Studie über Dokumentarfilm im TV: Nur für Nachteulen
Wer gutes Fernsehen will, schaltet spät nachts ein. Dann laufen die anspruchsvollen Doku-Formate. Eine Studie der Filmbranche bemängelt das.
Beim Zappen im Fernsehen kann der Eindruck entstehen, dass überall und jederzeit Dokumentationen laufen. Irgendwo läuft immer eine. Reisen, Tiere, Geschichte, Weltraum. Das alles zu gucken ist unmöglich. Trotzdem gibt es immer wieder Kritik, dass es im Bereich Dokumentation eigentlich eben nichts gibt – jedenfalls was Sendungen von Qualität angeht. Der Medienjournalist Fritz Wolf hat jetzt eine Studie erarbeitet, die das untermauern soll, und zwar im Auftrag des Berufsverbands der Dokumentarfilmbranche (AG Dok) und des Grimme-Instituts. Wolf hat nachgezählt, was im Bereich Dokumentation wann und wo läuft. Es ist sozusagen Teil zwei zu einer ähnlichen Erhebung von vor 15 Jahren.
Schon 2003 hatte Wolf aufgeschlüsselt, wie viele dokumentarische Sendungen im Fernsehen laufen und wann. Inzwischen sind aber nicht nur neue Sender hinzugekommen und Mediatheken entstanden, es gibt auch ein stärkeres Bewusstsein für die Aufgaben und Pflichten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Vor allem sorgfältige Recherche wird mehr gefordert denn je.
Dokumentarische Sendungen seien mehr geworden, schreibt Wolf. Pro Woche sendeten Das Erste, ZDF und die dritten Programme zusammen über 400 dokumentarische Sendungen im linearen TV. Das wirkt stattlich und entspricht dem Eindruck von der Doku-Flut. Aber Wolf besteht, wie viele in der Branche, auf Differenzierung.
So nenne sich vieles Dokumentation, was nichts miteinander zu tun habe. Leichte Kost zu menschelnden Themen mit erwartbarer Dramaturgie reihe sich ein mit Produktionen von hohem filmischen Wert und zeitgeschichtlicher Relevanz. Genau da aber zieht Wolf die Linie: Zwischen „Doku“, einem reinen TV-Format mit meist strengen Vorgaben, und dem „Dokumentarfilm“, künstlerisch freieren Produktionen, die auch filmischen Wert hätten.
Nach 23 Uhr
Gerade letztere würden größtenteils im Spätprogramm gesendet. Die Hälfte der Sendungen, die Wolf als „Dokumentarfilm“ einstuft, hat im Programm nach 23.00 Uhr gefunden. Gerade mal 9 Prozent liefen auf dem wichtigsten Sendeplatz um 20.15 Uhr. Ein Drittel gab es immerhin zwischen 21.45 und 23.00 Uhr zu sehen – also gerade noch Primetime.
Für Wolf und für die Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG Dok) spiegelt sich darin eine mangelnde Wertschätzung des Genres. Die Sender würden dem breiteren Publikum eher leichtere, erwartbare Formate zumuten. „Es gibt eine ausreichend große potenzielle Zuschauerschaft für den Dokumentarfilm. Aber viele wissen gar nicht, dass dieses Genre existiert – und wo man es findet.“ Da helfe auch nicht, dass man viele Sendungen jetzt zu jeder Tageszeit in den Mediatheken anschauen könne.
Die Kritik der Dokumentarfilmer*innen an den Sendern ist nicht neu. Seit Jahren bemängelt die Branche Kürzungen in ihrem Bereich, bei der Sendelänge, bei den Plätzen und bei der gestalterischen Freiheit.
Dabei richtet sich die Kritik meist gegen die Anstalten der ARD. Denn das ZDF hat ohnehin nur noch einen festen Sendeplatz, auf dem Dokfilme laufen können, das „Kleine Fernsehspiel“ – da halten sich die Erwartungen in Grenzen, und über Sendezeiten braucht man auch keine Erhebungen mehr zu machen.
Und was sagt die ARD?
Deswegen wäre es auch interessant, was die ARD-Anstalten zu Wolfs Zählung sagen. Zumindest beim gemeinsamen Programm DasErste hieß es aber auf Anfrage, dass die Studie dort noch nicht vorliege.
Eine Sprecherin des WDR erklärt gegenüber der taz, dass der Sender zwei feste Sendeplätze zur Primetime für Dokumentarisches habe, 90-minütige Dokumentarfilme liefen gelegentlich auch Freitagabend. Aber: „Unsere Erfahrung im Linearen ist, dass der Dokumentarfilm aufgrund seiner Dramaturgie und Erzählhaltung in der Regel in der zweiten Primetime besser aufgehoben ist als um 20:15 Uhr. Auch erreichen erfolgreiche Dokumentarfilme sehr gute Abrufzahlen in den Mediatheken und Online-Plattformen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste