Syrien, Thüringen und Corona: Friedensnobelpreis für die Telekom
Merkel telefoniert gegen den Krieg, Ramelow gibt Logikrätsel auf. Und in Fußballstadien gibt es virulente Ansteckungsgefahren jenseits von Corona.
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht in der vergangenen Woche?
Friedrich Küppersbusch: „Deutscher Mundschutz nur für Deutsche“.
Und was wird besser in dieser?
Ramelow zeigt vorbildliche Corona-Vorbeugung beim Nichthandschlag.
An der griechisch-türkischen Grenze frieren Tausende Flüchtende, auf sie wird mit Gummigeschossen und Tränengas geschossen. An wen kann die EU jetzt ihren Friedensnobelpreis abgeben?
An die Telekom. Oder wer immer die Leitungen für „Merkel telefoniert mit Erdoğan“, „Merkel telefoniert mit Putin“ bereitgestellt hat. Noch mal langsam: Trump lässt die Kurden fallen, Erdoğan kann gegen die Kurden losmarschieren, Putin versucht Erdoğan zu domestizieren, Erdoğan provoziert Nato-Fiasko und Flüchtlingselend. Okay, man könnte sich auch mal an einen Tisch setzen und eine europäische Friedenskonferenz abhalten. An dem Tisch allerdings säße, Stand heute, Putin, Trump aber nicht – und das trauen sich die Europäer nicht. Noch.
Nach der Wahl Bodo Ramelows zum Ministerpräsidenten von Thüringen verweigerte der Faschist Björn Höcke den Handschlag. Nun hat er für den AfD-Vizepräsidenten Michael Kaufmann im Thüringer Landtag gestimmt. Verstehen Sie das?
„Ich verweigere den Parlamentsrechten der AfD nicht meine Stimme“, sagte Ramelow – ein Logikspaß für die ganze Familie. Gäbe es ein Recht auf einen Vize, müsste man das nicht abstimmen – stimmt man es ab, ist es kein Recht. Das zweite Argument, die AfD blockiere im Gegenzug die Wahl von Richtern und Staatsanwälten nicht, klingt nach blankem Deal. Vize Kaufmann erhielt 45 Stimmen, das hätten AfD (22), CDU und FDP (26) allein zustande gebracht – was die AfD auch behauptete. Ramelows Stimme war also wumpe, sein offensives Outing lädt zu Spekulationen ein. Staatsmännische Geste? Werbung um AfD-Sympathisanten? Erster Sieger im Thüringer Regionalentscheid „Mit dem Arsch umreißen, was man mit den Fingern hingestellt hat“? Es ist verletzend für viele seiner Unterstützer und hat was von Selbstverstümmelung.
In Israel hingegen ist die Parlamentswahl zum gefühlt drölfzigsten Mal wiederholt worden. Wäre das nicht ein Modell für westliche Demokratien, so eine Art permanentes Plebiszit?
Stichwort Thüringen: Hier hat sich zwischen der Wahl und heute so viel bewegt und entblößt, dass man eine schnelle Neuwahl damit begründen kann. In Israel gemahnt es hingegen eher an den Klassiker „So lange wählen lassen, bis einem das Ergebnis passt“. In der deutschen Geschichte gilt dieses Stotterwählen als Tumormarker der Weimarer Republik. Also zumeist Gemeingut – reißt euch zusammen und macht was aus dem Votum. Modischer Hohn auf die Pirouetten der SPD einerseits, Frontalblamage der FDP andererseits: Das zersplisste Bundestagswahlergebnis 2017 führte zu einer Regierung, von der man mal besser sprechen wird als heute. Doch keine Sorge, alsbald die CDU einen neuen Chef hat, steigen die Chancen auf vorzeitige Neuwahlen auch hier.
Nach diesem „Winter“ müssen wir das erste Mal ohne einen neuen Jahrgang Eiswein auskommen. Greta hin oder her, das geht doch jetzt wirklich zu weit mit Klimawandel, oder?
2017 loderten besinnliche Kerzenfeuer in Obstbaumplantagen, damit im späten Aprilfrost die Blüte nicht erfror. Nun bieten sich Kühlschränke für Winter an. Ist die Natur doch selber schuld, wenn wir noch mehr Energie vergeuden.
In Pforzheim will die Polizei stärker gegen die Ultraszene des 1. CfR Pforzheim vorgehen. Geht es nach dem Polizeisprecher, sollen vermeintlich linksradikale Aussagen wie „Willkür nimmt seinen Lauf“ oder „Gemeinsam gegen Polizeigewalt“ im Pforzheimer Stadion verboten sein. Fühlen Sie sich im Stadion überhaupt noch sicher?
Warten wir auf das Statement der „Arbeitsgemeinschaft kritischer Nationalsozialisten in der AfD“, erwartbar sinngemäß: „Was issen da dran links?“ In der wirren Wunderwelt der Pforzheimer Polizei nämlich ist „Kapitalismuskritik, solange sie nicht ins Beleidigende ausschlägt“ nicht linksradikal, Kritik an der Polizei hingegen schon. Es verleitet zu morastigen Spekulationen, wenn die Polizei Kritik an ihrem Vorgehen nur von links kennt. Wie läuft’s denn so zwischen Uniformierten und Stadion-Nazis?
Am Sonntag war Internationaler Frauentag. Waren Sie auch demonstrieren?
Warum sollte ich gegen den Frauentag demonstrieren?
Und was machen die Borussen?
Beim Auflaufen im Gladbacher Borussenpark demonstrierten die Aktiven einen coronös korrekten Ellbogen-Bump zur Begrüßung statt Handschlägen. Nach dem Spiel liefen sie mit getauschten nassen Trikots Arm in Arm zu den Fans. Hoffentlich respektiert das Virus das.
Fragen: paw, krt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Wir unterschätzen den Menschen und seine Möglichkeiten“