Tamarud-Aktivist über Lage in Ägypten: „Wir demonstieren nicht, wir feiern“
Der liberale Tamarud-Aktivist Magdi Ali fordert eine Entschuldigung von den Muslimbrüdern, spricht über das Militär und die Nationalmannschaft Tahrir-Platz.
taz: Herr Ali, wie hätten Sie als Liberaler reagiert, wenn das Militär gegen Ihre Regierung geputscht hätte, liberale Medien geschlossen und führende Politiker verhaftet hätte?
Magdi Ali: Das hätte das Militär niemals getan, da wir nicht gegen den Staat handeln. Wir treten für Demokratie ein. Wir protestieren in Massen auf dem Tahrirplatz, aber wir setzen nichts in Brand, sind nicht bewaffnet. Was das Militär gemacht hat, war berechtigt. Das Militär schützt uns nicht nur vor Feinden von außen, sondern auch von innen.
Am Mittwoch beginnt der Fastenmonat Ramadan. Werden die Demonstrationen anhalten oder tatsächlich – wie von vielen erwartet – abschwellen?
Wir auf dem Tahrirplatz demonstrieren nicht, sondern feiern, weil wir bereits gewonnen haben. Die Medien berichten das leider nicht richtig. Die Feiern werden weitergehen. Aber ich hoffe, dass die Muslimbrüder – wenn sie weiterhin in der Politik aktiv sein wollen – nach Hause gehen. Sie müssen die Umgebung der Rabaa-al-Adawia-Moschee verlassen. Sofort. Dann werden wir sie noch immer als Teil des ägyptischen Volks betrachten.
Aber haben sie nicht auch das Recht zu demonstrieren?
Es gibt zwei Wege für sie: Entweder gehen sie nach Hause oder die Sicherheitskräfte sorgen dafür, dass sie nach Hause gehen. Ich bin mir sicher, dass die Leute nicht freiwillig dort sind. Die Muslimbruderschaft und andere Gruppen wie die Salafisten zwingen sie, auf die Straße zu gehen.
Der 57-Jährige ist Aktivist der Tamarud-Bewegung, die die Massenproteste vom 30. Juni 2013 gegen Präsident Mohammed Mursi organisierte. Tamarud heißt auf Deutsch Rebellion.
Auf dem Tahrirplatz demonstrieren Menschen verschiedener politischer Richtungen. Welche Meinungsunterschiede gibt es?
Der Tahrirplatz ist die Nationalmannschaft Ägyptens. Von allen kleinen Clubs sind Menschen vertreten, von Muslimen, Christen, Rechten, Linken. Der unterschied zwischen Rabaa und dem Tahrirplatz ist: Auf dem Tahrirplatz sind alle Ägypter, bei der Rabaa-al-Adawia-Moschee nur die Muslimbrüder.
Der Wirtschaftswissenschaftler Hasem al-Beblawi ist am Dienstag zum neuen ägyptischen Ministerpräsidenten ernannt worden. Der Führer der liberalen Nationalen Rettungsfront, Mohammed ElBaradei, soll den Posten des Vizepräsidenten übernehmen.
Eine Ernennung von ElBaradei selbst sowie von zwei Kompromisskandidaten war am Widerstand der ultrakonservativen Salafisten gescheitert, die mittlerweile den mit der Armee verbündeten politischen Kräften im Land den Rücken gekehrt haben.
Al-Beblawi fungierte in einem der ersten Kabinette nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Husni Mubarak als Finanzminister. Er trat im Oktober 2011 nach einem blutigen Polizei- und Militäreinsatz mit 26 mehrheitlich christlichen Toten zurück. (ap)
Sind auch Anhänger des Mubarak-Regimes auf dem Tahrirplatz vertreten?
Ja, warum denn nicht? Aber niemand hält ein Bild von Mubarak hoch. Hier geht es um das Land. Die Mubarak-Anhänger sind eine riesige Gruppe, aber gute Leute. Wenn sie mit uns zusammenarbeiten nach unseren Prinzipien, dann wird es funktionieren.
Übergangspräsident Adli Mansur hat am Montag ein Dekret für die Übergangsphase erlassen. Das erinnert an 2011.
Die letzte Verfassung wurde vom islamistisch dominierten Parlament entworfen. Aber jetzt werden alle bei der Verfassung mitreden. Die Kirchenführer, Muslime von der Azhar-Moschee, das Militär, Richter. So funktioniert Demokratie.
Die Mursi-Anhänger sagen, Mansur sei eine Marionette des Militärs.
Wir haben zwei Revolutionen in kürzester Zeit gemacht. Niemand wird noch einmal eine Militärdiktatur errichten.
Wie wird es nach den blutigen Zusammenstößen der letzten Tage weitergehen mit den Islamisten?
Wenn sie wieder ein Teil des ägyptischen Volks sein wollen, dann sind sie noch immer willkommen. Dann müssen sie sofort für Ruhe sorgen. Sie haben Fehler gemacht, jetzt müssen sie sich entschuldigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Unterbringung und Versorgung
Geflüchtetenaufnahme belastet Kommunen weiterhin deutlich