Student über sein Besorgte-Bürger-Telefon: „Feld nicht Radikalen überlassen“
Bei einer Hotline finden Menschen mit zu vielen Sorgen, Ängsten und Wut ob all der Flüchtlinge ein offenes Ohr: Sie können mit einem Flüchtling reden.
taz: Ist der Begriff „besorgte Bürger“ nicht eine Verharmlosung für die Träger rassistischer Ressentiments?
Ali Can: Nein, das ist nicht die Bedeutung, die ich dem Begriff gebe. Besorgt kann man immer mal sein, man muss dafür nicht rechtsgesinnt sein. Bei mir rufen auch Ehrenamtliche an, die sich für geflüchtete Menschen engagieren und trotzdem sagen, dass sie manchmal Sorgen haben, weil sie irritiert sind. Wenn Menschen den Begriff instrumentalisieren, kann ich das nicht steuern. Ich distanziere mich klar von Menschen, die sich zwar besorgt nennen, aber rassistisch eingestellt sind.
Sie mussten sich auch schon von Anrufern beleidigen lassen. Warum tun Sie sich das überhaupt an?
Das stimmt, manche Sorgen sind schon feste Meinungen. Mir geht es um die Unentschlossen – also um jene, die eigentlich tolerant wären, wenn sie nicht manche Fragezeichen im Kopf hätten. Das Feld will ich nicht den Radikalen überlassen. Wenn ich nicht mit Pegida-Mitläufern rede, dann tun es andere und so könnte die AfD noch mehr Stimmen bekommen.
Aber wer bei Pegida mitläuft, hat doch schon eine klare Entscheidung getroffen?
Nein! Ich möchte nicht pauschalisieren: Nicht jeder, der bei Pegida mitläuft, ist schon ein überzeugter Rechter oder Rassist. Es gibt auch dort Fälle von Unentschlossenen. Erst durch persönliche Gespräche und Begegnungen kann man mit diffusen Ängsten umgehen und Leute umstimmen. Das ist zwar eine mühsame Arbeit, aber wenn ich jemandem seine Vorurteile nehmen kann, bin ich zufrieden.
Sie beklagen „wenig Mitgefühl“ mit „besorgten Bürgern“. Sollten wir nicht viel mehr die Sorgen der Flüchtlinge ernst nehmen?
Absolut, mir geht es allerdings nicht um Hierarchisierung. Natürlich geht es auch um den Schutz von Flüchtlingen, allerdings müssen wir mit Mitgefühl den Unentschlossenen begegnen, damit diese auch Mitgefühl für Flüchtlinge entwickeln.
ist Lehramtsstudent für Deutsch und Geschichte und Sohn einer kurdisch-alevitischen Familie. Er floh im Alter von zwei Jahren mit seiner Familie aus der Türkei nach Deutschland.
Seine Hotline: 08 00 9 09 00 56
Seine Website: www.interkulturell-leben.de
Jetzt haben Sie eine Crowdfunding-Aktion für Ihr Projekt gestartet. Wie geht es weiter?
Es gibt sehr viele Anfragen für Podien, Vorträge und Workshops. Es gibt ein ganz großes Interesse zur Frage, wie man mit besorgten Bürgern umgehen kann, damit man sie erreicht. Ich würde dieses Wissen gerne in ganz Deutschland weitergeben und das würde ich gerne finanzieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?