piwik no script img

Tankgutscheine und bloß keine WaffenEwiggestrig war gestern

In Zeiten von Krieg und Krisen gerät sicher Geglaubtes durcheinander. Doch reflexhaftes Reagieren – siehe FDP – ist keine Lösung.

Demonstranten fordern Ende der Abhängigkeit von fossiler Energie als Antwort auf den Ukrainekrieg Foto: Christian Ditsch/imago

E in Sonntag in der idyllischen Altstadt von Göttingen. In den Straßencafés der Universitätsstadt sonnen sich die Menschen. Durch die Fußgängerzone zieht an ihnen eine kleine Demonstration von Schwarzgekleideten vorbei. Und ruft unter anderem den guten alten Slogan der Antifa: „Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt.“

Die Leute lecken ihr Eis, trinken ihren Kaffee und ignorieren den Aufzug zum größten Teil. Aber die Parole klingt seltsam in einer Zeit, wo der ukrainische Präsident Wolodomir Selenski fast täglich um deutsche Waffen fleht – um das Morden der russischen Truppen zu stoppen, die in seinem Land auch Krankenhäuser, Schulen, Wohnhäuser, Flüchtingstrecks und Supermärkte bombardieren.

Der Begriff „Ewiggestrige“ war in meiner Vorstellungswelt bislang klar zugeteilt: Das waren Leute, die die Oder-Neiße-Linie nicht als deutsche Ostgrenze akzeptierten, Frauen an den Herd fesseln und die Prügelstrafe in der Schule wiederhaben wollten. Wen wir „ewiggestrig“ nannten, den fanden wir ignorant, engstirnig, spießig, reaktionär, der wehrte sich gegen die Realität.

Dieser Krieg bringt auch das durcheinander. Plötzlich sind manche Linke die neuen Konservativen: Die Parolen der DemonstrantInnen in Göttingen halten jedenfalls daran fest, dass die Deutschen, ihr Kapital und ihre Waffen immer und überall die Bösen sind. Dass der Überfall Russlands manche dieser Annahmen infrage stellen könnte, kommt in diesem Weltbild offenbar nicht vor. Andere denken, dass unsere Waffen in Konflikten nichts zu suchen haben – wie die Ampelregierung bis zum 24. Februar. Wer so denkt, für den bedeutet die von Olaf Scholz propagierte „Zeitenwende“ wohl auch nur die Umstellung der Küchenuhr auf Sommerzeit.

Vielleicht liegt es ja daran: Große Veränderungen machen Angst. Da bleiben wir lieber beim Altbekannten und tun das Reflexhafte: Wenn die Benzinpreise stark steigen, fordert die FDP Tankgutscheine, auch wenn das unsozial ist und die Preise noch weitertreibt. Wenn Öl und Gas teuer werden, wollen wir den Armen mehr Geld dafür geben (was richtig ist), ohne ihren langfristigen Energieverbrauch etwa durch Subventionen für neue Kühlschränke oder Tipps für anderes Heizen zu senken (was falsch ist).

Wenn wir Angst bekommen, dass 30 Jahre einträchtige Energiepolitik von CDU/CSU und SPD uns der Gnade eines Kriegsverbrechers ausgeliefert haben, suchen wir nach anderen Despoten, die uns fossile Folterwerkzeuge für die Umwelt liefern, statt erst mal die Heizung runterzudrehen und ein Tempolimit zu beschließen (hello again, FDP!).

Wenn das fossil-nukleare System endlich wackelt, wünschen wir uns lieber längere AKW-Laufzeiten, anstatt endlich mal bei der Energiewende richtig Biogas zu geben, die Öl- oder Gasheizung für eine neue Wärmepumpe rauszuschmeißen und eine PV-Anlage aufs Dach zu setzen. Wir sind mit allem, was wir haben, im Gestern verhaftet. Schlechte Nachrichten für alle, die an einer wie immer gearteten „Revolution“ arbeiten wie das aufrechte schwarze Häufchen in der Altstadt von Göttingen.

Einen Tag später höre ich dann dem großen alten Mann des deutschen Naturschutzes, Michael Succow, zu. Er schildert mit Wehmut, welche Vielfalt an Pflanzen und Tieren im Oderbruch und im Boddengewässer über die letzten 50 Jahre verloren gegangen ist. Am nächsten Tag erzählt ein Freund das Gleiche von der Elbe – früher Fischreichtum, heute Schlickwüste durch die Ausbaggerei.

Ich lese die Berichte, wie sich in den letzten Jahren die Plastikpest über die ganze Welt verbreitet hat. Ich registriere routiniert die Daten über den Dürremonat März und Temperaturrekorde in Arktis und Antarktis, die uns weit wegführen vom verträglichen Klima der Vergangenheit. Hier gibt es sie wirklich noch: die vielleicht nicht gute, aber bessere alte Zeit.

Und ich merke: Am liebsten wäre ich ein Ewigvorvorvorgestriger.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Ewiggestrig finde ich auch kenntnisfreie Technikgläubigkeit. Wir können nicht mal eben jedes Gebäude mit einer Wärmepumpe heizen. Wir können auch nicht mal eben unsere Industrie auf klimaneutral und regenerativ umdrehen. Das wurde in den letzten 30 Jahren nicht vorbereitet. Und so Dinge wie, Netzintegration, PV-Wirkungsgraderhöhung, Power- to -Gas, Kernfusion sind in weiter Ferne oder kommen nach 70 Jahren erfolgloser Forschung gar nicht. Genauso kommt der gute, energie- und ressourcensparende Mensch nicht, mit dem in so vielen Szenarien gerechnet wird. Auf Energieeinsparung folgt immer mehr Konsum, ist ja so sparsam alles.

  • Schade, dass dieser Ansicht zutreffende Kommentar mit einem so falschen Beispiel beginnt. Welchen besseren Reim hätten denn die Antifa Leute rufen können? Mit deutschen Waffen Frieden schaffen?

    • @Reinhard Muth:

      Mit deutschen Waffen Frieden schaffen ist der neue Spruch der alten Reaktion und der Rüstungsindustrie.

    • @Reinhard Muth:

      In der Ukraine könnten deutsche Waffen dazu beitragen, dass die russischen Angreifer aus der Ukraine vertrieben werden und Frieden geschlossen werden kann.

      Aber bei den Jungens, die Bernhard Pötter beschrieben hat, kann mal sagen, dass Leute, die nur einen Hammer haben, in jedem Problem einen Nagel sehen.

  • zu viele veränderungen für eine generation ...

    und das in kurzer reihenfolge, ist für manche too much.



    da fällt das hinterherkommen wohl schwer.



    warum ?



    weil es immer wieder das lösen von gewohnheiten bedeutet.



    dabei ist niemals irgendetwas sicher.



    leben bedeutet sich unsicherheiten zu stellen und diese zu bewältigen.



    big job.

  • Und bei all den rückwärtsgewandten Handlungen gesellt sich auch Hr. Maaß, Abteilungsleiter aus "Habecks Reich" dazu, und kündigt aktuell einen Förderstopp für Pelletheizungsanlagen an.



    Biomasse, so Maaß, sollte auch langfristig lieber einer kaskadenförmigen Nutzung zugeführt und so häufig wie möglich stofflich verwendet werden.



    Erst am Ende könne eine energetische Verwertung stehen. „Die Pelletheizung weiter nach vorn zu stellen ist nicht das Ziel“, so Maaß.



    Dabei ist eine schnelle Umstellung von Fossil auf Regenerativ mit Pelletheizungen schneller und effizienter, als bei Wärmepumpen, da diese keine Veränderung der Heizflächen erfordert, also weniger Eingriff in die Heizungsanlage erfordert und damit auch günstiger sein kann.



    Oder versuchen Habecks "Mannen und Frauen" nun doch der Wärmepumpe mehr Priorität zu geben, um den Stromverbrauch nach oben zu treiben, um wiederum den Betrieb alter Kraftwerke zu sichern.

    Frage: Was er wohl mit kaskadenförmiger Nutzung meint? Vielleicht sollen die Pellets zuerst in "Helge Schneiders Katzenklo" verwendet werden und erst danach im Kessel verheizt werden? Dabei sind Holzpellets bereits Holzverarbeitungsabfall.



    Leute gibt es in der öffentlichen Verwaltung - da schüttelt man / frau nur noch den Kopf. Zumindst muß er nicht frieren im Winter, in seiner Amtsstube mit Erdgasversorgung!

    • @Sonnenhaus:

      "Oder versuchen Habecks "Mannen und Frauen" nun doch der Wärmepumpe mehr Priorität zu geben, um den Stromverbrauch nach oben zu treiben, um wiederum den Betrieb alter Kraftwerke zu sichern."



      Genau dieser Ansicht ist ein Querschwurbler in meiner Bekanntschaft.



      Meine Erklärung, dass die Leute wirklich so dumm sind, vermag ihn nicht zu überzeugen.

  • Was will der Autor sagen? Möchte er wie die Bild deutsche Panzer gegen Russland sehen? Ich glaube der Herr hat vergessen was Krieg heisst... Ich verstehe die taz nicht mehr... Bald stelle ich meine finanzielle Unterstützung ein... soviel Punkte, und keine Antworten

  • Ich würde die Führungsriege der FDP gerne in eine Zeitmaschine setzen und auf heute plus 20 Jahre stellen. Mal sehen, ob sie sich dann bei der Rückkehr für ihre ego-liberale Politik entschuldigen. - Wünschen darf man doch, oder?