Studie über Alkoholkonsum: Trockener Donnerstag
Menschen trinken, um negative Gefühle beiseitezuschieben. Doch die verstärken sich so, haben Forschende herausgefunden. Hilft ein „Dry January“?
Die erste Januarhälfte ist hinüber und damit auch die meisten guten Vorsätze. Die Neujahrsjogger haben spätestens am Zehnten von ihrem fruchtlosen Tun abgelassen, Straßenbahnfahrer am Rande des Nervenzusammenbruchs rammen absichtlich Taxis, und Hundebesitzerinnen entsorgen die Kotbeutel wieder klandestin zwischen die parkenden Autos.
Nur eine Handvoll Unbeugsamer hört nicht auf, dem eigenen Verlangen Widerstand zu leisten. Sie haben sich einen alkoholfreien Januar verordnet und sind wild entschlossen, das bizarre Ansinnen bis zum Monatsende durchzuhalten. Jüngst staunte der Autor dieser Zeilen auf einer Geburtstagsparty über ein selten übellauniges Paar, bis man ihn nach Abgang der Miesepampel darüber aufklärte, dass die ihm bis dahin unbekannten Leute normalerweise über Herzen aus Gold verfügten, doch sich aktuell mit der ihnen offensichtlich wesensfremden Schnapsidee „Dry January“ nervlich selbst ins Knie geschossen hätten.
Das erklärte einiges. Doch hat es nicht vielleicht auch massig Vorteile, wenigstens vorübergehend mal auf Alkohol zu verzichten? Brauchen wir das Zeug wirklich so dringend und stützt es unsere schwachen Seelchen echt so massiv, wie wir oft denken?
Ein Forschungsteam der University of Missouri hat in einer Studie über die Erfahrungen regelmäßiger Alkoholkonsumenten Erstaunliches zutage gebracht: Menschen trinken, um negative Gefühle beiseitezuschieben, was ihnen vordergründig auch gelingt. Doch auf den zweiten Blick verstärkten sich die negativen Empfindungen wie Nervosität oder Traurigkeit sogar noch. Alkohol, so legt die Studie überraschend nahe, sei irgendwie nicht gut.
Aber das ist Quatsch. Alkohol kann etwas sehr Schönes sein. Dem Autoren dieses Textes – ach lassen wir doch jetzt endlich mal diese Journalistenmarotte mit der dritten Person; dann ist das alles gleich viel persönlicher –, also MIR hilft er praktisch immer. Das glaube ich jedenfalls.
Ein Mann für die Langstrecke
Ich habe das Gefühl, dass mir Alkohol derart guttut, dass ich eigentlich am liebsten jeden Tag von morgens bis abends nur noch söffe, wenn das nicht leider kurzfristig auch jedes gute Erleben dämpfte und vernebelte, mittelfristig für Angst und Depressionen sorgte und auf längere Sicht den körperlichen, geistigen, seelischen, beruflichen und sozialen Totalabsturz bedeutete. Jammerschade, aber nichts ist umsonst. Man verreckt halt jämmerlich und einsam – das ist in der Tat ein nicht zu unterschätzender Nachteil.
Außerdem darf der passionierte Trinker davon ausgehen, dass er einer Selbsttäuschung unterliegt. Ähnlich wie beim Rauchen baut sich das Bedürfnis nach dem Stoff erst durch dessen Missbrauch künstlich auf und ermöglicht so überhaupt erst die Befriedigung ebenjenes Bedürfnisses; es handelt sich quasi um ein Strohmannargument des Körpers, der sich damit immanenterweise selbst belügt, so wie es offenbar auch die Teilnehmer besagter Studie tun: Das bei den meisten anfangs durchaus vorhandene Gefühl, der Drink hätte zumindest ambulant geholfen, löste sich im Angesicht konkreter Fragen („Fühlen Sie sich jetzt niedergeschlagen?“) zum eigenen Gefühlshaushalt auf einmal in Katzen- respektive Katerjammer auf. Das kollektive Wissen um die Segnungen des Alkohols fällt doch tatsächlich nach nur einer Studie mit 110 Probanden wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Unglaublich, aber wahr.
Also dann doch lieber Enthaltsamkeit oder immerhin Mäßigung mithilfe artifizieller Bremsrituale à la Dry January? Oder gibt es womöglich gar Alternativen, die dem Teilzeitasketen weniger Härten abverlangen?
Ich antworte für einen Freund. So habe ich selbst gute Erfahrung mit einem Dry Thursday gemacht. Anstatt einen ganzen Monat lang abstinent zu bleiben, trinke ich jeden Donnerstag, sofern es sich einigermaßen einrichten lässt, praktisch nichts, also nach Möglichkeit höchstens zwei oder drei Biere.
Das ziehe ich dafür das ganze Jahr über durch und nicht nur einen Monat lang wie die Dry-January-Dünnbrettbohrer. Ich bin eben ein Mann für die Langstrecke. Und warum ausgerechnet der Donnerstag? Nun, den kann ich mir mit der Eselsbrücke „Dry Thirstday“ einfach am besten merken. Sonst merke ich mir nämlich nicht mehr viel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt