Tagung in Jena zur Demokratieverachtung: Wie Diktaturen entstehen
Bei einer Tagung in Jena suchen HistorikerInnen nach autoritären Dynamiken und Ähnlichkeiten zwischen der Weimarer Republik und heute.
„Demokratieverachtung“ lautete der Titel einer Tagung, zu der am vergangenen Wochenende HistorikerInnen der Friedrich-Schiller-Universität in Jena eingeladen hatten. Drei Tage lang diskutierten WissenschaftlerInnen aus verschiedenen europäischen Ländern und den USA „autoritäre Dynamiken in der Zwischenkriegszeit und in der Gegenwart“. Dabei gehe es nicht um „überzeitliche Analogien oder Zwangsläufigkeiten“, sagte Joachim von Puttkamer, Direktor des Imre-Kertesz-Kollegs, in seiner Eröffnungsansprache. Doch die Lage sei ernst. Das Kolleg hat die Tagung gemeinsam mit dem Jena-Center um den Historiker Norbert Frei organisiert.
Dass man keine klaren Parallelen zwischen den Entwicklungen in der Zwischenkriegszeit und der Gegenwart ziehen kann, darin waren sich die DiskutantInnen einig. Demokratie? Sei heute in Deutschland viel stabiler als in der Weimarer Republik, deshalb sei die Situation nicht vergleichbar, erklärte der Hitler-Biograf Ian Kershaw aus Manchester, der gerade den zweiten Teil seiner europäischen Geschichte des 20. Jahrhundert beendet hat. Die Mobilisierungsstrategien der rechten Bewegungen? Sehr unterschiedlich, Gewalt sei damals, anders als heute, zentral gewesen, erläuterte Sven Reichardt aus Konstanz am Beispiel der italienischen Faschisten. Und während es in der Weimarer Republik an einer kompromissbereiten Politik der Mitte gefehlt habe, gebe es heute in Deutschland vielleicht zu viel davon, sagte Puttkamer.
Und doch tauchten immer wieder Ähnlichkeiten auf: die Lüge als Mittel der Politik von Hitler und Trump zum Beispiel, Begriffe wie „Lügenpresse“ und „Volksverräter“, die damals wie heute zur Diskreditierung von Medien und Politik benutzt wurden, die Konstruktion eines Volkswillens oder eine rassistisch überformte Sozialpolitik.
„Krise des Liberalismus, nicht der Demokratie“
Das waren viele offene Enden, die im Abschlusspanel unter der Überschrift „Demokratie und Demokratur in der Gegenwart“ zusammengeführt werden wollten. Doch schon die Begriffe führten zur Diskussion. „Verachtet wird die liberale Form der Demokratie“, sagte Piotr Butras, Politikwissenschaftler und Journalist aus Warschau. „Wir haben eine Krise des Liberalismus und nicht der Demokratie.“ Der Rechtswissenschaftler Dieter Grimm dagegen schlug vor, konkret zu werden und lieber zu benennen, was Demokratie nicht sei. „Nicht demokratisch ist, dass sich eine Gruppe mit dem Volk identifiziert und damit den demokratischen Prozess dahinter abschneidet.“ Das komme der „Volksgemeinschaft“ schon sehr nahe, fügte der britische Historiker Kershaw hinzu.
Kershaw betonte, dass die Krise der Demokratie schon in der 70er Jahren mit der Durchsetzung des Neoliberalismus begonnen habe – in Großbritannien mit der Politik Margaret Thatchers. Überhaupt, so wurde aus dem Publikum ergänzt, sei die Integrationskraft von Gewerkschaften und Sozialdemokratie für den Zusammenhalt der Gesellschaft zentral gewesen. Den Brexit aber führt Kershaw konkret auf kurzfristige Entwicklungen zurück: die Bankenkrise 2008 und die starke Migration im Jahr 2015.
Butras dagegen, der stark die kulturellen Dimensionen der Krise betonte, erläuterte, wie Jarosław Kaczyński von der polnischen PiS den „Impossibilismus“ geschaffen habe, um ihn dann zu überwinden: Dazu gehören jene demokratischen Institutionen wie etwa das Verfassungsgericht, die die Umsetzung des Willens der gewählten Mehrheit blockieren können. Der Legitimitätsverlust der politischen Parteien und auch des Kongresses, führte die Hannoveraner Politikwissenschaftlerin Christiane Lemke mit Blick auf die USA aus, sei das Kernproblem moderner Demokratien.
Am Ende blieb, dass die Begeisterung für diese neu entflammt werden müsse. Und auch eine gewisse Ratlosigkeit darüber, wie das gelingen kann. Wie solle man zum Beispiel im Fall von Siemens-Chef Joe Kaeser gegen Elitenverachtung vorgehen, fragte der Jenenser Historiker Frei. Kaeser hatte jüngst angekündigt, die Turbinenwerke in Görlitz und Leipzig dichtzumachen, 1.000 Arbeitsplätze sind betroffen. Die Nachfrage sei zu gering. Am Wochenende sagte Kaeser dann bei einem Dinner in Davos US-Präsident Donald Trump zu, in den USA eine neue Generation von Gasturbinen zu bauen.
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