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TU-Berlin-Präsidentin Geraldine RauchWie man sich entschuldigt

Die Präsidentin der TU steht wegen Posts zum Nahostkonflikt in der Kritik. Von ihrem Umgang mit Vorwürfen könnte so mancher lernen.

Geraldine Rauch, Präsidentin der Technischen Universität Berlin Foto: Jens Kalaene/dpa

Berlin taz | Wer sich je für einen schwerwiegenden Fehler entschuldigen möchte, könnte sich ein Beispiel an Geraldine Rauch nehmen. Denn ihre Erklärung vor dem akademischen Senat der Technischen Universität Berlin (TU) enthält, was es für eine ernsthafte, umfassende Entschuldigung braucht.

Sie gesteht ihren Fehltritt ein. Sie bittet um Verzeihung – ohne es für gesetzt zu nehmen, dass diese von denjenigen, die sie verletzt hat, auch angenommen wird. Sie zeigt ihre Bereitschaft, dazuzulernen. Sie macht konkrete Vorschläge, um zerstörtes Vertrauen wieder zu kitten. Sie drückt ihre Reue aus. Und sie schont sich selbst nicht: Sie teilt mit, dass sie ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst beantragt hat, um alles juristisch zu klären.

In ihrer Position als Präsidentin der TU Berlin war Rauch unter Druck geraten: Sie hatte mit ihrem X-Account einen Post mit antisemitischer Bildsprache gelikt. Am schwersten wog das Herz für einen Text über eine Demonstration in der Türkei für einen Waffenstillstand und gegen die Operation in Rafah. Dieser Post eines Nutzers mit russischer Flagge in der Bio war wiederum mit einem Bild illustriert: Es zeigt De­mons­tran­t*in­nen mit einem Plakat, auf dem Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit Blutflecken und Hakenkreuzen versehen ist.

Daneben war Rauch auch konkret dafür kritisiert worden, dass sie Likes für X-Beiträge vergeben hatte, in denen „Völkermord in Gaza“ oder „Wir sind Wertepartner mit Kriegsverbrecher?“ stand. Amts­trä­ge­r*in­nen und Po­li­ti­ke­r*in­nen auf Landes- sowie Bundesebene fordern seitdem ihren Rücktritt.

Gegen Machtmissbrauch und rechtsextreme Tendenzen

Geraldine Rauch ist 41 Jahre alt. 2022 war sie zur Präsidentin der TU gewählt worden. Sie hat in Bremen Mathematik studiert, promovierte bei einer Medizinfirma und erhielt 2015 an der Universität Heidelberg ihre Lehrerlaubnis für Hochschulen. Es folgte eine Professur am Universitätsklinikum Hamburg, sie wurde dort auch Institutsdirektorin und Pro-Dekanin für Studium und Lehre. Geraldine Rauch ist Sprecherin von dem Exzellenzverbund Berlin University Alliance. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sie 2022 in den Zukunftsrat der Bundesregierung berufen.

Sie wolle die Gesellschaft mitgestalten, sagte sie zum Amtsantritt. Die TU mit ihren „starken Ingenieurwissenschaften, aber auch mit Geistes- und Planungswissenschaften sowie Lehrerbildung“ sei dafür „prädestiniert“. An der Uni selbst setzte sie sich gegen Machtmissbrauch und für unbefristete Arbeitsverhältnisse ein. Sie positionierte sich öffentlich gegen rechtsextreme Tendenzen im Uni-Betrieb.

Für ihre Likes hatte sich Rauch bereits schriftlich entschuldigt. Nach ihrer mündlichen Erklärung am Mittwoch beriet sich der akademische Senat viereinhalb Stunden lang. Das Gremium aus Hochschullehrenden, akademischen Mitarbeiter*innen, Stu­den­t*in­nen sowie Mit­ar­bei­te­r*in­nen für Technik, Service und Verwaltung hätte mit Zweidrittelmehrheit ihre Abwahl beantragen können. Doch die Mitglieder holten stattdessen ein Meinungsbild darüber ein, ob sie TU-Präsidentin bleiben solle – oder nicht. Rauch sollte sich bis zum Donnerstagabend dazu verhalten.

Rückhalt erhält Rauch durch die Erklärung von TU-Beschäftigten und eine Kundgebung von Stu­den­t*in­nen für ihren Verbleib, und nicht zuletzt durch Applaus nach ihrer Einlassung. Dass der akademische Senat die Entscheidung über ihren Verbleib an der TU ihr selbst in die Hände legte, ist ebenfalls als Geste zu verstehen, dass man durchaus bereit wäre, sie als Präsidentin weiter mitzutragen. Und dass man ihr zutraut, den Schaden, den sie dem Ruf der Uni zugefügt hat, wieder gutzumachen.

Anmerkung der Redaktion: Zu einem Artikel, der neue Informationen zu diesem Thema enthält gelangen sie hier.

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12 Kommentare

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  • Rauch hatte sich zuvor mit dem "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit" angelegt. Dieses Netzwerk wendet sich klar gegen die Vermischung von Wissenschaft und Politik/Aktivismus. Diese Vermischung ist Rauch zum Verhängnis geworden. im Grunde ist es das alte "Staat & Kirche Problem".

    In dem Netzwerk Wissenschaftsfreiheit gibt es natürlich auch ein paar Wissenschaftler mit rechtspolitischer Gesinnung (die sind aber nicht in der Mehrheit). Das hat Rauch zum Anlass genommen das gesamte Netzwerk als "rechts" zu diffamieren wobeo sie ignorierte, dass es diesem Netzwerk gerade nicht um politische Gesinnung geht (gleich welcher Couleur). Als Aktivistin hat Rauch nicht verstanden, dass Wissenschaft und politischer Aktivismus inkompatibel sind. Wer seine herausragende Position im Wissenschaftsbetrieb dazu benutzt, um seine eigenen halbgaren und von Emotionen getriebenen politischen Ansichten unter das Volk zu bringen, verstösst gegen ein Grundprinzip wissenschaftlichen Denkens: Objektivität und abwägendes Denken - nennt sich Urteilsvermögen.

    • @Pi-circle:

      Nur ist so, dass es in dem genannten Netzwerk nicht nur einige Rechtspopulisten gibt, sondern diese sind auch politische Aktivisten.

      Albert Einstein war auch politischer Aktivist. Wissenschaftlicher haben eine gesellschaftliche Verantwortung, dadurch, dass sie viel wissen und durch ihr Wissen die Gesellschaft aufklären können und auch sollten.

      Dass nun jene Rechtspopulisten eher zum Bereich der Gegenaufklärung gehören, also z.B. Geschichtsrevisionisten sind oder Detailwissen von Zusammenhängen isoliert betrachten wollen, zeigt, dass sie ihrer Aufklärungspflicht nicht nachkommen, sondern als Wissenschaftler zur Antiaufklärung beitragen.

      Wir kennen das z.B. auch von Biologisten, welche sich in den Dienst der "Rassenlehre" gestellt haben.

      Geraldine Rauch jedenfalls hat für all das offenbar ein Gespür und ihre Kritik an diesem zwielichtigen Netzwerk ist aus meiner Sicht berechtigt. Aber es bedeutet natürlich auch, dass sie sich schon dort viele Feinde gemacht hat.

    • @Pi-circle:

      Ja. Und ...

      Wer Politik machen will, geht besser auch in die Politik à la Lauterbach oder macht zumindest seine Rollen stets trennscharf klar. Das gilt übrigens farben-universal auch für z.B. jemand aus dem Netzwerk Wissenschaftsfreiheit, der Befindlichkeiten hätte. Die Argumente auf Rauch wie auf Aktivisten dieser Gruppierung gleichermaßen prüfend anwenden.

      In der Wissenschaft geht es wohl um "Wahrheit" bzw. eine möglichst gute Annäherung daran. Da verdient mensch sich auch die Meriten.

      Das Gewissen muss niemand dabei ausblenden, Profs dürfen und sollen sich genauso politisch betätigen wie am besten alle Bundesbürger(innen).

      Etwa bei Klimaschutz ist es wohl schwer zu ertragen, sehr exakt zu wissen, dass der Wagen kaum gebremst in die Büsche fährt, und dann gesalbten Weißwäschern nicht in die Parade zu fahren.

      Rollen-Trennung in der Kommunikation ist wohl eine Lösung. Als Uni-Präsidentin müsste man währenddessen extrem betonen, was man privat, was man offiziell tut.



      Wobei Uni-Chefin durchaus auch ein politisches Amt ist.



      Deswegen ja auch der schrille Ton von Springermedien und Wegner.

  • Der Artikel hat Recht.



    Rauch hat einen klaren Fehler gemacht, aber auch klar und angemessen reagiert. Danach wurde der Kampagnencharakter der Kritik ebenso klar. Hier sollte jemand dennoch abgeschossen werden, von Wegner, Netanyahuschützern und den üblichen rechten Verdächtigen.



    Das Überzogene hat Rauch letztlich sogar gestärkt.



    Jetzt das Verfahren, dann sollte es geklärt sein, so oder so.



    Social media sollte sie ihrer Pressestelle überlassen, in der Zwischenzeit.

  • Beim ersten Mal Lesen dachte ich, es ist Satire.



    Beispielhaft sei das Verhalten der TU-Präsidentin, ernsthaft? Sie preist die leeren Floskeln, die fast immer eine "Entschuldigung" ausmachen, als geradewegs persönliche Leistung an, bereits in sich so großartig, dass man den eigentlich einzigen Weg, persönlich Reue zu zeigen, nämlich aus eigenem Fehlverhalten Konsequenzen zu ziehen, einfach übergeht. So und nicht anders definiere ich eine billige Entschuldigung. Und die Uni macht wahrscheinlich mit! Was soll sie auch anderes tun, bei erforderlicher Zweidrittelmehrheit? Die vergangenen Wochen haben gezeigt, wie salonfähig akademischer Antisemitismus an deutschen Hochschulen (wieder) ist.



    Es ist ja nicht allein ihr Herzchen-Like, wie kommt eine gebildete Frau in verantwortungsvoller Position überhaupt auf ein solches X-Profil, ein in jedem Post vor Hass triefender Propagandakanal? Nach solchen Kanälen muss man eigentlich gezielt suchen, es sei denn, man treibt sich in Kreisen um, die ich als nicht unbedingt vereinbar mit der demokratischen Grundordnung dieses Landes halte. Doch das scheint kein Grund mehr zu sein, die Amtsbefähigung einer Person in Zweifel zu ziehen. Traurig!

  • Man kann sich nicht selbst ent-schuldigen. Man kann nur um Entschuldigung bitten!



    Ob jemand von seiner Schuld frei wird, entscheidet immer der/die andere!

  • Mal komplett unabhängig, wie ich zu diesem Komplex stehe - prinzipiell halte ich die persönliche Meinungsbildung einer Uni-Professorin für eine gute Sache (besser jdf als generische Sprechakte in den von der Kontrollinstanz freigegebenen Bereichen des offiziellen Meinungstunnels) - diese Art, wie die Frau nun damit umgeht, empfinde ich als weitaus problematischer als dass sie neben irgendwelchen Posts auf den 👍🏿-Button tippt - *richtich chlimm*. Denn das riecht irgendwie nach Konfliktscheu, Unterwerfungsritualen Moskau 1937 und noch anderem Schmodder. Nun muss man umgekehrt nicht unbedingt den CXU-Waschbetonkopf mimen und stur geradeaus weiterfahren, es gibt sicherlich noch irgendwas dazwischen. Vermutlich hat die Frau keine Lust, ihre gutdotierte Stelle zu verlieren, aber möglicherweise ist ihr der Job eben nicht bloß ein sicherer Platz am Futtertrog wie bei Spezln im Bayrischen Wald, sondern ein echtes Anliegen, wo sie was im Sinne der Hochschullehre positiv verändern kann. Zum Beispiel weg von opportunistischen Bologna-Checkpoints, mehr Richtung Status Quo hinterfragen und Kritisches Denken. Alles andere stinkt mir zu sehr nach DDR: "Sind Sie jetzt Antifaschist oder nicht?".

  • Eine Mehrheit von 13 Mitgliedern hat sich für den Rücktritt ausgesprochen. Die Tatsache, dass sie trotzdem nicht zurücktritt zeigt nur, wie sehr diese akademischen Eliten an "Macht und Geld" kleben . Jedermann/frau der so etwas wie ein moralisches Gewissen hat, wäre nach diesem Ergebnis zurückgetreten, unabhängig davon, welches Quorum dergleichen Machtpositionen absichert!



    Eigentlich wäre es nun an der Zeit, dass der Regierende Bürgermeister oder der Berliner Senat eingreift und diese Frau zum Rücktritt auffordert. Aber ...

    • @justus*:

      Regeln sind Regeln. In diesem Falle sollen sie übereilte Abwahlen verhindern und Stabilität schaffen.



      Kann man generell diskutieren, am besten aber dabei keine Regeln für konkrete Einzelfälle anpacken, sondern aus Überzeugung generell.

      Das selbst beantragte Verfahren wird ja die Klärung bringen.

    • @justus*:

      Es gibt Regeln, mit denen man sie des Amtes entheben kann. Man hat es nicht getan, sondern es ihr frei gestellt. Sie hat sich entschieden zu bleiben. Passt doch so.

      "Eigentlich wäre es nun an der Zeit, dass der Regierende Bürgermeister oder der Berliner Senat eingreift und diese Frau zum Rücktritt auffordert."

      Nö, davon sind wir weit entfernt. Sowohl was diese spezielle Situation angeht als auch prinzipiell. Sonst haben wir irgendwann lauter von AgD Bürgermeistern und MP wegen Genderns gefeuerte Uni Mitarbeiter.

  • Interessant: Wenn man besoffen Deutschland den Deutschland grölt, muss man seinen Hut nehmen, selbst wenn man in belanglosen Positionen arbeitet. Antisemitismus aber ist in Deutschand wieder salonfähig geworden, und scheinbar nicht nur unter Muslimen, wie dieser Fall deutlich zeigt. Es wäre eine Schande, wenn sie in diesem wichtigen Amt bleibt.

  • Die Videos, die ich von den Demos an der TU Berlin gesehen habe und die Tatsache, dass dies geduldet wurde, wundert mich angesichts der Situation hier überhaupt gar nicht mehr. Da kann die Entschuldigung noch so toll sein. Die Taten sind, was zählt, und hier hat die Frau auf ganzer Ebene enttäuscht.