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Studie zum BürgergeldBürgergeld-Reform sollte auch Verwaltung umfassen

Laut Bertelsmann-Studie geben die Jobcenter bis zu 70 Prozent ihrer Mittel für Verwaltung und nicht für Arbeitsförderung aus. Da bestehe Reformbedarf.

Wo geht es hier zu weniger Bürokratie und mehr echter Arbeitsförderung? Foto: dpa

Gütersloh afp | Eine mögliche Reform des Bürgergelds sollte nach Ansicht der Bertelsmann-Stiftung auch die Verwaltungen der Jobcenter umfassen. Dort werde seit Jahren immer weniger Geld für Arbeitsförderung und immer mehr Geld für das Verwalten ausgegeben, teilte die Stiftung in Gütersloh am Montag unter Berufung auf eine eigene Studie mit. Demnach wachsen die Ausgaben, während gleichzeitig wenige Menschen in Arbeit vermittelt werden.

Nach Angaben der Stiftung hatten die Jobcenter im vergangenen Jahr 10,7 Milliarden Euro zur Verfügung. Wie sie die Mittel auf Verwaltung und Arbeitsförderung aufteilen, ist dabei ihnen überlassen. Die Kosten für die Verwaltung stiegen in den vergangenen zehn Jahren – auch wegen steigender Gehälter – um 39 Prozent auf 6,5 Milliarden Euro. Das Geld zur Förderung von Bürgergeld-Empfängerinnen und -empfängern indes verharrte bei 3,8 Milliarden Euro.

„Einige Jobcenter verschieben bis zu 70 Prozent dieser Gelder in die Verwaltung“, erklärte die Stiftung. Sie forderte „eine umfassende Reform“. „Wie viele Menschen die Jobcenter am Ende in Arbeit bringen, spielt eine untergeordnete Rolle“, erklärte Roman Wink, Arbeitsmarktexperte der Bertelsmann-Stiftung. Daher brauche es in Zukunft klare Ziele, um Steuergelder effizient einzusetzen.

Bürgergeld soll reformiert werden

Union und SPD hatten sich in ihrem Sondierungspapier auf eine Reform des Bürgergelds geeinigt. Daraus soll nach Angaben von CDU-Chef Friedrich Merz eine neue „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ werden. Leistungsbeziehern, die jegliche Arbeitsaufnahme verweigern, sollen demnach künftig alle Leistungen vollständig entzogen werden.

Die Bertelsmann-Stiftung forderte bei versäumten Terminen oder ausgeschlagenen Angeboten „moderate“, aber frühere und konsequentere Sanktionierungen. „Ein richtiger Ansatz ist, die Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen sofort nach der Antragstellung zu aktivieren, um eine Verhärtung der Arbeitslosigkeit zu vermeiden“, erklärte Tobias Ortmann, ebenfalls Arbeitsmarktexperte der Stiftung. Auf diesem Wege ließe sich auch verhindern, dass Betroffene während der Arbeitslosigkeit etwas mit Schwarzarbeit hinzuverdienten und der Anreiz zur Rückkehr auf den regulären Arbeitsmarkt gering sei.

Aktuell beziehen in Deutschland rund 5,4 Millionen Menschen Bürgergeld. 2,7 Millionen davon stehen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, etwa weil sie nicht erwerbsfähig sind oder sich in einer Weiterbildung befinden. Weitere 830.000 Menschen sind Aufstocker, das heißt, sie arbeiten zwar, ihr Einkommen reicht aber nicht zum Leben. 1,9 Millionen sind tatsächlich arbeitslos.

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11 Kommentare

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  • Die Bertelsmann Stiftung – stets zu Diensten. Die heimliche Studiendirektion „von´s Studienganzen“ sitzt wohl im Konrad Adenauer Haus. Denn schon die Presseerklärung der Stiftung zum Machwerk „Bürgergeld: Anspruch, Realität, Zukunft“ versteht sich mit dieser wunderbar suggestiven Überschrift als Drehbuch der CDU zur Umsetzung der „Neuen Grundsicherung als Etatkürzung“. Studiendirektor Carsten Linnemann hatte sie auf Focus-Online schon angekündigt. (Die Links liefere ich nach.) Dort erklärt er z. B. den geplanten weitgehenden Wegfall der Stellenvermittlung durch die Jobcenter zur publikumsgefälligen Übernahme von mehr Eigenverantwortung durch die Kundinnen u. Kunden. Natürlich ohne zu erklären, wie die das dann realisieren sollen. Was aber bestimmt durch drastische Sanktionsverschärfungen für sie wird durchgesetzt werden. Die vermeintlich frei werdende Arbeitszeit stünde dann für die engmaschige Kundenbetreuung sprich Kontrolle, zur Verfügung. Der Rest der Presseerklärung u. wohl auch der Studie ist Rekombination des Bekannten zum Zweck von Mittelkürzungen. Ein „Schlager-Hossa“, das vorgibt eine Sinfonie zu sein. Aber genau den Hörschaden beim Publikum zu erzeugen, ist erwünscht.

  • Ich betreue eine junge Familie aus meiner Nachbarschaft, die auf Unterstützung durch das regionale Jobcenter angewiesen ist. Im letzten Jahr hat der sogenannte Fallmanager (Sachbearbeiter) dreimal gewechselt. Einen Termin zu bekommen ist so gut wie unmöglich, die aktuelle Fallmanagerin verschanzt sich im Homeoffice und hat leider, leider keine Termine vor Ort frei. Telefonisch ist auch ganz schwierig, da die Leitung dauerbesetzt ist. Nach Einschaltung eines Anwaltes ging es dann plötzlich ganz schnell. Anträge wurden bearbeitet und genehmigt. Was hilft die ganze Verwaltungsstruktur, wenn die Mitarbeiter vor Ort keine Zeit oder keine Lust haben?

  • Komisch bei der Wirtschaft hiess das Abbau von Bürokratie.



    Die könnte hier ja auch mal geübt werden, aber dann kann der Leistungsbezieher ja nicht so gut gegängelt werden.

  • Ein von mir unterstützter irakischer Flüchtling mit Aufenthaltserlaubnis erhielt im Rahmen einer mit der Stadt HH



    vereinbarten Integrationsmassnahme einen Arbeitsvertrag mit der



    Hamburgischen Stadtreinigung. Die Ausländerbehörde verlangte



    die Vorlage des Vertrages zur Genehmigung. Ein bisschen viel



    Behörde.



    Anderes Beispiel mit einem anderen Flüchtling u. Bürgergeldempfänger. Er wollte von HH nach NDS umziehen organisierte den Umzug mit 7 köpfiger Familie selbst und mietete



    für ein Wochenende einen Sprinter, das Jobcenter übernimmt die



    Kosten. Allerdings mussten 3 verbindliche Angebote von Autovermietungen eingeholt werden, obwohl sich die Mietangebote



    der Vermieter solcher Selbstfahrer-Kleinlaster am WE nur marginal



    unterscheiden und durch eine Pauschale unproblematisch u. Einfach



    Lösen läßt.

  • Nicht nur die eigentliche Verwaltung, auch angebliche 'Kontrolle'- und Macht-Spielchen sind, was Geld frisst.



    Die Leute sollten besser bei Großerben und Megaeinkommen im Einsatz sein - _da geht es um etwas, wie Studien bestätigen!

  • Man sollte vielleicht dazu erwähnen, dass die Bertelsmann Stiftung neben der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft eine der wichtigsten Lobbyorganisationen neoliberaler Politikbeeinflussung durch private Unternehmen ist.

  • Das fing schon immer bei den Briefen an. Es wurden immer4 oder fùnf Papiere mitgeschickt!



    Ich denke allein fürs Papier desJobcenter ist ein Teil des Regenwaldes geschädigt worden und wer hat hier dazu die Provisionen gekriegt für Papier. Porto undDruxkerfarbe?

  • €107 Mrd. fließen in die Verwaltung, weil das Gesetz und der ganze Ansatz darauf basiert, dass der Bedarf von arbeitslosen/armen Menschen exakt errechnet werden soll.



    Im SGB II geht es eben nicht um Pauschalen, sondern um exakte Bedarfe und dann gibt es Menschen, die arbeiten, besitzen eine Agrarfläche, haben aber immer noch zu wenig, weil sie vielleicht viele Kinder haben und dann wird gerechnet. Und das dann eben auch noch verkehrt, viele Jobcenter bescheiden regelmäßig falsch, weil die Leute vor Ort das selber nicht so gut können.

    Das ganze System ist m.M. ein Rohrkrepierer, weil a) die Leute nicht über die Jobcenter in Arbeit vermittelt werden und b) das Geld in die Verwaltung und das Berechnen von Bedarfen fließt, dazu dann noch c) Treffen und Termine, die vielfach auch nichts bringen, aber sehr hoch gehängt werden.

    Ich muss aber auch an de Bertelsmann Stiftung zweifeln, weil diese Vorschläge und Ideen gar nicht wirklich so gedacht sind, dass die Armut abnimmt oder die Menschen tatsächlich arbeiten und davon leben können. Die Idee ist immer noch, Menschen schnell in irgendeinen Job zu vermitteln, selbst wenn das Jobcenter aufstocken muss. Der ganze Ansatz ist m.M. falsch.

  • Wenn die Verwaltung 6,5 Mrd kostet, also ca 65.000 Vollzeitäquivalente, dann kann man nicht von einem Verschieben der Mittel sprechen. Lohnerhöhungen sind im ÖD auch oft nicht (vollständig) gegenfinanziert.



    Was nicht heisst, dass es keine Reform geben sollte. Vielleicht aber erstmal sauber die Kostenstellen trennen.



    Und wenn die Mittel für Weiterbildungsmassnahmen nicht steigen, ist das nicht unbedingt was schlechtes. Jeder kennt wohl die Stories über sinnlose Massnahmen. Eine Studie zu deren Effektivität scheint zu fehlen.

    • @fly:

      Jobcenter sollen eigentlich passgenau in Arbeit vermitteln, nicht 70 Prozent der Mittel für sich selbst aufwenden. Maßnahmen und Training soll tatsächlich im SGB II nicht vorrangig sein, soweit stimmt das, aber da es sich um Langzeitarbeitslose oft handelt, muss das Jobcenter eben auch selber was anbieten.

    • @fly:

      Ich bin als Langzeitarbeitsloser mit nem erst über nen EU-Fond und dann des AA finanzierten Job bei nem Museumsverein zu meiner jetzigen Tätigkeit in der Zukunft (Glasfaserverlege- und Anschlußbetrieb, lt. BG bin ich Elektriker*lol*) gekommen.



      Am meisten verludert die Verwaltung Geld weil die bei jedem Pfennig über Grundbedarf 27 (in Worten: siebenundzwanzig Zettel wollen. Dafür können die aber nix, des will die Regierung so und auch die die wählenden Bürger.