Studie zu Medienanwaltsstrategien: Drohgebärden gehen ins Leere
Journalisten lassen sich von Rechtsanwälten meist nicht von brisanten Recherchen abhalten. Manchmal trifft sogar das Gegenteil zu.
Der Titel der Studie ist am dramatischsten: „Wenn Sie das schreiben, verklage ich Sie!“ Im Kern liefert die Untersuchung über „präventive Anwaltsstrategien gegen Medien“ eher Entwarnung. Journalisten und Medien lassen sich durch anwaltliche Drohgebärden nicht von Veröffentlichungen abhalten.
Die Autoren der Studie, Medienrechtsprofessor Tobias Gostomzyk und der freie Journalist Daniel Moßbrucker, stützen sich vor allem auf lange Experteninterviews. Auf der einen Seite befragten Sie 42 Journalisten aller Gattungen, unter anderem den taz-Öko-Redakteur Malte Kreutzfeldt. Vor allem aber sprachen sie mit 20 der 22 wichtigsten Presserechtsanwälte in Deutschland, unter anderem mit Christian Schertz, dem wohl bekanntesten Vertreter dieser Zunft. Finanziert wurde die Studie von der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung sowie der Gesellschaft für Freiheitsrechte.
Die Studie bestätigte, dass Anwälte zunehmend bereits im Vorfeld von Medienberichten eingeschaltet werden. Als Grund wird die neue digitalisierte Öffentlichkeit vermutet. Wenn Artikel im Internet quasi ewig präsent bleiben und in sozialen Netzwerken unüberschaubar weiterverbreitet werden, kann es für die Betroffenen wichtig sein, schon die Veröffentlichung zu verhindern oder wenigstens zu beeinflussen.
Dass betroffene Unternehmen oder Prominente oft schon im Vorfeld von geplanten Enthüllungen erfahren, ist eine Folge des Presserechts. Wenn über einen Verdacht berichtet wird, müssen die Betroffenen vorab Gelegenheit zur Stellungnahme bekommen. Allerdings ist es in aller Regel nicht möglich, mit einer Klage schon vor der Veröffentlichung das Verbot eines vermeintlich falschen oder ehrverletzenden Berichts durchzusetzen. Denn was konkret in dem Artikel steht, ist eben erst nach der Veröffentlichung bekannt.
Warnschreiben für zulässig erklärt
Vor rund 15 Jahren begannen Anwälte daher, Informations- und Warnschreiben zu verschicken. Darin wird erläutert, was aus Sicht des Mandanten richtig und was falsch ist. Oft wird dabei auf angeblich falsche Berichte anderer Medien reagiert, die auf keinen Fall übernommen werden sollten. Zumindest unterschwellig wird dabei auch mit rechtlichen Schritten gedroht, falls Rechte der Mandanten verletzt würden. Der Bundesgerichtshof hat solche Schreiben Anfang dieses Jahres für zulässig erklärt, denn sie dienten dem effektiven Schutz der Persönlichkeitsrechte.
Wie die Studie nun ergab, lassen sich Journalisten und Medien durch solche Warnschreiben ohnehin nicht einschüchtern. Wer viel Arbeit in eine Recherche gesteckt hat, kann in der Regel selbst gut abschätzen, ob seine Informationen belastbar sind. Die Anwaltsschreiben werden zwar zum Anlass genommen, die eigenen Ergebnisse noch einmal zu prüfen, aber je sorgfältiger die Journalisten recherchiert haben, umso geringer der Effekt der anwaltlichen Intervention, so die Studie.
Manche Journalisten fühlen sich durch solche Schreiben sogar geradezu angespornt. Andere nehmen sie als Anregung, überhaupt Recherchen zu beginnen. Auch unter den Anwälten verzichten viele auf dieses oft kontraproduktive Mittel. Praktische Bedeutung haben solche Informationsschreiben vor allem noch im Boulevardbereich, wo viele Falschmeldungen unterwegs sind.
Einfluss der Berichterstattung
Wenn Anwälte für Wirtschaftsunternehmen tätig werden, versuchen sie eher, die Berichterstattung zu beeinflussen. Die Anwälte beantworten dann Fragen von Journalisten, schreiben Pressemitteilungen, organisieren Hintergrundgespräche, um die Sicht ihrer Mandanten zu verdeutlichen. Diese Form der Öffentlichkeitsarbeit wird meist als Krisenkommunikation oder Reputationsmanagement bezeichnet. Dabei arbeiten die Juristen oft mit PR-Agenturen zusammen. Für Journalisten, die beide Seiten hören wollen, sind solche Informationsangebote eher nützlich, auch um die eigenen Recherche noch einmal zu überprüfen.
Die Studie fand auch keine Belege für die These, dass gerade freie Journalisten nicht mehr wagen, heikle Recherchen gegen finanzstarke Akteure anzupacken. Der Grund hierfür ist aber banal: Freie Journalisten werden in der Regel so schlecht bezahlt, dass sie sich aufwendige investigative Recherchen eh nicht leisten können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann