie seine auch aus dem öffentlichen Dienst, von Menschen etwa, die sich um bedürftige Eltern oder Geschwister kümmern wollen und es kaum können, weil sich ihr Arbeitgeber quer stellt.
Die Chefin nicht begeistert
In zwei Tagen endet Abendroths Probezeit. Vorher wird er das Wort Reduzierung nicht in den Mund nehmen. Im Sommer erwarten er und seine Freundin das zweite Kind, nach der Elternzeit will er Teilzeit arbeiten. Die Frage für ihn wird dann weniger sein, ob er einen Rechtsanspruch darauf hat, sondern ob seine Ausbildung darunter leidet. „Meine Chefin wird nicht begeistert sein“, sagt Abendroth. Wenn er Pech hat, wird sie es so wenig sein, dass er in einen Bereich kommt, in dem er nichts lernt. „Ich bin gespannt, was ich in zwei Jahren erzähle“, sagt er zum Abschied.
Bei einem Telefonat für diesen Text liegt meine kranke Tochter schlafend auf mir. Ich überlege, ob ich sie wecken soll, um mitschreiben zu können, und entscheide mich dagegen. Ich in meiner Blase bin privilegiert: Wenn ich mich in eine langwierige Recherche über Teilzeitarbeit werfen will, kann ich das tun. Ich muss nur sehen, wann es geht. Es geht ziemlich oft abends zwischen acht und zehn. Die einzige Instanz, die ich dafür beschuldigen kann, bin ich selbst. Ich könnte ja meine Arbeitszeit aufstocken – aber ich tue es nicht, weil ich nicht bereit bin, weniger Zeit mit meinen Kindern zu verbringen.
Teilzeitkräfte, so zeigen es Untersuchungen der Krankenkassen, sind im Schnitt zufriedener als Vollzeitkräfte. Warum, frage ich Christina Klenner von der Böckler-Stiftung. Warum in all dem Dauerlauf zwischen Kita und Büro? Warum, wenn andere Studien belegen, dass die Gesamtarbeitszeit der weiblichen Teilzeitkräfte länger ist als die der männlichen Vollzeitkräfte, weil die Haushaltsarbeit weitgehend an ihnen hängen bleibt? Da bleibe ein Fragezeichen, sagt Klenner. Was sie als Erklärung anbietet: den klaren Arbeitsschluss zumindest für jene Teilzeitkräfte, deren Arbeit mehr in Stunden als in Ergebnissen gewertet wird. Und eine Zufriedenheit damit, der – traditionellen – Rolle gerecht zu werden.
Ich fand es geschickt organisiert, meine nächste Gesprächspartnerin nach einem Familientreffen bei meinen Eltern im Rheinland zu treffen. Frauke Bernds ist ein Anschauungsbeispiel für eine zufriedene Vollzeitkraft und eine Herausforderung für die, die glauben, dass nahezu jede Arbeit auch in Teilzeit zu leisten ist. Sie ist verantwortlich für das Konzertprogramm der Kölner Philharmonie, und die Fahrt zu ihr dauert so nur eine halbe Stunde, statt viereinhalb von Hamburg aus. Die Idee war, dass mein Freund mit den Kindern zurückreisen würde, aber er wurde krank, und so fuhr ich mit den Kindern zum Interview. Das war der Kollateralschaden eines Projekts, das nicht in meine Normarbeitszeit passt, es war zugleich eine kostbare Erfahrung für mich, weil die Fünfjährige auf dem Boden liegend malte, während die Zweijährige auf meinem Schoß saß. Es war nicht ideal, aber das Interview ließ sich führen, und es war auf ulkige Art eine Antwort auf meine Frage, wie Zeit zu finden ist. Ich war sonderbar stolz, was irrational ist, aber es schien mir, als hätten wir der gegenwärtigen Unverträglichkeit von Arbeits- und Familienwelt gemeinsam die Stirn geboten.
In Frauke Bernds’ Büro hängt eine Postkarte: „Willst du dies noch einmal und unzählige Male?“, daneben ein Foto ihres zweijährigen Sohns. In einer gläsernen Vase liegen abgerissene Konzertkarten, neulich hat sie sie gezählt, 108 sind es, 108 Konzertbesuche in einem Jahr, 108 abendliche Arbeitstermine. „Die Herausforderung, beides unter einen Hut zu bringen, geht nicht ohne einen Partner, der den Willen und die Möglichkeit hat, mitzuziehen“, sagt Bernds, die freundlich und klar in einem ist. Ihr Mann ist Anwalt und arbeitet Vollzeit, aber mit flexiblen Zeiten.
Sie hat die Stelle mit Kind angetreten, eine Vollzeitstelle, die nicht anders zu haben war, das hat der Intendant ihr frühzeitig gesagt. „Vielleicht mache ich mir da Feinde“, sagt Bernds, „aber bei uns würde ich denken, dass die leitenden Funktionen nur so zu machen sind.“ Um dann hinterherzuschieben: „Vielleicht kann man für jeden ein Modell finden.“ Aber sie ist auch gar nicht auf den Gedanken gekommen, es anders zu wollen. Zwischen der Zeit im Büro und den Abenden im Konzert kann sie ziemlich regelmäßig zwei, drei Stunden am Nachmittag mit Mann und Kind verbringen – „wer hat das sonst schon?“
Das Erfrischende ist, dass Frauke Bernds kaum von Sachzwängen und viel von eigenen Entscheidungen spricht: „Wenn man im Kulturbetrieb arbeitet, ist es ja nicht nur Broterwerb, es ist Passion“, sagt sie, und da jegliches Pathos dabei fehlt, nimmt man es ihr sofort ab. Passionen sind anstrengend. Frauke Bernds ist schmal geworden in den letzten Jahren, und Zeit für sich allein hat sie kaum. Und trotzdem ist sie dankbar: „Ich bin privilegiert“.
Ich bin keine Führungskraft, will auch keine sein. Was mich grämt, ist die Frage, wie ich Texte jenseits des Tagesgeschäfts schreiben kann. Ich sehe die Möglichkeiten der Komprimierung, die man den Teilzeitkräften nachsagt, aber ich sehe auch ihre Grenzen. Ein Text, den man noch einmal liest, bevor man ihn abgibt, hat gute Chancen, ein besserer Text zu werden. Keinem Text schadet eine zusätzliche Stunde Recherche oder eine Stunde mehr, um auf einen Rückruf zu warten.
Vor ein paar Tagen las ich in der Süddeutschen Zeitung ein Interview mit der Biologin, Biochemikerin und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard. Sie sagte, es sei abwegig, ihre Forschungsarbeit als Kinderlose mit der von Wissenschaftlerinnen mit Kindern zu vergleichen. Sie habe schlicht mehr Zeit dafür. Ich war merkwürdig froh, das zu lesen, weil es endlich einmal eine klare Absage an die Machbarkeitsschimäre war. An die mantrahaft vorgetragene Idee, dass Teilzeitarbeitende effizienter und besser organisiert arbeiten und damit alles wettmachen. Ich glaube, dass sie es tun. Ich sehe ja, wie meine Teilzeitkollegin eine Zeitungsseite nach der nächsten produziert, während Vollzeitkollegen lange Gespräche auf dem Flur führen, die manchmal in Texte münden und manchmal nicht. „Sich die Teilzeit verdienen“, hat Christina Klenner von der Böckler-Stiftung diese Effektivität bei Teilzeitkräften genannt.
Die Scheinheiligkeit der Teilzeitdebatte
Das andere ist das, was der Soziologe Trinczek die – zweite – Scheinheiligkeit der Teilzeitdebatte nennt. Bei seiner Umfrage unter Führungskräften beteuerten die meisten, dass eine Stelle mit weniger als 80 Prozent sicher ins berufliche Aus führe. Derzeit arbeiten ohnehin nur 9 Prozent aller Führungskräfte in Teilzeit.
Auch im Mittelfeld tut sich nichts. Der Mediziner Abendroth erzählt, dass sich in seinem Umfeld, also links angehauchte AkademikerInnen, viele Paare ein Lebensmodell mit gleichberechtigter Teilzeit vorgestellt hätten. Nur, dass es kaum jemand umgesetzt hat: „Argumentiert wird mit Sachzwängen.“ Diese Sachzwänge sind ein neuralgischer Punkt beim Nachdenken über Arbeitsverteilung, sie suggerieren eine klare Notwendigkeit, wo es oft um Prioritäten geht. Warum ist es gottgegeben, dass derjenige, der mehr verdient, Vollzeit arbeitet? Zumal laut Statistik auch bei Paaren, bei denen die Frau mehr verdient, sie diejenige ist, die ihre Arbeitszeit reduziert, sobald Kinder kommen.
Aber die Teilzeitgrenze verläuft nicht nur entlang unterschiedlicher Rollenbilder, sie verläuft auch entlang sozialer und finanzieller Gräben. Die Zahl derjenigen, die laut Vertrag 40 Stunden pro Woche arbeiten – und das ohne Überstunden – wächst. Er kenne die Debatte von zwei Seiten, sagt mir ein Arbeitsrechtler: bei Anwältinnen in prestigeträchtigen Kanzleien, die sie mit Abfindung verlassen, nachdem sie vergeblich eine Teilzeitstelle gefordert haben, und bei Kassiererinnen in Billigsupermärkten, die ihre Stundenzahl aufstocken wollen.
Vielleicht ist noch Zeit für einen Ausflug aus der Blase der Führungskräfte, hinein ins „untere Drittel“, so nennt es Jan Thiele (Name geändert). Seine Eltern hatten eine Metzgerei, in der sie 80 Stunden pro Woche arbeiteten. Die Kinder, so sagt er, kamen an die Reihe, wenn der letzte, der allerletzte Kunde bedient war. Ihr Sohn will es anders machen. Aber die Ruhe, die er sich wünscht, kann er sich nicht leisten.
Vor unserem Gespräch schickt er mir eine Mail mit seinem Wochenplan. Der ist diesmal besonders gedrängt, weil Thiele danach Urlaub genommen hat, um Zeit mit seinem Sohn zu verbringen, der weitgehend bei der Mutter lebt. In der Mail steht: „Mo – frei. Di – Wawi 8–14 und Wohngruppe 14:45–21:30 – 3/4 Std. Pause in der S-Bahn oder Auto.“ So geht das bis Sonntag, 13.15 Uhr. Die Wawi ist der Bioladen, in dem Thiele als Aushilfe arbeitet, in der Wohngruppe für geistig behinderte Erwachsene arbeitet er als Betreuer. Thiele ist gelernter Tischler und Erzieher, mit beiden Jobs zusammen verdient er 1.800 Euro netto, bei 12,30 Euro Stundenlohn in der Wohngruppe. „Ich kann mir ein Leben ohne Arbeit nicht vorstellen“, sagt Thiele, er will es auch gar nicht, das fände er dekadent, aber er würde sie gern weniger gehetzt machen. Vor allem die in der Wohngruppe, weil sie dieses Gedrängte nicht gut verträgt, weil die Menschen dort das Gedrängte nicht vertragen. Weil es Leute sind, auf die man warten können muss. „Gestern war es so bei einem Mann, sagt Thiele. „Der hat ein Gedankengewitter im Kopf, aber gerade deshalb ist er ja in der Wohngruppe – da muss man am meisten aufpassen.“
Thiele wünscht sich die Umverteilung, von der in der Theorie immer mal die Rede ist: eine Angleichung zwischen den hohen und den niedrigen Gehältern und damit die Chance für die heute zu gering Verdienenden, weniger zu arbeiten. Aber dafür stehen die Zeichen schlecht. Die Soziologen glauben, dass sich die Möglichkeit, die eigene Arbeitszeit zu regulieren, genauso gestalten wird wie der Rest einer sich polarisierenden Gesellschaft: viele Möglichkeiten am oberen Ende und kaum welche am unteren.
Da muss man nicht einmal Marxist sein wie der französische Philosoph Alain Badiou, der ausschließt, dass es in unserem kapitalistischen System tatsächlich zu einer Verteilung der Arbeit auf alle und damit zu einer allgemeinen Reduzierung der Arbeitszeit kommen wird – denn zu gering wäre die Rendite der Unternehmer.
Aber solange die Leute sich nur leise wundern, dass sie so anders leben als erträumt, und zugleich den Kollegen verhöhnen, der sich dagegen auflehnt, bleibt ohnehin alles beim Alten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch