Studie über Hannovers linke Szene: Durch Einbindung eingehegt
Eine Studie über Hannovers linksradikale Szene mutet brisant an. Etwaige Militanz entdeckt sie jedoch nicht, sondern eher das Gegenteil.
Das gelingt zwar kaum, vor allem, weil Aussagen von Aktivist:innen als Forschungsquellen fehlen, interessant jedoch ist die These vom lokalen sozialdemokratischen Weg, die radikale Szene durch Einbindung eingehegt zu haben. Und die Erkenntnis, wie absurd eine in den vergangenen Jahren landesweit herbeigerufene Furcht vor einem vermeintlichen Linksextremismus ist.
Dass weder die Stadt noch die Szene bislang auf größeres öffentliches oder wissenschaftliches Interesse gestoßen war, geben Philipp Scharf, Julian Schenke und Luke Tappé offen zu. Die Stadt, der – so rezitieren die Forscher das öffentliche Bild – „alle positiven Metropolen-Eigenschaften“ fehle, komme letztlich genau deswegen in Betracht.
Wie sieht linke Gegenkultur in so einer Stadt aus? Was ist Eigenheit, Bedeutung und Entwicklung von Hannovers linker Szene? Prägt sie gar auch mit Eskalation die lokale politische Kultur?
Studie mit Vorgeschichte
Es mögen legitime Forschungsfragen sein, immerhin ist Hannover auch Landeshauptstadt. Indes: Wer die Entwicklung des Instituts in den vergangenen Jahren betrachtet, erhält eine näherliegende Antwort, warum Hannovers linke Szene studiert wurde. Seit dem Juli 2017 existiert die „Bundesfachstelle Linke Militanz“, sie ist am Göttinger Institut angesiedelt.
Hinzu kam die „Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extremismen in Niedersachsen“ (Fodex). Sie beschäftigt sich mit Rechtsextremismus, religiösem Fundamentalismus und linker Militanz in Niedersachsen. Die nun veröffentlichte Studie ist Ergebnis der Fodex-Forschung.
Seit Jahren sorgt die Frage für Streit, warum plötzlich linke Militanz in Niedersachsen ein Problem darstellen soll, das erforscht werden muss. Auch andere von der Landesregierung finanzierte Projekte gegen Linksextremismus sorgten für Kopfschütteln, weil vorhergehende Studien dafür keinen Bedarf sahen.
In Göttingen, wo Forscher:innen des Instituts erstmals ein linkes Stadtmilieu zu erforschen versuchten, sorgte das Vorhaben schnell für Eskalation: Linke Aktivist:innen erteilten Mitarbeiter:innen des Instituts für Demokratieforschung vor drei Jahren Hausverbote. Sie sollen linke Gruppen in Göttingens linkem Kulturzentrum, dem Jugendzentrum Innenstadt (Juzi), ausspioniert haben, so der Vorwurf.
Vor dem Institutsgebäude am Campus kam es zu Protesten. Zudem unterstellten die Aktivist:innen den Forscher:innen, mit dem Verfassungsschutz zusammenzuarbeiten. Die Reaktion des Instituts darauf war ebenso wenig deeskalativ; man wolle doch nur „unsere Wissenschaftlichkeit absprechen“. Dabei seien die Forschenden vielfach selbst linksorientiert.
Sozialdemokratische Konfliktverwaltung
Dass es nicht möglich gewesen sei, für die hannoversche Forschungsarbeit mit lokalen Aktivist:innen zu sprechen, bedauern die drei Forscher in ihrer aktuellen Studie. In der Regel würden linksradikale Aktivist:innen „sinistre – etwa nachrichtendienstliche – Absichten oder behördliche bzw. politische Instrumentalisierungsversuche“ befürchten, schreiben sie. Das mögen sie zwar beklagen – abwegig ist diese Ablehnung angesichts der Kritik der vergangenen Jahre am Institut nicht.
Und so ist die Beschreibung von Hannovers linker Szene in weiten Teilen eine gut zu lesende Zusammenfassung über die wichtigsten Gruppen und Lokalitäten in den vergangenen rund vier Jahrzehnten. Mehr nicht.
Ergiebig hingegen beschreiben die Autoren die Rolle der hannoverschen SPD für die lokale Szene. Die hat wie keine andere Partei die Lokalpolitik seit 1945 geprägt. 73 Jahre am Stück gab es dort sozialdemokratische Bürgermeister.
Im Unterschied zu anderen vergleichbaren Städten hatte die SPD „lokalpolitisches und demokratisches Regieren hier bereits seit Langem primär als nüchternes – und daher von manchen als biederes und provinzielles – Verwalten“ verstanden. Wie soll sich eine radikale Linke in diesem „Klima der wohltemperierten Konfliktverwaltung“ dagegenstemmen? Hannovers linke Szene, so die Autoren, ist längst fester Teil der Stadtgesellschaft – und in städtischen Förderstrukturen eingehegt.
Hannovers OB Belit Onay dazwischen
Hinzu attestieren die Forscher der breit definierten linken Szene, sie sei seit Jahrzehnten um Konfliktmoderation statt Eskalation bemüht. Mehr „Hefeteig“ als „Brüllbaby“ sei ihre Rolle in der Stadt. Ergebnis dieser Melange und indirekt formulierte These der Studie: Belit Onay, grüner und erster nicht-sozialdemokratischer Oberbürgermeister seit 1946, ist Produkt dieses speziellen Zustands – die Mitte zwischen Linksradikalen und Sozialdemokrat:innen.
Ob diese These der linksradikalen Szene gefällt, kann bezweifelt werden. Andererseits: Das ist nun ein Forschungsresultat der Fodex-Forschungsstelle, die mit dem Auftrag gegründet wurde, linke Militanz zu erforschen. Die Ergebnisse dürften genug Argumentationshilfe sein, das Land darauf hinzuweisen, mehr auf die rechten Gefahren zu blicken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!