Studie zu Schwangerschaftsabbrüchen: Umentscheidung unwahrscheinlich
Die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch hat oft mit der jeweiligen Lebenssituation zu tun. Die verpflichtende Beratung hat kaum Einfluss.
„Unsere Ergebnisse sprechen stark gegen die Annahme einer planlosen Entscheidung“, schreiben die Autorinnen Lara Minkus und Sonja Drobnič. Dies deckt sich mit anderen Forschungsergebnissen, die darauf hindeuten, dass die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, dass Frauen sich umentscheiden, wenn sie einmal den Entschluss für eine Abtreibung getroffen haben.
In Deutschland sind Frauen vor einem Eingriff jedoch sowohl zu einem Beratungsgespräch als auch zu einer mindestens dreitägigen Bedenkzeit verpflichtet. „Diese Beratung verpflichtend zu machen, ergibt der empirischen Sachlage zufolge aber keinen Sinn.“ Dies zeigt auch eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) von 2016 nach der 69 Prozent aller Frauen angaben, dass die Beratung keinen Einfluss auf ihre Entscheidung hatte. Schwangerschaftsabbrüche seien die Folge alltäglicher Lebensentscheidungen und biografisch einschneidender Vorfälle.
Abgefragt wurden etwa persönliche Aspekte wie Alter oder Religiosität, familiäre Umstände und sozioökonomische Kriterien. Im Ergebnis sehen die Autorinnen ihre Hypothese, dass die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch erheblich von individuellen Lebensumständen geprägt ist, bestätigt. Den größten Einfluss hat dabei das Trennungsverhalten. Die Wahrscheinlichkeit eines Abbruchs stieg deutlich, wenn die befragten Frauen innerhalb der letzten zwei Jahre eine Trennung vom Partner erlebten.
Empirische Grundlagen fehlen
Auch die Lebensphase ist ein entscheidender Faktor. Sowohl bei Frauen unter 20 als auch bei jenen über 35 stieg die Wahrscheinlichkeit einer Abtreibung. Bei Jüngeren häufig dann, wenn sie noch in Ausbildung sind, bei Älteren oft, wenn sie schon Kinder haben und kein weiteres wollen. Gänzlich neu sind diese Erkenntnisse nicht. Die BZgA-Studie kam zu ähnlichen Ergebnissen, wenn auch mit eingeschränkter Repräsentativität. Besonders an der Bremer Studie ist, dass der Datensatz auch die Perspektive von Männern beinhaltet, deren Partnerin im letzten Jahr eine Schwangerschaft abgebrochen hat.
„Das Ziel war, zunächst einmal überhaupt repräsentative Daten zu liefern, wann Frauen oder Paare sich für einen Abbruch entscheiden“, sagt Minkus. „Das Thema wird zwar breit und hitzig diskutiert, in Deutschland gibt es dazu aber kaum empirische Grundlagen.“
Um die repräsentativen Aussagen treffen zu können, nutzten die Autorinnen den Datensatz des Familienpanels Pairfam. Diese auf 14 Jahre angelegte Längsschnittstudie läuft seit 2008. „Dadurch, dass jedes Jahr dieselben Personen befragt werden, wissen wir, ob diese im letzten Jahr zum Beispiel arbeitslos waren oder sich noch in beruflicher oder schulischer Ausbildung befinden“, sagt Minkus.
Eine Schwierigkeit bei Befragungen zum Thema Schwangerschaftsabbruch sind Falschaussagen aufgrund sozialer Erwünschtheit oder der Angst vor Stigmatisierung. Um dies zu berücksichtigen, werden bei Pairfam bei sensiblen Themen statt der klassischen Interviews computergestützte Selbstinterviews durchgeführt. Studien deuten darauf hin, dass damit die Wahrscheinlichkeit von Falschaussagen zum Thema Abtreibung sinkt. Dass diese Methode zu funktionieren scheint, zeigt ein Vergleich mit offiziellen Zahlen des Statistischen Bundesamts, das zu ähnlichen Ergebnissen wie Pairfam kommt: Von 1.000 Frauen brachen 2020 rund sechs eine Schwangerschaft ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften