Stromsparen in Baden-Württemberg: Bürger sollen den Markt regeln
Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW bittet seine Konsumenten darum, zu bestimmten Zeiten Energie zu sparen.
Seit einigen Wochen nutzt der Übertragungsnetzbetreiber seine „StromGedacht-App“, um Nutzer zu animieren, „mit einem angepassten Stromverbrauch selbst einen aktiven Beitrag“ zur Regelung des Netzes zu leisten. Zugleich betont das Infrastrukturunternehmen jedoch: „Die Meldung der StromGedacht-App bedeutet nicht, dass Stromabschaltungen zu befürchten sind“. Vielmehr gehe es darum, der Bevölkerung zu signalisieren, „dass TransnetBW mehr als gewöhnlich dafür tun muss, das Stromnetz stabil zu halten“.
Warum das so ist, hat TransnetBW jedoch nie erklärt: Es ist die verquere Architektur des Strommarkts, die zunehmend regulatorische Eingriffe nötig macht. Um das zu erläutern, muss man etwas ausholen. Am Spotmarkt der Strombörse werden täglich zur Mittagszeit die Strommengen für den Folgetag gehandelt.
Somit ergibt sich für jede Stunde ein individueller Strompreis aus Angebot und Nachfrage. Dieser Preis ist deutschlandweit einheitlich und bestimmt die Einsatzzeiten aller regelbaren Kraftwerke in Deutschland für den nächsten Tag.
Böses Erwachen am nächsten Tag
Signalisieren die Windprognosen für Norddeutschland am Folgetag eine hohe Stromerzeugung, ergeben sich für die betreffenden Stunden niedrige Spotmarktpreise. Für diese Zeiten können zum Beispiel auch Pumpspeicherkraftwerke in Süddeutschland günstig Strom einkaufen.
Am nächsten Tag, wenn der gekaufte Strom dann geliefert werden soll, folgt immer öfter das böse Erwachen: Der Windstrom kann die Pumpspeicher – etwa jene am Schluchsee im Schwarzwald – gar nicht erreichen, weil es nicht genug Leitungen gibt. Da die Betreiber der Anlagen aber am Vortag Lieferverträge abgeschlossen haben, muss TransnetBW als Systemverantwortlicher sicherstellen, dass die Pumpspeicher ihren Strom auch tatsächlich bekommen.
Weil der gekaufte Strom aus dem Norden aber nicht durchkommt, muss dann eben Strom aus Nachbarländern oder aus Reservekraftwerken in Süddeutschland einspringen. Solche Notkäufe („Redispatch“) abseits des regulären Marktes sind teuer; die Kunden bezahlen sie über ihre Netzentgelte.
Das führt zu einer bizarren Situation: Während Pumpspeicherkraftwerke große Mengen Strom verbrauchen, ruft TransnetBW die Bürger auf, Strom zu sparen. So war es auch wieder vergangenen Freitag: Um 21 Uhr, mitten in jener Phase, als die Bürger Strom sparen sollten, zogen die Pumpspeicherkraftwerke des Schluchseewerks gut 600 Megawatt aus dem Netz. Sie pumpten damit Wasser empor und füllten ihre Speicher – was betriebswirtschaftlich attraktiv, aber aus Sicht des Systems wenig hilfreich war.
Diese Konstellation resultiert aus der Tatsache, dass Deutschland bundesweit im Großhandel nur einen einheitlichen Strompreis für das ganze Land kennt. Der Markt bildet also die physische Situation des Netzes nicht korrekt ab. Gäbe es – orientiert an den tatsächlichen Netzkapazitäten – eine Nord- und eine Südzone, könnten die Pumpspeicher in Baden-Württemberg nur dann billigen Strom kaufen, wenn er im Süden auch tatsächlich ausreichend vorhanden ist. Andernfalls wäre er teurer.
Auch Nachbarländer leiden
Weil regionale Preise ein Netz besser regelbar machen, verfügen manche Länder über mehrere Preiszonen. Norwegen zum Beispiel hat fünf, Schweden vier. Erfahrungen mit der Auftrennung von Marktgebieten gibt es auch: 2018 wurde die bisher einheitliche Strompreiszone von Deutschland und Österreich geteilt, nachdem diese zu immer stärkeren Verwerfungen im Markt geführt hatte.
Weil die deutsche Marktarchitektur auch die Nachbarländer zunehmend in Mitleidenschaft zieht, wächst der Druck der EU auf Deutschland. Die vier hiesigen Übertragungsnetzbetreiber sind auf Anweisung der europäischen Regulierungsbehörde Acer bereits dabei, im Rahmen eines „Bidding Zone Review“ mögliche alternative Zuschnitte der Preiszonen zu erarbeiten. Eine entsprechende Studie soll in diesem Jahr abgeschlossen werden.
Bis zu vier Preiszonen für Deutschland werden geprüft. Sollten diese kommen, dürfte die „StromGedacht-App“ die Bürger erheblich seltener darum bitten müssen, ihren Verbrauch zu senken.
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