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Studie über Hannovers linke SzeneDurch Einbindung eingehegt

Eine Studie über Hannovers linksradikale Szene mutet brisant an. Etwaige Militanz entdeckt sie jedoch nicht, sondern eher das Gegenteil.

Wenig eskalativ: Hannovers linke Szene, hier bei einer Demo im Jahr 2014 Foto: dpa

Hamburg taz | Warum Hannover? Es ist die berechtigte Frage, die die drei Politikwissenschaftler vom Göttinger Institut für Demokratieforschung ganz am Anfang ihrer Studie zu beantworten versuchen. Die nun veröffentlichte Analyse „Konstitutionsfaktoren des ‚anderen Hannovers‘“ versucht, die lokale linksradikale Szene erstmals tiefer zu ergründen.

Das gelingt zwar kaum, vor allem, weil Aussagen von Ak­ti­vis­t:in­nen als Forschungsquellen fehlen, interessant jedoch ist die These vom lokalen sozialdemokratischen Weg, die radikale Szene durch Einbindung eingehegt zu haben. Und die Erkenntnis, wie absurd eine in den vergangenen Jahren landesweit herbeigerufene Furcht vor einem vermeintlichen Linksextremismus ist.

Dass weder die Stadt noch die Szene bislang auf größeres öffentliches oder wissenschaftliches Interesse gestoßen war, geben Philipp Scharf, Julian Schenke und Luke Tappé offen zu. Die Stadt, der – so rezitieren die Forscher das öffentliche Bild – „alle positiven Metropolen-Eigenschaften“ fehle, komme letztlich genau deswegen in Betracht.

Wie sieht linke Gegenkultur in so einer Stadt aus? Was ist Eigenheit, Bedeutung und Entwicklung von Hannovers linker Szene? Prägt sie gar auch mit Eskalation die lokale politische Kultur?

Studie mit Vorgeschichte

Es mögen legitime Forschungsfragen sein, immerhin ist Hannover auch Landeshauptstadt. Indes: Wer die Entwicklung des Instituts in den vergangenen Jahren betrachtet, erhält eine näherliegende Antwort, warum Hannovers linke Szene studiert wurde. Seit dem Juli 2017 existiert die „Bundesfachstelle Linke Militanz“, sie ist am Göttinger Institut angesiedelt.

Hinzu kam die „Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extremismen in Niedersachsen“ (Fodex). Sie beschäftigt sich mit Rechtsextremismus, religiösem Fundamentalismus und linker Militanz in Niedersachsen. Die nun veröffentlichte Studie ist Ergebnis der Fodex-Forschung.

Mehr Hefeteig als „Brüllbaby“ sei die Rolle von Hannovers Linksradikalen in der lokalen politischen Kultur

Seit Jahren sorgt die Frage für Streit, warum plötzlich linke Militanz in Niedersachsen ein Problem darstellen soll, das erforscht werden muss. Auch andere von der Landesregierung finanzierte Projekte gegen Linksextremismus sorgten für Kopfschütteln, weil vorhergehende Studien dafür keinen Bedarf sahen.

In Göttingen, wo For­sche­r:in­nen des Instituts erstmals ein linkes Stadtmilieu zu erforschen versuchten, sorgte das Vorhaben schnell für Eskalation: Linke Ak­ti­vis­t:in­nen erteilten Mit­ar­bei­te­r:in­nen des Instituts für Demokratieforschung vor drei Jahren Hausverbote. Sie sollen linke Gruppen in Göttingens linkem Kulturzentrum, dem Jugendzentrum Innenstadt (Juzi), ausspioniert haben, so der Vorwurf.

Vor dem Institutsgebäude am Campus kam es zu Protesten. Zudem unterstellten die Ak­ti­vis­t:in­nen den Forscher:innen, mit dem Verfassungsschutz zusammenzuarbeiten. Die Reaktion des Instituts darauf war ebenso wenig deeskalativ; man wolle doch nur „unsere Wissenschaftlichkeit absprechen“. Dabei seien die Forschenden vielfach selbst linksorientiert.

Sozialdemokratische Konfliktverwaltung

Dass es nicht möglich gewesen sei, für die hannoversche Forschungsarbeit mit lokalen Ak­ti­vis­t:in­nen zu sprechen, bedauern die drei Forscher in ihrer aktuellen Studie. In der Regel würden linksradikale Ak­ti­vis­t:in­nen „sinistre – etwa nachrichtendienstliche – Absichten oder behördliche bzw. politische Instrumentalisierungsversuche“ befürchten, schreiben sie. Das mögen sie zwar beklagen – abwegig ist diese Ablehnung angesichts der Kritik der vergangenen Jahre am Institut nicht.

Und so ist die Beschreibung von Hannovers linker Szene in weiten Teilen eine gut zu lesende Zusammenfassung über die wichtigsten Gruppen und Lokalitäten in den vergangenen rund vier Jahrzehnten. Mehr nicht.

Ergiebig hingegen beschreiben die Autoren die Rolle der hannoverschen SPD für die lokale Szene. Die hat wie keine andere Partei die Lokalpolitik seit 1945 geprägt. 73 Jahre am Stück gab es dort sozialdemokratische Bürgermeister.

Im Unterschied zu anderen vergleichbaren Städten hatte die SPD „lokalpolitisches und demokratisches Regieren hier bereits seit Langem primär als nüchternes – und daher von manchen als biederes und provinzielles – Verwalten“ verstanden. Wie soll sich eine radikale Linke in diesem „Klima der wohltemperierten Konfliktverwaltung“ dagegenstemmen? Hannovers linke Szene, so die Autoren, ist längst fester Teil der Stadtgesellschaft – und in städtischen Förderstrukturen eingehegt.

Hannovers OB Belit Onay dazwischen

Hinzu attestieren die Forscher der breit definierten linken Szene, sie sei seit Jahrzehnten um Konfliktmoderation statt Eskalation bemüht. Mehr „Hefeteig“ als „Brüll­baby“ sei ihre Rolle in der Stadt. Ergebnis dieser Melange und indirekt formulierte These der Studie: Belit Onay, grüner und erster nicht-sozialdemokratischer Oberbürgermeister seit 1946, ist Produkt dieses speziellen Zustands – die Mitte zwischen Linksradikalen und Sozialdemokrat:innen.

Ob diese These der linksradikalen Szene gefällt, kann bezweifelt werden. Andererseits: Das ist nun ein Forschungsresultat der Fodex-Forschungsstelle, die mit dem Auftrag gegründet wurde, linke Militanz zu erforschen. Die Ergebnisse dürften genug Argumentationshilfe sein, das Land darauf hinzuweisen, mehr auf die rechten Gefahren zu blicken.

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