Sven Giegold über Griechenland-Krise: „Wo ist Frau Merkel jetzt?“
Der Grünen-Finanzexperte Sven Giegold erklärt, wie er als Grieche handeln würde und was die Kanzlerin lieber tut, als Europa zu retten.
taz: Herr Giegold, ist eine griechische Staatspleite noch zu verhindern?
Sven Giegold: Die EU-Kommission und die französische Regierung haben klar gesagt, dass die Tür für Verhandlungen offen steht. Ich frage mich aber, wo jetzt Frau Merkel ist? Zusammen mit Frankreich könnte sie das Ruder noch herumreißen. Ihr Nichtstun führt dazu, dass wir einen failed state in Europa riskieren. Das kommt uns allemal teurer und ist für die Griechen viel einschneidender als eine vernünftige Verhandlungslösung.
Was genau müsste passieren?
Die Gläubiger müssen dringend ein neues Angebot vorlegen, das vier Kriterien umfassen sollte: Harte Verpflichtungen zu Strukturreformen, die die Wirtschaft in Griechenland in Gang bringen. Keine weiteren Austeritätsmaßnahmen – also ein Verzicht auf das erneute In-die-Krise-Sparen. Eine langfristige Lösung für die Altschulden und neue Investitionen. Solch einen Vorschlag muss Frau Merkel jetzt vorlegen. Das ist jetzt das Gebot der Stunde, um einen historischen Fehler noch abzuwenden.
Die Gläubiger behaupten, ihr Angebot sei schon äußerst weitgehend gewesen …
Nein, die Geschichte vom großzügigen letzten Angebot an Griechenland ist ein Märchen. Das neue Angebot unterscheidet sich nur minimal vom Verhandlungsstand zuvor.
Halten Sie den Grexit überhaupt noch für abwendbar?
Da Frau Merkel lieber den 70. CDU-Geburtstag feiert, statt Europas Einheit zu bewahren, ist meine Hoffnung nicht sehr groß. Außerdem kann man erneute Gespräche nicht mit einer Märchenstunden beginnen. Die Schuld ist eben nicht eindeutig verteilt. Beide Seiten tragen Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen und das Chaos in Griechenland.
gehörte im Jahr 2000 zu den Attac-Mitbegründern. 2008 trat er den Grünen bei und sitzt seit 2009 für seine Partei im Europaparlament. Der Ökonom gilt als Wirtschafts- und Finanzexperte der Grünen-Fraktion im EU-Parlament.
Das heißt, Sie hatten sich auch mehr von der Syriza-Regierung erhofft?
Ja, ich bin von der Syriza-Regierung enttäuscht. Sie hat in den fünf Monaten faktisch nichts auf die Reihe bekommen, was die Bekämpfung von Steuerflucht und Korruption angeht. Sie hat sogar neue Steuer-Sonderangebote für Millionäre auf den Weg gebracht. Und sie hat leider mit ihrer Politik die wirtschaftliche Dynamik in Griechenland erneut zum Erliegen gebracht.
War es dumm von Tsipras, das Referendum anzukündigen?
Es wäre viel schlauer gewesen abzuwarten, bis die Verhandlungen zu Ende sind. Aber das Referendum ist ein demokratisches Recht – und wer sind wir denn, das nicht zu respektieren?
Wie sollten die Griechen beim Referendum abstimmen?
Das ist eine unglaublich schwierige Entscheidung. Wenn ich Grieche wäre, würde ich vermutlich eher mit Ja stimmen. Denn der Ausstieg aus dem Euro, der aus einem Nein folgen würde, ist noch viel schlimmer als die nächste Austeritätswelle. Aber als Deutsche ist das nicht unsere Entscheidung. Die Aufgabe der solidarischer Freunde Europas in Deutschland ist es, alles zu tun, damit es doch noch zu einer solidarischen Verhandlungslösung kommt. SPD, CDU und CSU und ihre Spitzen stehen hier in der Verantwortung.
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