Tagebuch aus Kasachstan: Das Urteil lautet: Schweigen, und zwar überall
In Almaty musste der Journalist Temirlan Yensebek vor Gericht. Sein Delikt: eine Satire. Seine Strafe: er darf sich nirgends öffentlich äußern.

I n Kasachstan wurde jüngst der Journalist und Gründer des Online-Satiremagazin QazNews24, Temirlan Yensebek, zu fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Er muss aber nicht ins Gefängnis, er hat lediglich sein Recht auf öffentliches Sprechen verloren, auf Meinungs- und Redefreiheit.
Gegenstand des Strafverfahrens gegen Yensebek war ein Beitrag, in dem QazNews24 die russische Propagandistin Tina Kandelaki verspottet hatte. Es handelte sich ganz offensichtlich um eine Satire, nicht um Fake News oder gar um einen Aufruf zur Gewalt. Aber im heutigen Kasachstan wird Satire mit Extremismus gleichgesetzt. Die Behörden werten die Veröffentlichung der Satire als „Anstiftung zur interethnischen Feindseligkeit“.
Für Yensebek bedeutet dies, dass er in Almaty wie in einem Glaskäfig lebt. Er darf zwar auf die Straße gehen, aber er hat kein Recht, sich öffentlich zu äußern, zu publizieren, als Journalist zu arbeiten, an Kundgebungen und Rundtischgesprächen teilzunehmen. Er darf keine Petitionen unterschreiben, keine sozialen Netzwerke betreiben und sich nicht für Menschenrechte engagieren. So funktioniert das Regime des erzwungenen Schweigens.
Alle Bankkonten sind gesperrt
Nach dem Urteil wurde Yensebek in die offizielle Liste der „Personen, die Terrorismus und Extremismus finanzieren“ aufgenommen. Dies wurde im Urteil so festgeschrieben, obwohl Yensebek niemanden finanziert hat. Jetzt sind alle seine Bankkonten gesperrt. Er kann keine notariellen Dienstleistungen in Anspruch nehmen oder sich Dokumente ausstellen lassen.
„Er steht praktisch unter einer wirtschaftlichen und rechtlichen Blockade“, sagt Maria Kochneva. Sie ist seine Verlobte, mit ihr habe ich vor einigen Tagen gesprochen, und sie ist die einzige Informationsquelle darüber, wie Yensebeks Leben derzeit aussieht. Sie berichtet, wie das Paar gegenwärtig lebt: viele Einschränkungen, Hausarrest, seltene Spaziergänge – und die sind nur bis 22 Uhr erlaubt. Danach darf er das Haus nicht mehr verlassen. Eine Kontrolle kann jederzeit bei ihm zu Hause vorbeikommen.
Die Strafe gegen Temirlan Yensebek wirkt etwa wie eine digitale Fußfessel. Er ist nicht inhaftiert, aber jeder seiner Schritte wird überwacht. Yensebek ist nicht angekettet, sondern einfach stummgeschaltet, aus der Sendung herausgeschnitten, aus dem öffentlichen Leben entfernt.
Yensebek kann nicht arbeiten – wegen seines Status als „Extremist“ weigern sich Arbeitgeber, ihn einzustellen. Er kann sein Projekt nicht weiterführen – aufgrund der auferlegten Beschränkungen existiert QazNews24 ohne ihn weiter. Sein Instagram-Account und seine E-Mail-Adresse wurden gehackt.
Diese Geschichte ist nicht nur eine persönliche Tragödie. Sie ist symptomatisch. In Kasachstan kann man heute nicht nur für Gewalt bestraft werden, sondern auch für Ironie und Satire. Menschen werden nicht ins Gefängnis gesteckt, sondern aus dem öffentlichen Raum getilgt. Ihr Leben wird still – zu still, um gehört zu werden.
Nikita Danilin, Jahrgang 1996, ist ein Journalist aus Almaty (Kasachstan). Er war Teilnehmer eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.
Aus dem Russischen von Tigran Petrosyan. Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung.
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