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Stuttgart-„Tatort“Wieso die Stuttgarter mal ein Sabbatical brauchen

„Überlebe wenigstens bis morgen“ hätte eine einzigartige Story über die Vereinsamung junger Menschen sein können. Aber ...

Die Stuttgarter Tatortkommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) Foto: Benoît Linder/swr/ard

Es ist echt ungewöhnlich fies programmiert: drei SWR-„Tatorte“ an drei Sonntagen hintereinander. Der aus Ludwigshafen („Mike & Nisha“) war gut, der aus dem Schwarzwald („Der Reini“) absolut überragend – und nun: der Stuttgarter. Ach, sprechen wir nicht drüber.


Müssen wir hier aber. Also. Eigentlich lässt sich „Überlebe wenigstens bis morgen“ so umwerfend an: echt in seiner harten Alltäglichkeit. Eine junge Frau liegt monatelang tot in ihrer Wohnung. Niemand wundert sich, dass Nelly (Bayan Layla) sich nicht meldet, niemand sucht Kontakt, niemand gibt eine Vermisstenanzeige auf. Bis die Feuerwehr sie zufällig findet, Plastiktüte über dem Kopf, Seil um den Hals, Kabelbinder um die Hände.

Allein dieses Szenario von Verlassenheit könnte eine Story auffalten, die ihresgleichen sucht: Erzählt mit Rückblenden zeigt sich ein Drama um enttäuschte Freundschaft, eine entfremdete Familie, Sprachlosigkeit und Vereinsamung junger Menschen.Stattdessen kann man gleich empfehlen: Schauen Sie sich doch einfach nochmal den fantastischen „Tatort“ von voriger Woche in der Mediathek an, mit dem Ermittlungsteam um Friedemann Berg (Jochen Wagner) und Franziska Tobler (Eva Löbau). Hat auch beim zweiten Mal mehr Wumms als der neue.

Jeder wichtige Aspekt dieser persönlichen Katastrophen verpufft in Albernheit. Nichts ergibt irgendeinen Sinn.

Denn im Vergleich dazu wirkt der aktuelle Stuttgarter Fall, als hätten alle keinen Bock mehr. Als hätten sie aufgegeben, bevor der „Tatort“-Vorspann auch nur angefangen hat. Die Kommissare Bootz (Felix Klare) und Lannert (Richy Müller) hudeln sich kraft- und lustlos durch ihre Ermittlung. Als sei nach 17 Jahren irgendwie die Luft raus, Mord nur noch Alltagskram, mehr als blutleere Umsetzung ist nicht mehr drin: vom monoton sprechenden Emsemble samt gestelzt schwäbelnder Vorgesetzter (Daniela Holtz) bis zu Drehbuch (Katrin Bühlig) und Regie (Milena Aboyan).

Dass der Fall so disparate Dinge umfassen muss wie eine Notfallhotline für Selbstmordgefährdete, Livestreams vom Sterben, weitere Opfer sowie Betrugsszenarien in Nellys direktem Umfeld, entgrenzt die Story willkürlich: Jeder wichtige Aspekt dieser persönlichen Katastrophen verpufft in Albernheit. Nichts ergibt irgendeinen Sinn.

Der Film

„Tatort“: „Überlebe wenigstens bis morgen“, 20.15 Uhr, Sonntag 23.11.26, ARD

Stimmt schon: Mit den Jahren wird es immer schwerer, einen Film zu verreißen, schließlich haben so viele Menschen über so viele Monate so viel Arbeit reingesteckt. Aber ach. Sagen wir so: Wenn eine Nebenfigur – Idil Üner als Nellys Mutter – mit ihren Mini-Momenten alle an die Wand spielt, muss man nicht mehr wissen. Vielleicht können die Stuttgarter einfach mal ein Sabbatical nehmen, um sich zu erholen? Und wir uns mit?

Der Filmtitel setzt dem Ganzen dann die Krone auf. Dass diese baden-württtembergischen Leute aus dem Effeff Gundermann kennen, zitieren und singen, ist nun wirklich jenseits des Vorstellbaren – Stichproben belegen das. Und doch: Sein „Wenigstens bis morgen“ im Off zu hören, ist immerhin das Beste am ganzen Film.

Hier zum Trost: Kommenden Sonntag läuft schon die zweite Folge mit dem sensationellen neuen Frankfurt-Main-Team Maryam Azadi (Melika Foroutan) und Hamza Kulina (Edin Hasanović). Ein Lichtblick.

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