Taliban auf dem Vormarsch: Afghanistan fordert Abschiebestopp

Am Hindukusch reißt die Gewalt nicht ab, die Armee plant eine Offensive gegen die Taliban. Die Regierung in Kabul rät deshalb davon ab, in das Land abzuschieben.

Zwei Soldaten mit Maschinengewehren im Anschlag gehen ninter einer Mauer in Deckung

Allein im Kampf gegen die Taliban: Soldaten der afghanischen Spezialkräfte in Kandahar Foto: Sananullah Seiam/XinHua/dpa

KABUL afp/dpa | Nach mehreren militärischen Erfolgen der Taliban rüstet sich die afghanische Armee für weitere Angriffe. Angesichts der instabilen Lage rief Kabul europäische Staaten zu einem Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan auf. Im Nordwesten bereitet die Armee unterdessen offenbar eine Gegenoffensive vor, nachdem die Taliban dort einen wichtigen Grenzübergang erobert haben.

Die von den Taliban ausgehende Gewalt, aber auch die dritte Coronawelle hätten in Afghanistan „wirtschaftliche und soziale Unruhen“ ausgelöst, erklärte am Wochenende das Flüchtlingsministerium in Kabul. Das Ministerium appellierte an die europäischen Staaten, in den kommenden drei Monaten keine Af­gha­n:in­nen abzuschieben. Dass derzeit Abschiebeflüge aus Europa in Afghanistan landeten, sei besorgniserregend.

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR lebten im Jahr 2018 fast 2,5 Millionen afghanische Flüchtlinge im Ausland, die meisten in den Nachbarländern Pakistan und Iran. In der EU lebten offiziellen Angaben zufolge im vergangenen Jahr etwa 416.000 afghanische Asylbewerber:innen.

Viele europäische Länder schieben abgelehnte Asyl­be­wer­be­r:in­nen nach Afghanistan ab, auch Deutschland. Erst am Mittwoch, 30. Juni, war eine Maschine mit 27 abgeschobenen Männern an Bord in Kabul eingetroffen. Es war die 40. Sammelabschiebung seit dem ersten derartigen Flug im Dezember 2016. Damit haben Bund und Länder bisher 1.104 Asyl­be­wer­be­r:in­nen nach Afghanistan zurückgebracht.

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Die Taliban hatten am Freitag den Grenzübergang Islam Kala unter ihre Kontrolle gebracht. An dem rund 120 Kilometer von der Provinzhauptstadt Herat entfernten Übergang wird der größte Teil des offiziellen Handels mit dem Iran abgewickelt.

Seit dem Beginn des Abzugs aller Nato-Truppen Ende April haben die Taliban nach eigenen Angaben bereits 85 Prozent des Landes erobert. Sie kontrollieren demnach rund 250 der knapp 400 Bezirke in Afghanistan – eine Darstellung, die nicht unabhängig überprüft werden kann und von Kabul zurückgewiesen wird.

Be­ob­ach­te­r:in­nen befürchten, dass die Taliban nach dem vollständigen Abzug der USA und ihrer Nato-Partner aus Afghanistan wieder die Macht in dem Land übernehmen könnten. Die Islamisten stoßen bei ihrem Vormarsch teilweise kaum auf Gegenwehr. An anderen Orten gibt es heftige Kämpfe, wie derzeit um die Provinzhauptstadt Kala-i-Naw im Nordwesten des Landes.

Am Flughafen von Kabul wurde in der Nacht zum Sonntag ein neues Luftabwehrsystem in Betrieb genommen, wie das Innenministerium mitteilte. Das nicht näher bezeichnete System soll die Hauptstadt vor Raketenangriffen schützen. Unklar war zunächst, wer das System eingerichtet hatte.

Armeesprecher Adschmal Omar Schinwari erklärte, das System basiere auf einer „komplizierten Technologie“. Afghanistan habe es von seinen „ausländischen Freunden“ erhalten, die es zunächst auch betreiben würden.

Die Türkei hatte angekündigt, nach dem Abzug der verbliebenen US-Soldat:innen Sicherheitsinfrastruktur für den Kabuler Flughafen bereitzustellen. Am Freitag sagte Staatschef Recep Tayyip Erdoğan, Ankara und Washington hätten sich auf den Umfang der türkischen Sicherung des Flughafens geeinigt.

Während sich die Angriffe der Taliban zuletzt auf den Norden und Westen des Landes konzentrierten, war Kabul im vergangenen Jahr immer wieder Ziel von Angriffen durch die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS). Auch zu einem Raketenangriff auf den US-Hauptstützpunkt Bagram in diesem Jahr hatte sich der IS bekannt.

Die letzten in Afghanistan stationierten Bun­des­wehr­sol­da­t:in­nen waren Ende Juni nach Deutschland zurückgekehrt. Der Haupttruppensteller USA will seinen Abzug bis Ende August abschließen und damit den Einsatz beenden, der nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 begonnen hatte.

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