Studie zum Küssen: Wenn das Feuerwerk kommt
Eine Studie fand heraus: Menschen küssen seit einem Jahrtausend länger als bisher angenommen. Doch noch immer ist umstritten, warum überhaupt.
Menschen tun seltsame Dinge miteinander, wenn man sie so beobachtet, als wäre man selbst keiner. Wenn man genau hinschaut, auf ihre Bewegungen, ihre Gesten, ihre Hände. Sie umarmen sich, drücken einander Pickel aus, sie beißen sich, aus einem spontanen Impuls der Zuneigung, sie schürzen ihre Lippen und pressen diese auf eine Stelle auf dem Körper eines anderen, meistens auf den Mund, manchmal öffnen sie die Lippen ein bisschen und schieben ihre Zunge durch, geradewegs in den Mund des Gegenübers, mit geschlossenen Augen.
So tun es auch zwei eng umschlungene Menschen aus Ton auf einem Relief, das vor 3.800 Jahren in Mesopotamien, dem Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, getöpfert wurde. Diese Tontafel zusammen mit ein paar noch älteren mit Keilschrift darauf haben die Wissenschaft kürzlich etwas Neues gelehrt: Menschen berühren sich mit den Lippen schon viel länger als bisher angenommen, der älteste belegbare Kuss aus Zuneigung und Verlangen soll 4.500 Jahre zurückliegen, das ist ein Jahrtausend mehr als bisher gedacht.
Außerdem glaubte man zuvor, dass Menschen in Südasien mit dem Küssen angefangen hätten und es sich andere von ihnen abschauten, bis überall Menschen einander küssten. Die beiden Autor:innen der Studie gehen nun aber eher davon aus, dass die Menschen an allen möglichen Orten das Küssen praktizierten. Und weil Bonobos und Schimpansen es genauso tun, vermuten sie, dass das Küssen dem Menschen angeboren ist, wie der Saugreflex beim Neugeborenen oder das Bedürfnis nach Nähe.
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Doch darüber ist sich die Wissenschaft längst nicht einig. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts beschrieb der Sozialanthropologe Bronislaw Malinowski in seiner Ethnografie, dass die Menschen auf den Kiriwina-Inseln in der Südsee vor Papua-Neuguinea das Küssen für eine von Westler:innen praktizierte geschmacklose Albernheit hielten. Und 2015 untersuchten drei Forscher:innen 168 Menschengruppen aus aller Welt und fanden heraus, dass 54 Prozent dieser größeren und kleineren Gesellschaften einander gar nicht küssten. Die Regel, die sie fanden: Je stärker eine Gesellschaft in soziale Schichten unterteilt ist, desto häufiger wird geküsst.
Die körpereigene Drogenproduktion wird angekurbelt
Auch über das Warum wird noch gegrübelt. Die einen sagen, der Kuss helfe bei der Partner:innenwahl, um herauszufinden, ob die Chemie im Speichel stimmt, ob jemand gesund ist und gesunde Babys machen kann. Ein Überbleibsel des Tieres in uns. Und weil der Kuss ein neuronales Feuerwerk auslöst, das wiederum die körpereigene Drogenproduktion ankurbelt, bekommen wir auch richtig Bock aufs Babymachen, ob mit oder ohne Resultat. Die anderen wiederum sagen, der Kuss sei eine kulturelle Geste, etwas Erlerntes, wie der Händedruck zur Begrüßung.
Ob das Rätsel um des Homo sapiens’ Kuss jemals gelüftet wird? Welcher Mensch auch immer aus welchem Grund mit dem Küssen angefangen hat – es sei ihm von Herzen gedankt.
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