Studierende kaufen Wohnheim: Göttinger Häuserkampf
Nach einem langen Streit verkauft das Göttinger Studentenwerk ein Wohnheim an dessen Bewohner*innen.
Die Bewohner*innen sehen den Erwerb als Pilotprojekt: „Andere Wohnheime können uns das gleichtun“, sagt Feli Schlang, Sprecherin des „Vereins zur Förderung von Bildung, Kultur und studentischem Leben“. Der Streit zwischen Studentenwerk und linken Wohnheimen ist in der Unistadt aber noch längst nicht beigelegt.
Vor eineinhalb Jahren eskalierte es. Die Bewohner*innen der Goßlerstraße 17/A warfen dem Studentenwerk vor, wie ein Miethai zu agieren. Mehr als 500 Beschwerdebriefe gingen beim Studentenwerk ein. Selbst Jürgen Trittin, grüner Bundestagsabgeordneter für Göttingen, mischte sich auf Seiten der Bewohner*innen der „Gosse17“ in den Streit ein.
Anlass war einerseits eine Mieterhöhung. Zum anderen wollten die Bewohner*innen an ihren Kollektivmietverträgen festhalten, auf die das Studentenwerk gern verzichten würde. Die Bewohner*innen wollten sich mit dem Kollektivmietvertrag die Belegung des Wohnheims, also die Selbstorganisierung, nicht nehmen lassen. Die in der „Wohnrauminitiative“ versammelten linkspolitisch aktiven Wohnheime stellten sich quer.
Warme Worte für das Wohnprojekt
Das Studentenwerk wiederum reagierte mit fristlosen Kündigungen und Jörg Magull, Chef des Studentenwerks, schien von den Forderungen der Studierenden nur noch genervt zu sein: „Wir appellieren an die Studenten, zur Vernunft zurückzukehren“, ließ er damals mitteilen.
Nach Monaten der Verhandlungen, zu der sich beide Seiten mit etwas Mühe wieder durchrangen, fand sich auf einmal doch eine Lösung. „Wir sind jetzt froh, dass wir nicht mehr zum Studentenwerk gehören“, sagt Feli Schlang nun, anderthalb Jahre später. Und das Studentenwerk findet plötzlich viele warme Worte. „Neben dem Studium einen Verein zu gründen, die Häuser zu sanieren und sich noch stark sozial zu engagieren, ist keine Kleinigkeit. Dennoch habe ich keinen Zweifel am Gelingen dieses Wohnprojektes“, ließ Studentenwerkschef Magull über das Göttinger Tageblatt mitteilen.
Aber auch ökonomische Gründe dürften das Studentenwerk dazu gebracht haben, das Haus abzugeben. „Uns steht eine Menge Arbeit bevor, denn das Haus ist in einem ziemlich schlechten Zustand“, sagt Schlang. Auf die aktuell 32 Bewohner*innen, die den Großteil der Mitglieder des neugegründeten Vereins bilden, wird viel Eigenleistung zukommen. Denn Geld hat der Verein fast keins.
Die Häuser sind dringend sanierungsbedürftig
Nun stellt sich die Frage, ob dieses Modell Signalwirkung haben wird. Es finden gerade mit weiteren Wohnprojekten Verhandlungen statt. „Wir können uns gut vorstellen, das Modell auf weitere Häuser zu übertragen“, sagt Sprecher Steve Saleh. Zum konkreten Stand der Verhandlungen will das Studentenwerk derzeit nichts sagen. Bei zwei Wohnprojekten aber soll es, wie aus dem Umfeld zu hören ist, gute Aussichten geben.
Doch in der Roten Straße, in der sich mehrere, ursprünglich besetzte und dem Studentenwerk später übertragene Wohnheime befinden, eskaliert der Streit aufs Neue. Die selbstverwalteten Häuser sind dringend sanierungsbedürftig. Die Bewohner*innen warfen dem Studentenwerk vor, viel zu lange kein Geld für die Sanierung in die Hand genommen zu haben und die nun anstehenden Kosten auf sie abwälzen zu wollen. Zum 1. April sollen die Häuser zur Baustelle werden. Doch wie diese Phase gestaltet werden soll und wie es danach weitergeht, darüber soll zwischen den Wohnprojekten und dem Studentenwerk noch ziemlich großer Dissens bestehen.
„Ungeheuerlicher Erpressungsversuch“
In einem Mitte Dezember veröffentlichten offenen Brief sprechen die Bewohner*innen von einem „ungeheuerlichen Erpressungsversuch“ durch Studentenwerkschef Magull. Würden die Bewohner*innen nicht neue Mietverträge unterschreiben, würde es auch keine Sanierung geben, soll er angedroht haben. Die neuen Mietverträge würden eine starke Mieterhöhung beinhalten. Dabei wollen auch diese Wohnprojekte die Häuser gern als Verein kaufen, ähnlich wie in der „Gosse17“.
Denn die Wohnprojekte sind nicht nur als Wohnraum von enormer Bedeutung. „Das Haus soll offen sein für kulturelles Leben und basisdemokratische Teilnahme ermöglichen“, sagt Schlang im Hinblick auf das Wohnheim in der Goßlerstraße. Zudem: Jedes gekaufte und selbstverwaltete Wohnheim wird dem Markt entzogen. Denn auch Göttingen hat ein Problem mit steigenden Mieten. Innerhalb der letzten fünf Jahre ist der Preis für Neuvermietungen um mehr als 25 Prozent gestiegen.
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