Syrische Aktivisten im Libanon: Unsichere Zuflucht

Vom Libanon aus organisieren syrische Aktivisten ihren Kampf gegen das Regime. Doch auch hier ist der Arm des syrischen Geheimdienstes zu spüren.

Anti-Syrien-Protest in Beirut, Libanon. Bild: reuters

BEIRUT taz | Ein leichter Wind verfängt sich in den Bannern an den Fassaden; der schwarze Stoff schlägt träge hin und her. Shaheen sitzt in einem kleinen Restaurant, zieht an seiner Zigarette und starrt durch die Glasfront auf die schmale Gasse. "Wann immer ich nach Hamra komme, ziehe ich mich an wie ein amerikanischer Tourist", sagt er, deutet auf seine knielangen Cargohosen, den Rucksack unter dem Tisch. Denn ausgerechnet in Hamra, dem Teil von Beirut, der kosmopolitischer ist als andere, liegt die Zentrale der Syrischen Sozialistischen Nationalistischen Partei (SSNP), einer faschistisch inspirierten, bewaffneten Partei, die für die Vereinigung Libanons mit Syrien zu einem "Großsyrien" eintritt.

Shaheens wahrer Name muss verschwiegen werden, um ihn zu schützen. Die syrischen Geheimdienste sind ihm auf der Spur. Vor drei Monaten haben sie einen seiner Freunde erwischt und ihn gezwungen, Informationen preiszugeben, auch über Shaheen. Deshalb ist er in Libanon untergetaucht.

Er lässt seinen Blick noch einen Moment auf den Bannern draußen ruhen. "Sicher fühle ich mich von diesen Leuten bedroht", ruft er. "Außerdem machen sie mich wütend: Was wissen die schon davon, wie es in Syrien ist?" Shaheen, 29 Jahre alt, hat bis zum Ausbruch der Proteste Mitte März als Onlinejournalist in Damaskus gearbeitet. Sein ganzes Leben lang hat er unter der Korruption und der Willkür gelitten. "Es ist schwer, jetzt nicht in Syrien dabei zu sein", sagt er leise. "Andererseits kann ich von hier aus vieles leisten, was ich vor Ort nicht könnte."

Syrische Sicherheitskräfte sollen nach Angaben von Aktivisten am Sonntag von Kanonenbooten aus die Stadt Latakia unter Beschuss genommen und dabei mindestens 10 Menschen getötet haben. Tags zuvor seien mindestens 20 Panzer und gepanzerte Truppentransporter aufgefahren. Zahlreiche Menschen sollen bei den Angriffen vom Sonntag verwundet worden sein. Am Samstag seien mindestens fünf Menschen getötet worden. Zwei Personen kamen bei einer Schießerei in Slaibe, einem anderen Viertel von Latakia, ums Leben, teilte das örtliche Koordinationskomitee mit. Ein Mensch sei in der Stadt Kusair nahe Libanon getötet worden, hieß es weiter. Auch in einem Vorort der Hauptstadt Damaskus sei eine Person getötet worden. Eine weitere Person kam in der Stadt Hama ums Leben. Nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten sind seit Mitte März etwa 1.800 Zivilisten und rund 400 Sicherheitskräfte ums Leben gekommen. (dapd, afp)

Seit dem Beginn der Revolte gegen Baschar al-Assads autoritäres Regime nutzt die syrische Protestbewegung Libanon als eine Art demokratisches Rückzugsgebiet. Mehrere Dutzend Aktivisten sind seit dem Beginn des Konflikts nach Beirut geflohen. Die libanesische Hauptstadt bietet ihnen genug Freiräume, um die Strukturen der Opposition auszubauen. Gleichzeitig ermöglicht ihnen die Nähe zu der porösen, schwer kontrollierbaren Grenze, den Demonstranten innerhalb des Landes logistische und humanitäre Hilfe zu leisten. Sicher allerdings sind die Aktivisten auch in Libanon nicht. Denn der Arm der syrischen Geheimdienste reicht tief in das Nachbarland hinein.

Der richtige Moment

Jeden Morgen trägt Shaheen die Namen derer zusammen, die bei den Protesten erschossen und verhaftet worden sind. Derzeit recherchiert er zudem, warum sich die Mittelschicht in Damaskus und Aleppo den Protesten noch nicht angeschlossen hat. Denn erst wenn der Aufstand auch auf die Zentren der beiden Metropolen übergreift, wird es für das Regime wirklich eng. Deshalb versucht Shaheen herauszufinden, wie die Aktivisten das städtische Bürgertum mobilisieren könnten.

Er rutscht rastlos auf seinem Stuhl hin und her; als sich einer der weiß livrierten Kellner nähert, bricht er seinen Satz ab. "Natürlich bin ich zuversichtlich", sagt er dann. "Aber darum geht es nicht. Eine Revolution ist keine finanzielle Investition, an der man sich beteiligt, weil man sich Erfolg verspricht, sondern weil es nicht anders geht. Weil genau jetzt der richtige Moment gekommen ist."

Wenige Querstraßen entfernt hastet ein Mann in hellblauem Hemd, mit schwerem Oberkörper und rundem, freundlichem Gesicht vorbei an Straßencafés und neonbeleuchteten Imbissbuden. Er steuert das Restaurant eines etwas abgelegenen Hotels an. Wissam Tarif lässt sich auf einen Stuhl sinken und atmet tief durch. "Ich schlafe sehr wenig, fünf Stunden sind schon Luxus", sagt er und lächelt dünn. "Ich bin derzeit praktisch immer am Telefon und online auf Skype."

Da das Regime in Damaskus keine unabhängige Berichterstattung zulässt, zählt der Menschenrechtsaktivist für viele Journalisten zu den wichtigsten Informationsquellen. Dennoch macht er sich nichts vor: "Die Demonstranten, die jeden Tag in Syrien auf die Straße gehen und ihr Leben riskieren - das sind diejenigen, die wirklich den Unterschied machen." Was er beisteuern kann, ist der Rückhalt einer großen Organisation. Der 36-Jährige gehört Avaaz an, einer internationalen Kampagnengruppe, und hat somit Zugang zu Geld, Logistik und weltweiten Kontakten.

Zu seinen Aufgaben gehört es, den Schmuggel von Hilfsgütern in die belagerten Städte Syriens zu organisieren. "Überall fehlt es an Medikamenten", sagt er. "In Homs wird vor allem Milchpulver für Babys benötigt, in Hama Verbandsmaterial und Beutel für Bluttransfusionen. Je nach Bedarf schicken wir auch technische Geräte, also Satellitentelefone, Modems oder Digitalkameras." Wenn er seine Bestellung aufgenommen hat, besorgt er die Ware. Dann kommen die Schmuggler auf Motorrädern über die Grenze, nehmen die Lieferung an und bringen sie in die syrischen Städte. Wissam Tarif ist halb Libanese, halb Syrer. Vor drei Jahren ließ ihn das Regime wegen seines zivilgesellschaftlichen Engagements deportieren. Seither kann er nicht mehr legal nach Syrien einreisen. Allerdings hat er sich vor einigen Wochen illegal einschleusen lassen, um sich ein Bild machen zu können. Doch allzu oft geht das nicht. Der Weg über die Grenze wird immer gefährlicher.

Ein freies Land, egal wie

Der Aktivist schweigt eine Weile. "Ich habe in Damaskus ein ganzes Leben zurückgelassen", sagt er dann. "Jetzt ist Syrien auf dem Weg, ein freies Land zu werden. Egal wie es letztlich ausgeht, es wird besser sein als zuvor." Damit der demokratische Wandel auch gelingt, kümmert sich Tarif darum, die Dissidenten auf ihre künftigen Aufgaben vorzubereiten.

Denn die syrische Opposition ist schwach, unerfahren und gespalten; gerade erst haben sich die beiden Dachorganisationen der Protestbewegung heftig zerstritten. "Ich versuche, über Skype zwischen beiden Gruppen zu vermitteln", sagt er. "Das hat mich schon Stunden über Stunden meines Lebens gekostet." Doch die syrischen Aktivisten müssen äußerst vorsichtig sein. Denn viele bewaffnete Gruppen in Libanon sind bereit, im Dienste des Regimes in Damaskus zu agieren. Als sich Anfang August rund 30 Libanesen zu einem Solidaritätsprotest vor der syrischen Botschaft versammelten, trieb ein Schlägertrupp das Grüppchen auseinander. Offenbar handelte es sich um SSNP-Mitglieder, die zur Verstärkung syrische Gastarbeiter angeheuert hatten.

"Von Beirut nach Hama, wir sind ein Volk", riefen die Aktivisten. "Mit unserem Blut und unserer Seele verteidigen wir dich, Assad", schrien die SSNP-Männer. Dann schlugen sie mit Stöcken und Metallketten auf die jungen Leute ein. Einige landeten mit gebrochenen Knochen im Krankenhaus.

Deiaa al-Deem hat den Protest gemeinsam mit einigen anderen Syrern aus der Ferne beobachtet. Dichter heranzugehen, das wäre viel zu riskant gewesen. Nun hängt er in einem Sessel im Café de Prague, schräg gegenüber der syrischen Botschaft, seinen Laptop auf den Knien. Ringsum plaudern schöne, sorgfältig gestylte junge Menschen über ihre Mojitos hinweg; aus den Lautsprechern dringen kühle elektronische Rhythmen. Deiaa al-Deem und seine Freunde versuchen nun, den libanesischen Aktivisten Tipps zu geben, wie man Proteste in einem Klima der Einschüchterung organisiert. "Wichtig ist, dass sie sich schneller sammeln, vielleicht als Flashmob", sagt er. "Außerdem müssen sie besser darauf achten, wie sie sich verabreden. Sie haben sich in einer Facebook-Gruppe besprochen - mit 100 Leuten! Klar, dass sich die Sache herumgesprochen hat."

Deiaa ist ein stiller, junger Mann mit zurückhaltenden Gesten. Er schrieb gerade an seiner Doktorarbeit in Jura, als die Demonstrationen begannen. "Es war ein Wunder, weil mir plötzlich klar wurde, dass ich mit meiner Unzufriedenheit nicht allein bin", sagt er. Zweimal wurde er seither verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Direkt nach seiner Entlassung wandte er sich an die internationalen Medien. Es war ihm wichtig, publik zu machen, was in syrischen Gefängnissen geschieht. Die Schläge, die Tritte, die Erniedrigungen. Er sprach unter seinem vollen Namen, damit das, was er sagt, glaubwürdig ist. Ihm war klar, dass er danach nicht mehr in Syrien bleiben konnte.

Die Hilfe der Schmuggler

Nun ist er seit zwei Monaten in Beirut. Derzeit arbeitet er daran, ein Netzwerk zur finanziellen Unterstützung für die Familien getöteter Demonstranten aufzubauen: "Es gibt Millionen von Syrern außerhalb des Landes", sagt er. "Wir müssen gar nicht groß um Spenden bitten. Die Leute kommen von allein und fragen, wie sie helfen können." Auch Deiaa und seine Freunde schmuggeln Hilfsgüter über die Grenze. Mittlerweile greifen die jungen Aktivisten nicht mehr nur auf professionelle Schmuggler zurück, sondern haben auch eigene Strukturen aufgebaut. Mehr kann er dazu nicht sagen; es brächte die Aktivisten in Gefahr, wenn der Ablauf der Transporte bekannt würde.

Keiner von ihnen wird nach Syrien zurückkehren können, ehe das Regime nicht gestürzt ist. Doch was, wenn Baschar al-Assad an der Macht bleibt? "Spucke deiner Mutter!", ruft Deiaa, eine syrische Redewendung, die in etwa bedeutet: Mal den Teufel nicht an die Wand.

"Im Moment haben die Sicherheitskräfte nicht genug Kapazitäten, um uns zu verfolgen", sagt er. "Doch wenn der Druck auf der Straße nachlässt, dann sind wir alle verloren - und unsere Familien in Syrien gleich mit."

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