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Studie zu Gefahren von WindrädernStimmungsmache mit Insektentod

Rotorblätter töteten laut einer Studie im Sommer pro Tag fünf Milliarden Insekten. Biologen halten die Zahl für nicht sehr relevant.

Fliegenfallen – möglicherweise Foto: dpa

Freiburg taz | Die Zahl hört sich dramatisch an: Mehr als fünf Milliarden Fluginsekten kommen im Sommer täglich an den Flügeln von Windkraftanlagen in Deutschland zu Tode. Der Wert stammt aus Modellanalysen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart. Dort hat Verfahrenstechniker Franz Trieb mit der Präzision eines Ingenieurs Insektendichten analysiert, Volumenströme der Luft an Windrädern kalkuliert und dann alles hochgerechnet. Und weil die Verschmutzung der Rotorblätter mit Insektenresten ein bekanntes Phänomen ist, wirft der Energiesystemanalytiker nun die Frage auf, ob der Schwund der Insekten auch mit der Windkraft zusammenhängen könnte.

Wirklich beantworten kann er die Frage am Ende allerdings nicht. Denn Trieb muss eingestehen, dass es keine Vergleichszahlen gibt. Diese aber bräuchte man, um sagen zu können, welche Relevanz die Windkraft hat im Vergleich zu den Pestiziden, zur intensiven Landwirtschaft, zum Verkehr, zur Flächenversiegelung, zum Gewässerverbau und der Urbanisierung.

Die vielen Unsicherheiten (die DLR-Studie benennt sie offen) griff der Bundesverband Windenergie sofort auf, um dar­auf hinzuweisen, dass den Feststellungen „keine empirisch gesicherte Basis“ zugrunde liege. Somit eigneten sich die Aussagen nicht für die wissenschaftliche Debatte, zumal der Rückgang der Insektenpopulationen auch Länder betreffe, die keine Windenergie nutzen.

Der Branchenverband verbreitet auch eine Grafik, die aus einer aktuellen Publikation in der Fachzeitschrift Biological Conservation stammt. Diese listet 13 Faktoren auf, die beschuldigt werden, zum Rückgang der Insekten beizutragen – die Windkraft ist nicht dabei. Trotzdem nutzten Kritiker der Energiewende wie Spiegel-Kolumnist Jan Fleischhauer oder Welt-Chefredakteur Ulf Poschhardt die DLR-Studie für ihre Zwecke.

Simulation und Realität

Dennoch ist die Frage, wie die Rotoren auf Insektenbestände wirken, natürlich legitim und aus wissenschaftlicher Sicht auch allemal interessant. Allerdings halten Zoologen schon die Herangehensweise der DLR-Studie für nicht zielführend. Sie argumentieren lieber aufgrund ihrer Kenntnis von Wirkzusammenhängen statt mit physikalisch-technischen Simulationen.

Wer aus den DLR-Zahlen Schlüsse für die Bedrohung der Insektenwelt ziehe, verkenne einen wichtigen Aspekt, sagt Professor Johannes Steidle, Tierökologe an der Universität Hohenheim: „Entscheidend für die Größe von Insektenpopulationen ist weniger die Frage, ob irgendwo Tiere sterben, sondern ob sie den richtigen Lebensraum zur Vermehrung finden.“ Und genau an solchen Habitaten fehle es zunehmend.

Unbekannt bleibt, welchen Anteil die Windkraft im Vergleich etwa zur Landwirtschaft hat

Ähnlich argumentiert Professor Lars Krogmann, Experte für Hautflügler am Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart: „Wenn es entsprechende Lebensräume gibt, können viele Insektenarten schnell große Populationen hervorbringen.“ Eine errechnete Zahl getöteter Individuen sei völlig irrelevant, solange Vergleiche fehlen – etwa Daten zu den Insekten, die natürlicherweise von Vögeln vertilgt werden, oder jenen, die auf Windschutzscheiben sterben.

Welche Aspekte vor allem relevant sind für den Insektenschwund, hatten Wissenschaftler im vergangenen Oktober beim Internationalen Insektenschutzsymposium in Stuttgart diskutiert. Heraus kam ein „Neun-Punkte-Plan gegen das Insektensterben“. Dieser fordert als wichtigste Schritte – in dieser Reihenfolge – eine Einschränkung des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft, eine Extensivierung der Landwirtschaft mit mehr Brachflächen, die Pflege von Naturschutzgebieten, die Erhöhung der Artenvielfalt auf Grünland und mehr Natur im öffentlichen Raum.

Nicht der Windkraft schaden

So spiegelt auch dieses Papier jene entscheidende Aussage wider, die ebenso das Bundesamt für Naturschutz sich zu eigen macht: Insektenschutz ist vor allem ein Schutz der Lebensräume. Bei der Zerstörung dieser Habitate, sagt Entomologe Krogmann, spiele die Windkraft definitiv keine Rolle. Dennoch fürchtet er, dass nun, indem man die Rotoren als potenziellen Insektenfeind aus dem Hut zaubere, der Druck auf die Landwirtschaft nachlässt, umweltverträglicher zu werden.

Das allerdings sei nicht die Intention des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, versichert Wissenschaftler Trieb. Schließlich gilt das DLR seit Jahrzehnten als eine führende deutsche Forschungsinstitution im Sektor der erneuerbaren Energien. Ihn selbst jedoch erfülle das Insektensterben mit Sorge, sagt Trieb, und da er die toten Tiere immer wieder an den Rotorblättern kleben sehe, habe ihn als Wissenschaftler der Zusammenhang der beiden Phänomene interessiert.

Der Windkraft schaden wolle er keinesfalls, beteuert Trieb: „Ich würde mich sogar freuen, wenn am Ende herauskäme, dass die Windkraft für das Insektensterben irrelevant ist – aber man müsste das Thema eben weiter untersuchen.“

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17 Kommentare

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  • Auf die gleiche Meldung bzw. Studie bin ich kürzlich in "agrarheute.com" (sic) gestossen. Insofern ich im Aktionsbündnis "giftfrei-im-3laendereck.de" organisiert bin, habe ich für meine KollegInnen die Sache weiter recherchiert.



    Es ist sicher ein Problem - keine Frage! (Ebenso bezüglich Vögeln und Fledermäusen). "Witzig" aber deshalb, weil nun "der Insektenschwund durch Landwirtschaft neu gedacht und bewertet werden müsse", so "agrarheute". D.h. es werden wieder einmal Argumente gesucht, dass die Landwirtschaft nicht massgeblich am Artenschwund (hier Insekten) beteiligt ist und man erst mal in "relevanten" Bereichen aktiv werden müsse.



    In jenem Artikel ist von einem jährlichen Masseverlust an Fluginsekten von mind. 1200 Tonnen (entsprechend den täglich 5 Mrd. Insekten) die Rede. Das klingt zunächst dramatisch, machte mich aber gleich skeptisch. So habe ich die Geschichte mal nachgerechnet: An der Uni Münster fand ich eine Studie, die in Mittel- und Nordeuropa von durchschnittlich 8 - 10 g Insekten-Biomasse pro qm ausgeht. Das sind allerdings nur die Bodeninsekten; es ist aber davon auszugehen, dass in der Luft eher weniger Insektenmasse unterwegs ist bzw. sie für die u. a. Rechnung der Bodeninsektenmasse eher noch hinzugerechnet werden müsste.



    Deutschland hat ungefähr eine Fläche von 358.000 qkm, das entspricht 358.000.000.000 qm auf denen dann eine Insektenmasse von etwa 3.580.000 Tonnen lebt. Damit entsprächen die vorgerechneten Insektenverluste (1200 Tonnen pro Jahr) einem Anteil von 0,0335%. Mit Verlaub: Die Verluste durch die Landwirtschaft (Pestizide) - und natürlich Verkehr - dürften da doch etwas höher sein! - Nehme ich jetzt mal so ganz unwissenschaftlich "emotional" einfach an.



    So funktioniert Meinungsmache a la Deutscher Bauernverband...

  • gibt es auch eine Studie des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt über die Vernichtung von Insekten durch Flugzeuge? Die würde mich noch viel mehr interessieren, denn dabei werden vermutlich Faktor 1000000 x mehr Insekten getötet! Franz Trieb: ihr Auftrag!

  • Erinnert mich an epidemischen Studien zu Stickoxiden, dort werden auch gerne Todesfälle hochgerechnet, die in der Realität schwer nachzuweisen sind.

    Und auch dort wird von vorne herein eine Ursache postuliert Und damit alle anderen Faktoren aus den Augen verloren und am Ende wird nichts erreicht.

    • @Struppi:

      Statistik ist halt schwierig; auch die meisten Mediziner haben davon nicht die geringste Ahnung.



      Deswegen stand in meinem alten Statistiklehrbuch bereits auf dem Deckel der Satz: Statistik ist wie eine Laterne, sie dient zum Festhalten, nicht zur Erleuchtung.



      Apropos hochgerechnete Todesfälle - wie anders?

       

      Kommentar gekürzt.

      Die Moderation

      • @Lapa:

        Bei solchen hochrechnungen ist die Kausalität gerne vereinfacht. Wenn ich nur die Rahmenbedingungen, die ich ermitteln soll betrachte und alle anderen ignoriere, sind solche Zahlen nur politisch nutzbar. Haben aber mit der Realität wenig zu tun. Oder eben, wie es auf dem statistikbuch stand.

  • Alle Ursachen müssen berücksichtigt und ggf. verändert, die zum Insektensterben beitragen. Evtl. Windräder nehme wir natürlich raus, weil das sind die Guten. Mein Insekten-Hotel im Garten macht den Schaden wieder wett.



    Wieder einmal keine sachliche Diskussion, sondern Ideologisierung.

  • "Dennoch fürchtet er, dass nun, indem man die Rotoren als potenziellen Insektenfeind aus dem Hut zaubere, der Druck auf die Landwirtschaft nachlässt, umweltverträglicher zu werden."

    Nichts sollte man ununtersucht lassen, aber jede klare Schuldzuweisung ist ein klarer Fall von Whataboutism.



    Dass den Insekten die Lebensräume und Futterpflanzen fehlen ist jedoch nicht zu leugnen.

  • Die Aussage von Prof. Krogmann kann so wie hier wiedergegeben falsch verstanden werden.

    Die von der DLR berechneten und begrenzten Zahlen getöteter Insekten mögen eher irrelevant sein.



    Insgesamt ist das Töten aber nicht irrelevant - nsbesondere, wenn es wie in der Landwirtschaft flächendeckende Todeszonen gibt.



    Und das deshalb weil die Anzahl der getöteten Insekten hier nach oben offen ist (z.B. "alle").

    Das findet sich übrigens implizit auch im Neun-Punkte-Plan der Biologen wider.

  • üblicher weise wird die Landwirtschaft ohne jegliche wissenschaftliche Grundlage beschuldigt. Geht es mal alle etwas an (Windrad/Verkehr/Siedlung) dann wird wie immer sofort abgewiegelt und nach wissenschaftlichen Beweis gerufen.

  • Man führt immer dann Simulationen durch, wenn die theoretischen Berechnungen zu kompliziert sind. Die Bernoulli-Gleichung mit deren Erweiterungen sind eben Differentialgleichungssysteme, die man dann besser simuliert, als berechnet.

    Es wäre auch interessant eine Insektendichte in Abhängigkeit von der Höhe anzugeben. Ich stelle mir einen solchen Probenehmer sehr witzig vor. Wie zur Zeit, wo man Schmetterlinge einfing und Carl Spitzweg diese Liebhaber malte.



    Käscher an den Windmühlenflügeln - das hat was - nämlich was bescheuertes.

    Für die Medien ist kein Thema zu bizarr und absurd, als dass es nicht eine Meldung wert ist. Hauptsache es hat Grünspan angesetzt.

    Als ob diese Gesellschaft keine dringenderen Probleme hat. Bei der DLR scheint auch der Forschungsetat zu schrumpfen. Wie sonst käme man auf so abseitige Ideen? Doch wohl nur um weitere Gelder abgreifen zu können.

  • Mal die Fläche der Windschutzscheiben der täglich auf den Straßen fahrenden KFZ ausrechnen und dann mit den Flächen der Onshore Windmühlen vergleichen. Offshore Windräder stehen nicht gerade in Insekten reichen Habitaten.

    Ich empfehle den Fleischhauern dieser Welt, ihre Windschutzscheiben auszubauen, falls sie sich um die Insekten sorgen, und nicht nur um die Kohlekraftwerke und AKW.

    • @Drabiniok Dieter:

      Das bringt nichts; auf meiner Windschutzscheibe kleben schon seit Jahren kaum noch Insekten. Außerdem paßt zum Jan Fleischhauer besser ein Messer als ein Insekt zwischen den Zähnen.

      • @Lapa:

        Ist doch klar, die Insekten, die früher immer gegen die Windschutzscheiben flogen, werden jetzt alle von den Rotoren getötet. Ich muss nur noch rausfinden, wer dahinter steckt.

  • Wenn es entsprechende Räume gibt, können Insekten schnell große Populationen entwickeln.



    Entscheidend für die Größe der Insektenpopulation ist weniger die Frage ob irgend wo Insekten sterben, sondern ob sie den richtigen Lebensraum zur Vermehrung finden.



    Da sieht es dann aber so richtig mies aus für die Insekten. Chemie, Gift, Großflächenanbau. Da muß natürlich was anderes schuld sein. WINDRÄDER!



    Fällt sonst noch was ein? Bayer und der Landwirtsverband? Agrarökonomie?

    • @Sofia Dütsch:

      Jop, genau, die Windräder sind schuld, lasst uns die verbleibenden Wälder für die Braunkohle abholzen.

      • @Michi W...:

        Etwas differenzierter das Problem zu betrachten wäre schon angebracht. Wenn die Rotoren häufig gereinigt werden müssen - da Insektenleichen den Energieertrag ganz beträchtlich reduzieren - sollte da ein Problem bestehen. Die Wirkung solcher Anlagen als Fledermaus- und Vogelshredder wird ja gerne verharmlost. Im Vergleich zu dem unruhigen, vermüllten, mit Baumhäusern besetzten Hambi-Braunkohle-Forst (das ist ein aus Naturschutz-Sicht weitgehend uninteressanter Nutzwald) werden ringsum, v.a. auch in der Eifel, etwas weiter weg im Soonwald und auch andernorts wertvolle naturnahe Wälder mit Schwarzstorch, Rotmilan und Fledermäusen für WKA, Zufahrtsstraßen etc. abgeholzt. Und die Mais/Rapsmonokulturen für die Biogas-Energiewende bitte auch vergessen! "Die Landwirtschaft" ist da der Buhmann, um andere Rückgangsfaktoren verharmlosen zu können.

      • @Michi W...:

        Und schon wieder ein Lebensraum



        weniger. Das ganze hat System.



        Irre!