Studie über rechtsextreme Einstellungen: Die Mitte wankt
Die Neuauflage der „Mitte-Studie“ konstatiert eine hohe Zustimmung zur Demokratie – in Detailfragen aber sind viele Deutsche für Ressentiments offen.
Die Mitte der Gesellschaft ist stabil, so wirkt die Botschaft. Geht man aber ins Detail, dann bröckelt dieser Eindruck. Denn dann erklären immerhin 18 Prozent, Deutschland brauche „eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“. 16 Prozent finden: „Unser Land gleicht inzwischen mehr einer Diktatur als einer Demokratie.“ Und für 23 Prozent ist es an der Zeit, „mehr Widerstand gegen die aktuelle Politik zu zeigen“.
Es sind daher ambivalente Befunde, mit denen die am Dienstag veröffentlichte Neuauflage der „Mitte-Studie“ aufwartet. Seit 2006 untersucht die Langzeitstudie Einstellungen der deutschen Gesellschaft, aktuell mit einem Team um die Konfliktforscher Andreas Zick und Beate Küpper und im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Befragt wurden 1.750 Menschen im Januar und Februar per Telefon. Der Studientitel diesmal: „Die geforderte Mitte“.
„Die Mitte ist aufgewacht“
Im Ergebnis ist erneut ein Rückgang offener rechtsextremer Einstellungen zu verzeichnen. Nur noch 1,7 Prozent der Befragten wird ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild attestiert. Lag die Zustimmung zu „fremdenfeindlichen“ Positionen 2019 etwa noch bei 8,7 Prozent, sind es jetzt nur noch 4,5 Prozent. Mehr noch: 70 Prozent der Befragten halten den Rechtsextremismus heute für die größte Bedrohung für die Gesellschaft, knapp sogar vor dem Klimawandel.
„Die Mitte ist aufgewacht“, erklärt Küpper. Viele Menschen seien offenbar erschrocken über die jüngsten rechtsextremen Anschläge oder eine Trump-Politik, andere seien womöglich ermüdet von einer „populistischen Dauerbefeuerung“.
Aber: Bei konkreten Fragen bleibt die Mitte durchaus offen für antidemokratische Positionen. So bezweifelt immerhin jeder fünfte Befragte, dass die Demokratie zu sachgerechten Entscheidungen führt. 16 Prozent erklären, die Regierung betrüge das Volk – weitere 20 Prozent sehen das „teils/teils“ so. Und 23 Prozent finden, dass man „im nationalen Interesse“ nicht allen Personen die gleichen Rechte gewähren könne – weitere rund 25 Prozent finden das „teils/teils“.
Gerade dieser hohe und gestiegene Anteil der indifferenten Antworten beunruhigt die Forscher:innen. Denn einiges deute darauf hin, dass sich dahinter „latente Zustimmung“ verberge. Küpper spricht von „Schlierspuren des Rechtspopulismus“, die bis in die Gesellschaftsmitte reichten. So könne man 13 Prozent der Befragten ein rechtspopulistisches Weltbild nachweisen, das sich gegen „die Eliten“ richte und Menschen ihre Gleichwertigkeit abspreche.
Ressentiments gegen Geflüchtete und Schwarze
Das ist zwar ein Rückgang, aber weiter äußern sich 40 Prozent der Befragten negativ über Asylsuchende, 25 Prozent über Langzeitarbeitslose. 16 Prozent erklärten, schwarze Menschen seien „zu empfindlich, wenn von Rassismus in Deutschland die Rede ist“. Auch nahmen klare Ablehnungen des Antisemitismus ab.
Zudem steigen rechtsextreme Einstellungen dort, wo auch die AfD 2017 bei der Bundestagswahl erfolgreich war. In Ostdeutschland sind rechtspopulistische Meinungen und Abwertungen von als „fremd“ Markierten höher als im Westen. Dazu erklärten insgesamt 21 Prozent der Befragten, es sei sinnlos, sich politisch zu engagieren. Auch das hält das Forscherteam für gefährlich: Denn wer sich politisch machtlos fühle, neige eher zu demokratiegefährdenden Einstellungen.
Zudem erfreuen sich Verschwörungsmythen breiter Beliebtheit. 20 Prozent erklärten, Politiker:innen seien „nur Marionetten der dahinterstehenden Mächte. Für 24 Prozent stecken Politik und Medien „unter einer Decke“. Und immerhin noch 5,4 Prozent finden, Politiker:innen hätten es verdient, wenn Wut gegen sie auch in Gewalt umschlage.
Chance auf demokratische Erneuerung
Für Zick zeigen die Ergebnisse, das sich nach Jahren der Polarisierung und Radikalisierung in Teilen der Mitte „Demokratiedistanz verhärtet“. Wichtig sei, dass die Gesellschaft nun klar für die Demokratie Position beziehe und sich den Ressentiments in ihren Reihen stelle. Gerade die Solidarität in Coronazeiten biete da die Chance einer demokratischen Erneuerung. Zick appellierte aber auch, zivilgesellschaftliche Demokratieprojekte und die politische Bildung vor Ort zu stärken.
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