Szene der „Querdenker“: Booster für Rechtsextreme
Die Coronaproteste sind erst der Anfang eines von Rechten orchestrierten „Widerstands“. Dennoch wird die Gefahr von Politik und Medien verharmlost.
T riggerwarnung: Dieser Text wird „Querdenker:innen“ verstören. Er soll es auch, gerade in diesen Tagen, in denen ein Hebel umgelegt werden soll. Die Maskenpflicht weitgehend aufgehoben, die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht, wenigstens ab 60, gescheitert – und nun sollen auch die Coronaproteste neu bewertet werden.
Sind sie nun doch ein berechtigter „Freiheitskampf“ von „Maßnahmen-Kritiker:innen“ und „Impfskeptiker:innen“ seit 2020 im Netz und auf der Straße? Sind es doch bloß „friedliche Spaziergänge“ und vielerorts gar nicht von Neonazis angezettelte gewalttätige Proteste? Ist die während der Pandemie von Soziolog:innen beobachtete Radikalisierung auch bürgerlicher Milieus eine Desinformation aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm?
Um die Frage zu beantworten, lohnt ein Rückblick in die Wochen, als alles anfing. Im April 2020 sagte Jörg Schönenborn als Moderator im ARD-„Presseclub“: „Ich habe gestern in der ‚Tagesschau‘ Bilder gesehen von Demonstranten in Berlin, die abgeschleppt wurden, weil sie gegen die Coronabeschränkungen demonstrieren. Da läuft’s mir schon ein bisschen kalt den Rücken runter.“
Die Tagesschau hatte über eine „Hygiene-Demo“ vor der Berliner Volksbühne berichtet – ohne einzuordnen, wer sich dort tummelte: nämlich Rechte, Querfront-Aktivist:innen, Verschwörungstheoretiker:innen, Impfgegner:innen. Im Interview kam ein Demonstrant zu Wort, der sich über „den ganzen Aufruhr“ rund um die Coronakrise beklagte. So sollte sich die Legende entwickeln, laut der eine neue Bürgerbewegung am Entstehen ist, die sich gegen staatliche Willkür berechtigt zur Wehr setzt.
Die Aggressivität wächst
Zum Glück gab es zunächst einen weitgehenden Konsens: Coronaproteste sind nicht ohne. Wenn Leute in den Fußgängerzonen der Innenstädte ohne Maske „Frieden, Freiheit, keine Diktatur“ skandieren, sind sie egoistisch und verweigern sich der gesellschaftlichen Solidarität. Corona könnte „Einstiegsdroge“ werden, damit „normale bürgerliche Menschen“ in einen Widerstandsmodus versetzt werden, warnte 2020 der CDU-Politiker Sven-Georg Adenauer, Landrat des Kreises Gütersloh und Enkel des ersten deutschen Bundeskanzlers: „Das Thema hat Potenzial, der Nährboden ist bereitet.“
Kommunalpolitiker:innen wurden und werden bedroht, Wissenschaftler:innen, Medienleute. Die Aggressivität wächst. 2021, nach dem tödlichen Schuss eines „Maßnahmenkritikers“ auf einen Tankstellenkassierer in Idar-Oberstein, sagte Burkhard Jung (SPD), Leipziger Oberbürgermeister und damals Präsident des Deutschen Städtetags, er erlebe eine „Verrohung, wie wir sie bisher nicht kannten“. Was 2015 mit der Flüchtlingsdebatte begann, habe sich „in der Pandemie fortgesetzt, von den Reichsbürgern bis zu den Coronaleugnern“.
Letztere hatten zwar bei den Demonstrationen oft das Grundgesetz unterm Arm, im übertragenen Sinn. Aber sie gerierten sich, als würden sie darauf spucken. Von einer „Corona-Diktatur“ wurde schwadroniert. Protestierende erklären die Maske zum „Maulkorb“, das „Regime“ sei „totalitär“. Sogar von einem „Staatsstreich“ war im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie schon die Rede. Kein Vergleich ist zu absurd, zu maßlos.
In Ostdeutschland erklären „Querdenker:innen“ ihre Proteste zur „Revolution 2.0“, die „Spaziergänge“ sollten in einer würdigen Nachfolge der Montagsdemonstrationen 1989 stehen. In ganz Deutschland wird Antisemitismus zum ideologischen Kitt der Proteste. Die gelben Sterne mit der Aufschrift „ungeimpft“ kommen über einen Neonazi-Versandhandel aus Halle an der Saale zu den Protestierenden.
Konjunkturprogramm für Rechte
All das ist nicht Geschichte. Bloß dass ausgerechnet jene Menschen, die die angeblich fehlende Meinungsfreiheit anprangern und Deutschland mit Nordkorea vergleichen, nun weitere Themen suchen, um ihre Widerstandsromantik zu pflegen: beispielsweise, indem sie sich zu Propagandamarionetten von Putin machen und behaupten, der Angriff auf die Ukraine sei „aus Notwehr“ erfolgt.
So etwas war zuletzt immer wieder bei Coronaprotesten zu hören, während russische Fahnen geschwenkt wurden. Wie in den USA dürften verstärkt auch hierzulande Zweifel am menschengemachten Klimawandel laut werden. Es wird geleugnet, wo immer es geht. Und zugleich das „Lügenpresse“-Narrativ gepflegt.
In Stuttgart meldete sich vor ein paar Monaten bei einer Veranstaltung zum Thema Coronaproteste eine Frau zu Wort: „Ich bin Anthroposophin. Meine Tochter ist bei der Antifa.“ Das mag es geben. Aber die Frau relativiert so, dass Rechtsradikale in der Coronakrise die gesellschaftliche Stimmung gedreht haben.
Die als „Spaziergänge“ verharmlosten Demonstrationen sind zum Konjunkturprogramm für die extreme Rechte geworden. Zugespitzt: Viele „Querdenker:innen“ behaupten, die Demokratie sei bedroht, während von ihnen selbst eine Bedrohung der Demokratie ausgeht. Das wird kaum ernst genommen. Verharmlosung ist wieder in Mode. Medien warnen vor einer „pauschalen Stigmatisierung“ von Protestierenden.
Weite Teile der Politik nehmen solche Erzählungen auf. Sie gehen der Konfrontation mit einem heterogenen Milieu aus dem Weg, das den Abstand zu Nazis nicht einhält. Könnte ja bei Wahlen schaden. Ein Grünen-Bundestagsabgeordneter fand, die #allesdichtmachen-Schauspieler:innen hätten „einen Nerv getroffen“.
Immer wieder wird die Szene bedient: von der FDP, der AfD, von Friedrich Merz und Sahra Wagenknecht. Selbst die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte, „nur eine ganz kleine Minderheit“ bei den Coronaprotesten sei „radikal unterwegs“. Was angezeigt wäre: ein gesellschaftlicher Klimawandel, wie ihn der Präsident des Zentralrats der Juden als Resultat der Coronakrise angeregt hat. Doch die Forderung von Josef Schuster ist verhallt.
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