Ströbele verlässt Bundestag: Der Held des Weitermachens hört auf

Grünen-Urgestein Christian Ströbele scheidet aus der Bundespolitik. Die Grünen werden den 77-jährigen Querkopf vermissen.

Christian Ströbele schaut bei einer Menschenversammlung in die Kamera

Radelte gern zum Reichstag – auch mit verschiedenfarbigen Socken: Christian Ströbele Foto: ap

Christian Ströbele kandidiert nicht mehr für den Bundestag – das gab der Grünen-Politiker am Dienstagabend bei Twitter bekannt. Seine Entscheidung verrät eine gewisse Weisheit. Politiker sind oft von der eigenen Unentbehrlichkeit überzeugt. Sie sind süchtig nach Bedeutung, Interviews, Rampenlicht, manchmal sogar nach den Strapazen des Alltags.

Ströbele ist seit dem 2. Juni 1967, der Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg, Teil der Linken – als Anwalt der RAF, Polit-Aktivist, AL-Politiker, ewiger Oppositioneller. Er ist seit 18 Jahren Bundestagsabgeordneter, an Akribie und Fleiß von wenigen übertroffen. Politik ist existentiell für ihn, mehr als für andere.

Es ist klug, dass er sich mit 78 Jahren keinen Wahlkampf in Berlin um ein Direktmandat zumutet. Am Ende der Legislatur wäre er 82.

Aber dieser Verzicht ist wohl die schwierigere Wahl, Weiterzumachen wäre vielleicht einfacher gewesen. Ströbele ist stets ein Held des Weitermachens gewesen – unbeeindruckt davon, dass die Justiz ihn in den 70ern als RAF-Sympathisanten vom Prozess in Stammheim ausschloss, davon dass die Grünen ihn 2001 aus dem Bundestag verbannen wollten oder von dem Prostatakrebs, der ihn nicht daran hinderte, seine Parlamentarierpflichten zu erfüllen. Das Antibürgerliche ist bei Ströbele stets auch eine Maske hinter der sich ein eisern disziplinierter Bürger verbirgt. Um so mehr Achtung verdient er für diesen Rückzug.

Und seine Partei ohne Ströbele? Die Grünen haben ein mindestens zwiespältiges Verhältnis zu ihrem linken Star. Er radelt zum Reichstag und saß auch mal mit verschieden farbigen Socken im Bundestag, während die grüne Elite maßgeschneiderte Anzüge trug. Er verkörpert trotzige Treue zu den Idealen der 68er, während Fischer&Co sich von Linksradikalen zu gut dotierten Konzernberatern wandelten. Die Realos verhöhnten ihn gern als Übriggebliebenen, als Letzten der Traditionskompanie. Es perlte an ihm ab, wie fast alle anderen Anfechtungen.

Manche in der grünen Führungsriege machen jetzt insgeheim drei Kreuze, dass der ewig Unangepasste, der oft auf die Fraktionsdisziplin pfiff, endlich weg ist. Das ist kurzsichtig.

Es mag sein, dass eine Fraktion, die nur aus Eigensinnigen wie Ströbele bestände, nur bedingt arbeitsfähig wäre. Aber eine Fraktion ohne Prinzipientreue, Unbeeindruckbare ist arm, gesichts- und überraschungslos. Die Grünen brauchen Leute, nicht nicht bloß funktionieren, erfahrene, kritische, gegen Machtopportunismus gefeihte Innenpolitiker, wie Volker Beck und mehr noch wie Ströbele. Sie brauchen sie gerade, falls sie 2017 mit der Union regieren werden. Ströbele wird den Grünen fehlen. Sie wissen es nur noch nicht.

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