Refugee-Karawane Tagebuch (7): Die Angst vor der Abschiebung
„Der Zaun soll Euch schwächen“, ruft Cho den Menschen im Lager Eisenhüttenstadt zu. „Ihr habt es bis hierher geschafft, ihr werdet es weiter schaffen.“
In Sachsen regnet es am Morgen in Strömen. Wir packen unsere Taschen und die Lebensmittel zusammen, bauen die Zelte ab und machen uns auf den Weg. Nach drei Stunden erreichen wir mit der Refugee-Karawane unser nächstes Ziel: Eisenhüttenstadt. Glücklicherweise hat es unterwegs aufgehört zu regnen.
Vom 20. bis zum 27. September 2025 ist die „Karawane für Bewegungsfreiheit“ des antirassistischen Netzwerks „We’ll come United“ von Thüringen nach Berlin unterwegs. Mit Aktionen vor Lagern und Abschiebeknästen wollen sie gegen die zunehmenden Einschränkungen für Geflüchtete protestieren. Die Karawane endet mit einer Parade in Berlin. Sie ist Teil der europäisch-afrikanischen Aktionskette Transborder Chain of Action zum 10. Jahrestag des „Summer of Migration“ 2015. Für die taz schreibt Muna Abdi ein Tagebuch von der Karawane.
Weiteres zu dem Thema auch auf unserem taz.de-Schwerpunkt zum Flüchtlingssommer.
Seit über 25 Jahren gibt es hier die Zentrale Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Brandenburg mit rund 1.200 Plätzen, nur wenige Kilometer von der Grenze zu Polen entfernt. Bis zu 18 Monate lang werden Menschen hier festgehalten. Die Polizei kommt häufig unangekündigt, um Menschen zur Abschiebung aus ihren Zimmern zu holen. Wir statten den Menschen in diesem Lager heute einen Besuch ab, um Unterstützung und Solidarität zu zeigen.
In dem Lager existiert heute auch das so genannte „Dublin Polen Zentrum“. Von dort aus werden Menschen nach Polen abgeschoben.
Im Juni wandten sich die Menschen im „Dublin Polen Zentrum“ mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit. Sie schrieben darin: „Jeden Tag werden Zimmer und manchmal sogar Schränke von Sozialarbeitern oder Sicherheitsleuten kontrolliert.“ Die Türen ließen sich nicht abschließen, die meisten Schränke seien nicht abschließbar, es gebe Diebstähle. „Wir werden von der Lagerverwaltung unter Druck gesetzt, nach Polen zurückzukehren. Es ist uns verboten, das Lager von 22 Uhr bis 6 Uhr morgens zu verlassen. Wir stehen also unter Hausarrest. Wir bekommen bisher keine finanzielle Unterstützung in Form von Taschengeld.“ Sie erreichten damit große öffentliche Aufmerksamkeit.
Die 28-Jährige stammt aus Hargeysa, der Hauptstadt von Somaliland. Sie hat dort Journalismus, Massenkommunikation und Öffentliche Verwaltung studiert. Nach sieben Jahren Berufstätigkeit in Somalia kam sie 2024 als Asylsuchende nach Deutschland. Für die taz schreibt sie bis zum 27. September ein tägliches Tagebuch von der Karawane für Bewegungsfreiheit.
Viele suchen Schutz in Kirchen – 83 Menschen gingen in diesem Jahr in Brandenburg ins Kirchenasyl, um einer Dublin-Abschiebung zu entgehen.
Schlaflos aus Angst
Maher, einer der Flüchtlinge, die im Lager Eisenhüttenstadt leben, ergreift auf unsere Bühne das Mikrofon. Er berichtet, wie sehr ihn die Abschiebungsdrohung belastet: „Ich bin noch sehr jung und habe bereits vier Jahre meines Lebens verschwendet. Seit Monaten kann ich vor Angst vor der Abschiebung nicht mehr schlafen“, sagt er. „Das Essen ist schlecht, unsere Körper sind davon erschöpft, und wir bekommen nicht genug Geld, um uns richtig zu ernähren. Wir wollen wie Menschen behandelt werden, nicht wie Nummern“, sagt Maher. Er fordere seine „Würde zurück“, sagt er. „Ich will wie ein Mensch behandelt werden.“
Auch Gareth spricht von seiner Angst vor der Abschiebung. Er vergleicht sie mit „psychischer Folter“ an. „Stell dir vor, du hast vielleicht keine Tasche, vielleicht kein Geld und wirst dann einfach irgendwo abgeladen“. Er fügt hinzu: „Wir werden vielleicht nicht die Früchte unseres Kampfes sehen. Aber wir tun es für die Zukunft unserer Kinder, und sie werden diese Früchte ernten.“
In der Pause spielt die Gruppe „Lebenslaute“ ein Lied für uns. Die Menschen hören zu und genießen es.
Dann betritt Cho die Bühne. Er lebte 1998 in diesem Lager. Solidarität zu zeigen, stärke die Menschen, sagt er: „Der Zweck dieses Zauns ist es, euch zu schwächen.“ Ihm selbst seien damals zwei Tage Zeit gegeben worden, um Deutschland zu verlassen. „Aber ich bin immer noch hier. Und ihr werdet auch bleiben“, ruft er. „Ihr seid stark, ihr seid intelligent. Ihr habt es bis hierher geschafft. Ihr werdet es auch weiter schaffen. Glaubt an euch!“
Danach essen wir gemeinsam und fahren nach Berlin. Freunde von Welcome United empfangen uns herzlich am Oranienplatz, wo wir uns auf unsere Parade am Samstag vorbereiten.
Das Tagebuch wird fortgesetzt.
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