Tech-Unternehmen im US-Kongress: Alles nur Show?
Die Chefs von Amazon, Google, Facebook und Apple haben sich am Mittwoch vor dem US-Kongress gerechtfertigt. In Bedrängnis kamen sie dabei nicht.
Vergeudete Zeit, fünfminutenweise weggeworfene wertvolle Fragezeit. Diesen Eindruck schien die demokratische Abgeordnete Mary Gay Scanlon nach mehr als zwei Stunden gewonnen zu haben. Denn dann platzte ihr der Kragen wegen des Verhaltens einiger republikanischer Abgeordneter, die am Mittwoch (Ortszeit) in Washington die Gelegenheit hatten, vier der mächtigsten Männer der Welt zu konfrontieren.
Immer im Wechsel zwischen Republikaner*innen und Demokrat*innen hatten die Ausschussmitglieder die Möglichkeit, jeweils fünf Minuten lang ihre Fragen zu stellen. Mehrere Republikaner nutzen ihre Zeit dafür, das zu verbreiten, was Mary Gay Scanlon „abseitige Verschwörungstheorien“ nannte und deshalb in einem der ansonsten an Höhepunkten armen Anhörung ihre Kollegen unter deren erregtem Protest darauf drängte, doch vielleicht beim Thema zu bleiben.
Die republikanischen Abgeordneten gefielen sich tatsächlich darin, zum Beispiel die durch keinerlei empirische Basis gestützte Behauptung auszubreiten, Facebook und Google würden rechte Inhalte systematisch diskriminieren. Einer beklagte, dass seine Wahlkampf-E-Mails bei Gmail im Spam-Ordner landen würden, der andere, dass Facebook ungerechtfertigterweise einen Post von Donald Trump jr. gelöscht habe. In einer sich selbst bestätigenden verschwörungstheoretischen Schleife beharrten sie darauf, von Facebook in ihrer Meinungsfreiheit beschnitten zu werden.
Mark Zuckerberg blieb nur, höflich achselzuckend darauf zu verweisen, dass nicht sein Unternehmen, sondern Twitter entsprechend gehandelt habe. Die gewaltigen Reichweiten, die rechte und rechtsradikale Inhalte mit Facebook erzielen, wurden in dieser Argumentationslinie auch während der Fragestunde im Kongress völlig ignoriert.
Wie Drogendealer*innen und ihre Kundschaft
Die drängenden Fragen mit Blick auf Marktmacht bis hin zu monopolistischer Dominanz zu behandeln, blieb vornehmlich den demokratischen Abgeordneten vorbehalten. Nicht dass sie bedeutend Neues zutage hätten fördern können. Die vier Befragten waren gut vorbereitet, wichen schwierigen Themen mehr oder weniger geschickt aus oder zogen sich, nicht unplausibel, darauf zurück, nicht in sämtliche Details des Tagesgeschäfts eingeweiht gewesen zu sein.
Dabei hatte der Demokrat David Cicilline mehr als ein Jahr lang auf diesen Tag hingearbeitet. Auf Betreiben des Vorsitzenden des Anti-Kartell-Unterausschusses des Abgeordnetenhauses waren unzählige Befragungen durchgeführt und weit mehr als eine Million Dokumente gesichtet worden. So konnten die demokratischen Abgeordneten auf den reichen Dokumentenschatz des Ausschusses zurückgreifen, der unter anderem die planvollen Zukäufe des Konzerns belegt.
Prominentestes Beispiel war dabei Instagram, eine Plattform, deren Potenzial von Facebook früh als gefährlich für den eigenen Markanteil eingestuft wurde. Mit der Übernahme des Unternehmens und dessen Weiterentwicklung sicherte sich Zuckerberg die bis heute anhaltende Dominanz unter sozialen Netzwerken und damit Zugriff auf die dort eingesetzten Werbegelder, die zu fast 100 Prozent Umsatz und Gewinn des Konzerns bestimmen.
Einnahmen durch Werbung sollen weiter sprudeln
Gleich die erste Frage richtete sich allerdings an Sundar Pichai. „Warum stiehlt Google Inhalte von ehrlichen Unternehmen?“, eröffnete der Vorsitzende Cicilline die Sitzung. Die Mechanik der Suchmaschine, Nutzer*innen Ergebnisse zu liefern, die entweder auf eigene Angebote verweisen oder die gesuchten Informationen gleich auf Google selber zu präsentieren, wurde mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht. Schließlich entfernt sich die mit mehr als 90 Prozent Marktanteil größte Suchmaschine so immer mehr von ihrer ursprünglichen Indexfunktion.
Verweise auf Angebote im Netz treten in den Hintergrund, Nutzer*innen im eigenen Biotop zu halten, wird immer wichtiger. So fällt es dem Konzern leichter, Profile zu erstellen, die wiederum zur Ausspielung gezielter Werbung genutzt werden, und somit die Haupteinnahmequelle am Sprudeln zu halten. Republikaner versuchten, Pichai die unterstellten antikonservativen Vorurteile unter anderem damit nachzuweisen, dass Google sich nach Protesten von Mitarbeiter*innen aus einer Kooperation mit dem Pentagon zurückgezogen habe.
Für Amazon-Chef Jeff Bezos war die Anhörung der erste Auftritt dieser Art. Nur die Androhung einer offiziellen Vorladung konnte die „freiwillige“ Teilnahme erzwingen. Die anderen drei hatten zum Teil schon mehrfach Gelegenheit, die für sie sicher ungewohnte Situation zu trainieren, dass andere als sie selbst Thema und Tempo einer Konversation zu bestimmen.
Wer darauf wartete, dass Amazon-Gründer Jeff Bezos, mit großem Abstand der reichste Mann der Welt, sich ausführlich für die katastrophalen Arbeitsbedingungen in seinen Versandzentren würde rechtfertigen müssen, wurde enttäuscht. Die Fragen richteten sich hauptsächlich auf die Funktionsweise des „Market Place“ und die Kontrolle externer Anbieter*innen, die die Plattform nutzen.
Die seltene Gelegenheit, den Konzernchef mit der erdrückenden Übermacht seines Unternehmens und deren Folgen zu konfrontieren, brachte den nicht aus der Fassung. Jedoch nutzten mehrere Abgeordnete ihre Zeit, um nachdrücklich das Monopolproblem zu illustrieren. Stellungnahmen von Händler*innen, die für Kundenkontakt auf eine Präsenz bei Amazon angewiesen sind, beschrieben das Verhältnis zwischen Plattform und kleinen Verkäufer*innen als vergleichbar mit dem zwischen Drogendealer*innen und ihrer Kundschaft.
Von allem nichts gewusst
An dieser Stelle wurde auch deutlich, warum vor allem die demokratischen Abgeordneten auf neue gesetzliche Regelungen drängen. Ihre durchaus plausible Arbeitshypothese ist, dass klassische Anti-Kartell-Gesetzgebung, die ohnehin schon zahnlos genug ist, nur sehr schwer auf die Digitalkonzerne anwendbar ist. Deren Monopolstellung gründet schließlich weniger darin, mit einem Produkt einen Markt zu dominieren, sondern selber den Markt zu repräsentieren, also völlig willkürlich die Bedingungen, zu denen gehandelt wird, jederzeit zu ihren Gunsten anzupassen.
Jeff Bezos bestätigte entsprechende Nachfragen im Wesentlichen, ohne den Anschein zu erwecken, hier überhaupt eine Wettbewerbsverzerrung wahrzunehmen. Ob Alexa, das Smart-Home-System von Amazon, bei einer Produktsuche Eigenmarken des Konzerns bevorzuge, konnte oder wollte Bezos so zwar nicht als systematisch beabsichtigt dargestellt sehen, hielt eine solche Geschäftspraxis aber ganz beiläufig für plausibel und angemessen.
Dem geringsten Fragedruck sah sich Apple-Chef Tim Cook ausgesetzt. Tatsächlich kann er, anders als Zuckerberg, Pichai und Bezos, den Vorwurf einer im klassischen Verständnis marktbeherrschende Stellung glaubhaft zurückweisen. Nicht nur hat Apple kein Monopol, nicht einmal mehrheitliche Marktanteile in seinen Geschäftsfeldern können dem Konzern nachgewiesen werden. Die Abgeschlossenheit seiner Systeme jedoch bestimmt die Angriffslinie der Kritiker*innen. Dementsprechend konzentrierten sich die Fragesteller*innen auf den App-Store und die Behandlung der dort operierenden unabhängigen Webentwickler*innen und Softwarefirmen.
Während die anderen Befragten relativ häufig dahingehend auswichen, dass zu konkreten Fragen Antworten nachgereicht würden, zeigte sich Cook überaus detailliert informiert und bereit, direkt umfassend zu antworten. Direkt konfrontiert mit Indizien für die gezielte Benachteiligung von Konkurrenzprodukten zu Apple-Apps oder dem Anschein nach politisch motivierter Bevorzugung bestimmter Entwickler, zog sich jedoch auch der Apple-Chef auf vorgebliche Nichtkenntnis der Details bestimmter Vorgänge zurück.
Nur Wahlkampfgetöse?
Dramatische Szenen blieben in der Sitzung aus, was auch der Anhörungssituation geschuldet sein mag. Cook, Zuckerberg, Pichai und Bezos waren per Videostream zugeschaltet, statt wie sonst bei solchen Verfahren üblich, physisch anwesend zu sein. Übertragungsprobleme trugen ihren Teil zur Verschleppung bei. Gleich zu Beginn brach die Verbindung zu Bezos zusammen. Den offensichtlichen Witz, dass man vielleicht eine Konferenzsoftware der Anwesenden hätte benutzen sollen statt der von Wettbewerber Cisco, machte jedoch niemand.
Wie der Kongress weiter verfahren wird, ist auch nach der Anhörung offen. Schließlich ist ein Wahljahr. Obwohl sich die Konzerne heftiger Kritik sowohl von demokratischer als auch republikanischer Seite ausgesetzt sehen, sind die Angriffspunkte und damit mögliche Kompromisse mit den Parteien sehr unterschiedlich gelagert. Die nächsten Schritte werden also davon abhängen, wie sich die Mehrheiten in Abgeordnetenhaus und Senat gestalten werden und wer als Nächstes ins Weiße Haus einzieht.
Ob aber der US-Kongress mit dem Hebel traditioneller gesetzlicher Bestimmungen gegen Monopolbildung die Macht der großen Internetkonzerne einzuschränken in der Lage ist, ob politische Steuerung auch nur den Hauch einer Chance zu einer Regulierung des Plattformkapitalismus ergreifen kann, wird die digitale Ökonomie auf Jahre beeinflussen. Gelingt die Regulierung nicht, war die Show am Mittwoch in Washington tatsächlich nur ein bisschen Wahlkampfgetöse und somit wirklich nur fünf Stunden vergeudeter Zeit.
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