Tagebuch aus Lützerath (10): Thermosocken und Pfefferspray
Die Räumung kann jeden Moment beginnen. Die Eltern unseres Autors haben sich deshalb erstmals umfassend über die Besetzung in Lützerath informiert.
Der Energiekonzern RWE will den Weiler Lützerath abreißen, um seinen Braunkohleabbau auszuweiten. Die Besetzer:innen wehren sich. Die Räumung soll im Januar stattfinden. Unsere Autor*innen Aron Boks und Annika Reiß leben mit den Aktivist*innen vor Ort. Ein Tagebuch
Ein Alarm schubst mich aus dem Bett. Es ist gerade mal kurz nach 8 Uhr und vor dem Fenster sehe ich eine Hundertschaft der Polizei näher an das Dorf, in dem ich zusammen mit Klimaaktivist:innen lebe, heranrücken. Die offizielle Räumung könnte nun jeden Moment beginnen. Die Polizei entwarnt durchs Megafon. Will nur, dass eine Sitzblockade den Weg schon einmal frei macht. Dutzend Aktivist:innen eilen zur Hilfe. Die Polizei fordert zum Rückzug auf. „Sonst lassen wir Sie räumen!“
In meinem besetzten Haus haben sich alle gegenseitig aufgeweckt, um den anderen bei der Sitzblockade zu helfen. „Auf die Barrikaden!“, singt ein Chor von dort und die Hundertschaft rückt weiter vor.
Vor ein paar Tagen haben sich meine Eltern bei mir gemeldet. Egal wie alt ich bin, immer denke ich in etwas heiklen Situationen, sie wollten mich abholen oder so. „Das ist ja ein Wahnsinn, der da passiert!“, hatte mein Vater gesagt.
Meine Eltern hatten angerufen, weil sie sich mit der anstehenden Räumung erstmals umfänglich darüber informiert haben, weswegen meine neuen Mitbewohner:innen und ich eigentlich in Lützerath sind. Gut, ich hatte das Ganze hier im Voraus auch nur eher grob umschrieben und bekam zu Weihnachten Sachen wie Thermosocken geschenkt „für diese Outdooraktivität“.
„Die wollen einfach 280 Millionen Tonnen Kohle abbaggern!“, fuhr mein Vater in ähnlich leicht beunruhigter und aufgeregter Stimme fort, mit der jetzt draußen ein Aktivist vor „schwerem Räumungsgerät“ warnt. Meine Mutter hatte mir geraten, auf mich aufzupassen, und noch gefragt, ob ich hier in meinem neuen Zelt schlafen würde.
„Die Polizei hält Sie dringend an, sich den Maßnahmen nicht zu widersetzen“, ruft ein Polizist. Der Typ mit Vollbart setzt sich neben mich und wir stellen klar, dass wir bleiben. Noch kurz vor der Räumung sind Hunderte neue Aktivist:innen angereist und eigentlich sollte es ein Kennenlernfrühstück für das Haus geben, das jetzt aus gegebenem Anlass verschoben wird. Durchs Dorf schwirrt die Meldung: Pfefferspray gegen Akivist:innen. Draußen ist es heute kälter als gestern. Aber noch sitze ich ja im Haus, in Thermosocken.
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